In Memoriam Truman Capote

31. August 2009

Ein Gastbeitrag von D. G. Myers
(Englische Originalversion v. 25. 08. 2009)

Truman Capote

••• Heute ist die Jahrzeit von Truman Capote, der fünfundzwanzigste Jahrestag seines Todes wegen einer »Lebererkrankung, kompliziert durch Venenentzündung und multipler Drogenvergiftung«, wie der Untersuchungsbeamte des Bezirks Los Angeles pflichtgemäß berichtete – wenngleich Jahrzeit womöglich nicht das passende Wort ist im Zusammenhang mit jemandem, der einst »die jüdische Mafia in der amerikanischen Literatur« attackierte, die »den Literaturbetrieb weitgehend kontrolliert« mithilfe von »jüdisch dominierten« Publikationen, die »das Schicksal von Schriftstellern in der Hand haben, indem sie ihnen Aufmerksamkeit schenken oder sie zurückhalten«.1

Die Provokation, die sich hinter Capotes Ausfall verbirgt, offenbart sich nicht auf den ersten Blick. Von »Commentary«, der am stärksten von Juden beherrschten Publikation von allen, kann kaum behauptet werden, dass sie »In Cold Blood« (»Kaltblütig«), überging, hat sie dieses Buch in ihrer Ausgabe vom Mai 1966 doch mit immerhin 2.200 Wörtern gewürdigt. William Phillips, der Rezensent, der zufällig auch die »Partisan Review« herausgibt, eine weitere von Juden beherrschte Publikation, räumte sogar ein, dass das Buch »auf seine Art gut« sei, wenn er auch die Frage hinzufügte – »wie in dem alten jüdischen Witz – ob ‚Kaltblütig‘ auch gut für die Literatur sei«.2 Vielleicht hatte Truman keinen Sinn für jüdischen Witz.

Nur dank »Kaltblütig« erinnert man sich überhaupt noch an Capote, was möglicherweise auch gut ist. 1966 hatte sich sein schwaches Talent für Belletristisches erschöpft. Die vier Romanbände in Buchlänge, die ihm vorausgegangen waren — »Other Voices, Other Rooms« (1948), »A Tree of Night and Other Stories« (1949), »The Grass Harp« (1951) und »Breakfast at Tiffany’s« (1958) – zeichneten sich durch ihren Stil aber durch sonst kaum etwas aus. Das Porträt des Dienstmädchens etwa in seinem ersten Roman, der veröffentlicht wurde, als er gerade einmal vierundzwanzig war, hat Miami Mouth in Ronald Firbanks »Prancing Nigger« (1924) mehr zu verdanken, als etwas, das Capote selbst erlebt haben mochte, als er in Monroeville, Alabama, aufwuchs:

Missouri Fever, hochgewachsen, kraftvoll, barfüßig, anmutig und geräuschlos, war wie eine geschmeidige schwarze Katze, wie sie da so gelassen in der Küche umherstolzierte, ihr lässig fließender Gang sinnlich und hochmütig. Sie hatte schräggestellte Augen, und sie war dunkler als der verkohlte Ofen; das krause Haar stand ihr zu Berge, als ob sie einen Geist gesehen hätte, und ihre Lippen waren dick und purpurfarben. Angesichts der Länge ihres Halses konnte man ins Nachdenken geraten, denn durch ihn wirkte sie beinahe anomal, wie eine menschliche Giraffe, und Joel erinnerte sich an Bilder, die er einst aus einer Ausgabe von National Geographic ausgeschnitten hatte, von komischen afrikanischen Frauen, deren Hals durch unzählige Silberhalsreifen in unglaubliche Höhen gestreckt wurde. Zwar trug sie keine Silberreifen, natürlich nicht, aber um die Mitte ihres hochragenden Halses war ein schweißgetränktes Halstuch mit Tupfen geschwungen. »Papadaddy und ich, wir zählen auf dich für unseren Gottesdienst«, sagte sie, nachdem sie zwei Tassen Kaffee eingegossen und sich rittlings wie ein Mann auf einen Stuhl an den Tisch gesetzt hatte. »Wir haben einen eigenen Platz für uns hinten im Garten, da kannst du also später dazustoßen, und wir können viel Spaß miteinander haben.«

