Die verbrannte Hand

14. August 2009

»Krötenwanderung« • Eine Gastkolumne von Markus A. Hediger

Clarice Lispector
Clarice Lispector (1920-1977)

Clarice Lispector, grande dame der brasilianischen Literatur des 20. Jahrhunderts, muss ein schwieriger Charakter gewesen sein. Keine ihrer Freundschaften hielt lange, niemand hielt es auf Dauer in ihrer Nähe aus. Sie galt als unberechenbar, und mit der Wahrheit nahm sie es nicht sehr genau. Mal erzählte sie eine Geschichte so, dann wieder anders. Und wenn man glaubte, den Schleier endlich gelüftet und eine ihrer Unwahrheiten zweifelsfrei entlarvt zu haben, sah man sich nur von einer weiteren Finte hinters Licht geführt. Zudem interessierte sie sich sehr fürs Okkulte und umgab sich Zeit ihres Lebens mit Kartenlegern und Wahrsagern, weshalb sie auch gelegentlich »die Große Hexe der brasilianischen Literatur« genannt wurde. Eines Nachts hatte sie sich mit einer brennenden Zigarette ins Bett gelegt und war kurz darauf in einer Feuerhölle erwacht. Sie konnte sich retten, zog sich aber schwere Verbrennungen an ihrer Hand zu, die sie fortan wie eine schwarze Klaue vor sich hertrug.

Auch wenn es privat nicht so gut lief, beruflich blieb ihr kein Erfolg verwehrt. Ihre Romane wurden von der Kritik als literarische Sensationen gefeiert, und als Kolumnistin des »Jornal do Brasil« erfreute sie sich auch im Volk einer breiten Akzeptanz. Für ihre Kolumne pflegte sie große Namen der zeitgenössischen Kunst zu interviewen. Allen stellte sie dieselben Fragen. »Was ist Liebe?« fragte sie zum Beispiel. Oder: »Was ist das Wichtigste in deinem Leben?« Auf solch Plattheiten fiel nicht einmal Pablo Neruda eine originelle Antwort ein, selbst dann nicht, als Lispector explizit um Originalität bat. Vielleicht war es ihre Schönheit, die diese großen Dichter mundtot machte, vielleicht aber auch das Wissen darum, dass vor ihnen eine Frau stand, die ihnen in ihrem Metier in nichts nachstand. Sie sah aus wie Marlene Dietrich und schrieb wie Virginia Woolf.

Einer der wenigen, die sich von ihr nicht einschüchtern ließen, war der Dichter und Musiker Vinícius de Moraes. Hier ein Auszug des Interviews, das Clarice Lispector mit ihm führte:

Lispector: Vinícius, lass uns über Frauen sprechen, und über Poesie und Musik. Über Frauen, weil ich gehört habe, du seist ein großer Liebhaber. Über Poesie, weil du einer unserer großen Dichter bist. Und über Musik, weil du unser Hofsänger bist. Vinícius, hast du in deinem Leben schon jemanden wirklich geliebt? Ich habe eine der Frauen angerufen, mit der du verheiratet warst, und sie sagte mir, dass du alles liebst und dich allem mit allem hingibst: den Kindern, den Frauen, den Freundschaften. Da dachte ich, dass du die Liebe liebst.

Moraes: Dass ich die Liebe liebe, das ist wahr. Ich liebe diese Liebe, aber das heißt nicht, dass ich die Frauen, die ich hatte, nicht geliebt hätte.

Lispector: Ich glaube dir, Vinícius. Ich glaube dir wirklich. Obwohl ich auch glaube, dass wenn ein Mann und eine Frau sich in wirklicher Liebe begegnen – nun, zwei Menschen sind nicht für alle Ewigkeiten dieselben und so ist es möglich, dass dasselbe Paar immer wieder neue Lieben leben kann.

Moraes: Selbstverständlich. Aber ich glaube auch, dass jene Liebe, die für die Ewigkeit erschafft, die Liebe der Leidenschaft ist. Diese Liebe ist die einzige, die diese Dimension der Ewigkeit besitzt.

Lispector: Hast du schon auf diese Art geliebt?

Moraes: Ich habe nur auf diese Art geliebt.

Lispector: Beendest du eine Affäre, weil du einer anderen Frau begegnest oder weil du der ersten müde wirst?

Moraes: In meinem Leben war es so, als hätte mich die eine Frau in die Arme der nächsten gelegt.

Lispector: Reden wir über deine Musik.

Moraes: Ich rede von mir nicht als Musiker, sondern als Dichter. Ich mache keinen Unterschied zwischen der Dichtung in meinen Büchern und jener in meinen Liedern.

Lispector: Vinícius, hast du dich schon einmal einsam gefühlt?

Moraes: Ich glaube, dass ich ein einsamer Mann bin.

Lispector: Das würde erklären, weshalb du so sehr liebst, Vinícius. Jetzt bitte ich dich, ein bisschen nachzudenken und mir zu sagen, was für dich das Wichtigste ist auf dieser Welt, Vinícius.

Moraes: Für mich ist es die Frau, ganz ohne Zweifel.

Lispector: Willst du über deine Musik sprechen? Ich warte.

Clarice wartet. Vinícius schweigt, den Blick gesenkt. Endlich schaut er auf, blickt sie an und sagt: Ich empfinde so viel Zärtlichkeit für deine verbrannte Hand…

5 Reaktionen zu “Die verbrannte Hand”

  1. wölkschen

    Großartige Antworten auf freche Fragen, die eigentlich schon die Antworten – andere aber – vorausnehmen möchten. Aber eine faszinierende Frau.

  2. Benjamin Stein

    Ich würde dem Hediger ja zutrauen, dass er das Interview erfunden hat…

    Was die Faszination nicht schmälern würde.

  3. Markus

    Nee, der Hediger hat nur etwas geschickt gekürzt. :-)

    Und ja, das war eine faszinierende Frau. Man nannte sie nicht umsonst das „monstre sacré“.

  4. Liebe auf den ersten Blick « Turmsegler

    […] dass es wohl Markus’ »Schuld« sein muss, dass wir jetzt hier sowas verhandeln, genau, das Vinícius-Interview: »Aber ich glaube auch, dass jene Liebe, die für die Ewigkeit erschafft, die Liebe der […]

  5. Litblogs.net – Lesezeichen 3 | 2009 at in|ad|ae|qu|at

    […] Die verbrannte Hand von Markus A. Hediger Turmsegler […]

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