Der Stil ist nur insofern literarisch, als er ausschließlich aus Literatur bezogen wurde, ohne dass es großen Kontakt zur Welt draußen gegeben hätte. Und doch spielt Capote selten auf andere Bücher und Schriftsteller an; seine Prosa führt keinen Dialog mit seinen literarischen Vorgängern; sie mischt sich lediglich unter sie und isst vom selben Tisch. Frühe Kritiker verglichen sein Schreiben mit dem von Faulkner, wahrscheinlich weil beide aus dem Süden stammen und Autodidakten sind. Für Faulkner gab es allerdings keine solche Ähnlichkeit. »Wann immer ich versuchte, Truman Capote zu lesen, und das geschah nur wenige Male, habe ich es schnell aufgegeben«, sagte er: »Seine Literatur macht mich nervös.«

Als Capote »Kaltblütig« schrieb, war seine manierierte Prosa schon eine Nebensache geworden. Man betrachte zum Beispiel die Art, wie er den Übergang von der Verhaftung Dick Hickocks und Perry Smiths zu ihrer Rückkehr nach Finney County, Kansas, gestaltet, wo sie vor Gericht gestellt werden sollen:

Unter den Tieren in Garden City gab es zwei graue Kater, die immer zusammen auftauchten – stellen Sie sich vor: schmutzige streunende Katzen mit eigenartigen und cleveren Gewohnheiten. Die wichtigste Zeremonie des Tages zelebrieren sie im Dämmerlicht. Zunächst trotten sie die Main Street lang und bleiben stehen, um die Kühlergrills geparkter Wagen von Nahem zu begutachten, vor allem die, die vor den beiden Hotels, dem Windsor und dem Warren, standen, denn diese Wagen, im Allgemeinen gehörten sie Reisenden, die von weither gekommen waren, boten oft das, was die knochigen, methodisch vorgehenden Kreaturen jagten: geschlachtete Vögel – Krähen, Hühner und Spatzen, die so ungeschickt gewesen waren, den entgegen-kommenden Autofahrern in den Weg zu fliegen. Mithilfe ihrer Pfoten, die sie wie ein chirurgisches Besteck verwendeten, holten sich die Katzen jeden Federrest aus dem Grill. Nach ihrem Gang über Main Street bogen sie stets bei Main und Grant um die Ecke, um in großen Sätzen zum Courthouse Square zu springen, einem weiteren ihrer Jagdgründe – und ein mehr als vielversprechender an diesem Nachmittag, Mittwoch, 6. Januar [1960], denn die Gegend wimmelte nur so von Finney County Fahrzeugen, die die Menschen, die den Platz bevölkerten, in die Stadt gebracht hatten.

Abgesehen davon, dass dieser Absatz lächerlich unglaubwürdig ist, stellt sich die Frage nach Anstand oder Angemessenheit. Horaz – oder aber zumindest sein Übersetzer im neunzehnten Jahrhundert – hätte es möglicherweise so gesagt: Spricht man von Massenmord, hält man sich fern von »vulgären Mittel wie etwa dem Anflug von Komik«.

Ich bin mir im Klaren darüber, dass die Missachtung des Anstands eines der Hauptmerkmale literarischer Modernismen ist, aber die Art, wie Capote damit umgeht – die Wirkung, die er anstrebt – lässt nicht nur darauf schließen, was an der Technik fragwürdig ist, sondern offenbart auch seinen höheren Zweck in »Kaltblütig«. Er will ablenken, und zwar mithilfe eines Wirrwarrs von Details in Nahaufnahme. Als Capote zum Beispiel das Haus einführt, das die Bühne der Morde ist, schreibt er:

Das Haus – größtenteils ein Entwurf von Mr. Clutter, der sich damit als ein empfindsamer und bedächtiger, wenn auch nicht besonders dekorativer Architekt erwies – war 1948 für vierzigtausend Dollars gebaut worden. (Sein Verkaufswert betrug nun sechzigtausend Dollars.) Das stattliche weiße Haus, am Ende einer langen Auffahrt mit Rasen zu beiden Seiten und beschattet von Reihen chinesischer Ulmen, stand inmitten einer großzügigen Wiese von gepflegtem Bermudagras und beeindruckte [die Stadt] Holcomb; einen Ort, auf den die Menschen hinwiesen. Im Inneren lagen schwammige Stücke leberfarbigen Teppichs, die den grellen Glanz der lackierten, widerhallenden Böden immer wieder aufhoben; eine gewaltige modernistische Couch im Wohnzimmer, bezogen mit Noppenstoff, in den glitzernde Streifen von Silbermetall eingewebt waren; eine Frühstücksecke mit einer mit blauweißem Kunststoff gepolsterten Sitzbank. Diese Art von Möbeln gefiel Mr. Und Mrs. Clutter, genau wie den meisten ihrer Bekannten, deren Häuser im Großen und Ganzen ähnlich möbliert waren.

Die Wirkung ähnelt der einer Fernsehshow für Kinder: Alles ist übertrieben und grellbunt. (Bei einer Vergrößerung von Details wirken die Gegenstände grell, selbst wenn sie ursprünglich in tristen Farben gehalten waren.) Und die herablassende Haltung dem Geschmack der Clutters und »den meisten ihrer Bekannten« gegenüber ist kaum gezügelt. Die Opfer des Massenmords werden in Tonlagen dargestellt, die sich eher für eine Satire eignen.

Capote rekonstruiert die letzten Tage im Leben der Clutters und verflicht diese Schilderung mit einem minutiösen Bericht über die Fahrt der Mörder nach Holcomb in einem schwarzen Chevrolet, Baujahr 1949, wobei er sorgfältig festhält, wie sich Perry Smith auf ihrem letzten Halt zweieinhalb Stunden vor dem Ziel in der Toilette einer Tankstelle übergibt, aber nichts vom Töten selbst sagt. Erst nach erfolgter Tat – erst als die Clutters tot sind – fährt Capote mit der Rekonstruktion dessen fort, was sich zugetragen hat. Es bleiben noch zweihundertundfünfundachtzig Seiten übrig: dreiundachtzig Prozent von »Kaltblütig«. Die Clutters, die einen so ordinären Geschmack hatten, verschwinden von der Bildfläche.

Wenngleich Capote sich den Kriminalbeamten Al Dewey vom Ermittlungsbüro in Kansas anschaut, gilt sein überragendes Interesse den Mördern – insbesondere Perry Smith, dem schmächtigen und vermutlich homosexuellen Sträfling, der, wie William Phillips es brutal ausdrückt, »der größere Halunke von beiden« war. Der Kriminalautor J. J. Maloney ist davon überzeugt, dass sich Capote bei der Recherche für das Buch in Smith verliebte. Absicht und Sprache des Buches machen seine Sympathie für Smith offensichtlich, und Capote möchte den Leser daran teilhaben lassen. Obgleich Smith keine Gewissensbisse wegen des Mordes hat und sagt, dass »nichts darum mir irgendetwas ausmacht«, wird er trotz allem als liebenswert dargestellt. Selbst der Mann, dem er gesteht, dass er absolut nichts in Bezug auf den Mord an vier Menschen empfindet, gesteht: »Ja, ich mag Sie.« Er ist pathetisch dankbar für, wie er es sagt: »Jemanden, der sich ein wenig aus mir macht.«

Nachdem zwei Reporter das Abschlussplädoyer des Bezirksstaatsanwalts Logan Green gehört haben, wechseln sie einige Worte. Ein nicht namentlich genannter »junger Reporter aus Oklahoma« sagt, das Plädoyer sei »volksverhetzend, brutal« gewesen. Richard Parr vom Star in Kansas City äußert sich verächtlich:

»Er hat nur die Wahrheit gesagt«, erklärte Parr. »Die Wahrheit kann brutal sein. Um mich mal so auszudrücken.«
»Aber er musste nicht ganz so heftig zuschlagen. Das ist unfair.«
»Was ist unfair?«
»Das ganze Gerichtsverfahren. Diese Burschen haben keine Chance.«
»Welche Chance gaben sie [der 16jährigen] Nancy Clutter?«
»Perry Smith. O Gott. Er hatte so ein lausiges Leben —«
Parr: »Wie viele Männer können mit Schluchzgeschichten wie dieser kleine Halunke aufwarten? Ich zum Beispiel. Vielleicht trinke ich zu viel, aber ich bin mir ganz sicher, dass ich nie kaltblütig vier Menschen getötet habe.«
»Jaaa, und was, wenn der Halunke gehängt wird? Das ist genauso kaltblütig.«

Dieses Gespräch, das vermutlich nie stattfand – es ist vielleicht das einzige Mal, dass Capote in dem Buch jemandem keinen Namen gibt – definiert auf hinterhältige Weise den Buchtitel neu. Die, die es nach Gerechtigkeit für den Mord an den Clutters verlangt, sind nicht weniger willig, kaltblütig zu töten.

Capote verfolgt in »Kaltblütig« den Zweck, das Böse bei den Mördern der Clutters zu mildern. Das einzige Mal, dass Perry Smith das Wort gebraucht, klingt in einem bitteren Rückblick auf sein frühes Leben an:

[Meine] Mutter steckte mich in ein katholisches Waisenheim. Dem, in dem die Schwarzen Witwen es stehts auf mich abgesehen hatten. Mich schlugen. Wegen Bettnässen. Deshalb kann ich Nonnen nicht ausstehen. Auch Gott nicht. Und auch Religion nicht. Aber später fand ich heraus, dass es noch bösere Menschen gibt. Weil sie mich nach zwei Monaten aus dem Waisenhaus schmissen und sie [seine Mutter] mich wo hingab, wo es noch schlimmer war. In ein Kinderasyl, betrieben von der Heilsarmee. Auch dort hassten sie mich. Fürs Bettnässen. Und weil ich ein halber Indianer bin. Da gab es diese Schwester, die mich immer ‚Nigger!‘ nannte, und sie machten kaum einen Unterschied zwischen Niggern und Indianern. O, Gott, sie war das Böse in Person!

Zwar heißt es oft, Capotes dauerhafter Beitrag zur Literatur sei seine Erfindung des dokumentarischen Romans, aber sein wirkliches Vermächtnis besteht darin, dass er den Gebrauch des Wortes »böse« zu einer beiläufigen Geschmacklosigkeit hat verkommen lassen wie Möbel, die mit Noppenstoff bezogen sind, in den glitzernde Streifen von Silbermetall eingewebt sind. Siebenunddreißig Jahre später, als Terry Eagleton höhnte, das Wort »böse« sei seit 9/11 eine »Aufforderung« geworden, »das Denken abzuschalten«3, konnte er sich damit direkt auf Capote berufen. Die schicke Kollaboration mit dem Bösen verlangt, dass man es nicht bei seinem richtigen Namen nennt.

 
  1. Interview with Playboy (1968), in Truman Capote: Conversations, ed. M. Thomas Inge (Jackson: University Press of Mississippi, 1987), p. 158.
  2. William Phillips, „But Is It Good for Literature?“ Commentary (May 1966): 77–80.
  3. Terry Eagleton, After Theory (New York: Basic Books, 2003), p. 223.

2 Reaktionen zu “In Memoriam Truman Capote”

  1. Literatur und Moral « Turmsegler

    […] Nachdem D. G. Myers’ Beitrag »In Memoriam Truman Capote« nun auch in deutscher Übersetzung hier veröffentlicht ist, will ich endlich auch zu einer […]

  2. Literature and Morality « Turmsegler

    […] response to D. G. Myers’ “Remembering Truman Capote” (»» Deutsche Version […]

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