Die Sprache der Schöpfung (III)

14. Juli 2009

Markus A. Hediger (im Stande der Unschuld?) © Markus A. Hediger

Ein Gastbeitrag von Markus A. Hediger

••• Als ich vor einem Jahr meine autobiographischen Fiktionen beendete, ahnte ich nicht, wie sehr sie mein Selbstbild und – als Folge daraus – mein Leben bestimmen würden. Ich hatte sie in einem rauschhaften Zustand geschrieben, der wochenlang anhielt und mich taumelnd durch eine plötzlich eingetretene oder gefundene Kongruenz zwischen persönlicher Geschichte und aktuell Erlebtem tanzen ließ. Sprache wurde zur Musik, die sich selbst sang. Als das Büchlein schließlich publiziert war, wollte ich weiterschreiten, weiterarbeiten an meiner Fiktion, aber es gelang mir nicht. Es war, als hielte mich die Welt zurück, als zwänge sie mich zum Stillstand.

Fiktion beschränkt sich nicht nur auf das Geschilderte. Teil einer Fiktion ist auch ihre Konstruktion, ist auch ihre Wortwahl, ihr Rhythmus. Fiktion zeichnet sich weniger durch das aus, was sie erzählt, sondern durch das Wie.

Ich hatte mein Leben gnadenlos aufrichtig, unerbittlich hart erzählt. Was zu jenem Zeitpunkt wahrscheinlich notwendig war, denn zu lange war vieles unerledigt und unaufgearbeitet in meinem Leben liegen geblieben.

Was ich jedoch nicht bedacht hatte: Sprache will wirken. Sprache will in den Körper. In den auf die Publikation meines Büchleins folgenden Monaten begann diese von mir für die Beschreibung meines Lebens ausgewählte Sprache folgerichtig mit aller gnadenlosen Aufrichtigkeit und aller unerbittlichen Härte auf mich einzuschlagen.

Als Gott den Baum der Erkenntnis von Gut und Böse in den Garten Eden setzte und zugleich dem Menschen untersagte, von seiner Frucht zu essen, war es nur eine Frage der Zeit, dass sich eine Hand danach ausstreckte und die Frucht pflückte. Die einzige Form, wie die Sprache eines Verbots ihre Wirkung entfalten kann, ist seine Übertretung. Erst in seiner Übertretung erfüllt sie sich, seine Einhaltung ist lediglich ein zeitlich beschränktes Zurückhalten jener sprachlichen Macht, die ihre Entfaltung drängend, drängelnd fordert.

Ich will an dieser Stelle nicht auf den möglichen Sinn dieses Verbots eingehen, noch darauf, was unter »Gut« und »Böse« in diesem Kontext zu verstehen wäre. Die Unfähigkeit, Gut und Böse zu unterscheiden, heißt es im Text unterschied Gott von den Menschen, bevor sie von der verbotenen Frucht aßen; und die Vehemenz, mit der Gott in Genesis 3 auf die Übertretung seines Verbots reagiert, zeigt, dass ihm doch einiges daran gelegen sein musste. Da stellen sich weitreichende Fragen, die in eine weites theologisch spekulatives Feld führen.

Vielmehr möchte ich mein Augenmerk auf den Ablauf richten, der zum Verbotsbruch führte, und auf die Konsequenzen, die dies nach sich zog. Aus sprachlicher Sicht ein aufschlussreiches Szenario.

Bis zum Auftreten der Schlange hat der Mensch Sprache bislang »nur« dazu verwendet, die Welt, die Gott erschaffen hatte, in eine für den Menschen erkennbare Ordnung zu bringen: Er hat den Tieren und Pflanzen Namen gegeben, damit er sie voneinander unterscheiden und zueinander in Beziehung setzen könne. Er hat gelernt, dass Sprache sich jedoch nicht dazu eignet, Dinge zu erkennen oder zu erschaffen, die nicht vorhanden sind. Adam gab den Tieren einen Namen, war aber nicht in der Lage, durch diesen Sprachakt eine Gehilfin für sich zu erschaffen.

Sprache ist zu diesem Zeitpunkt nur dies: ein Abbild des Existierenden.

Nun aber tritt die Schlange auf und führt eine neue Eigenschaft von Sprache ein: Nämlich die Fähigkeit, Wirklichkeit zu hinterfragen und sich auszumalen, was wäre, wenn:

Und die Schlange war listiger denn alle Tiere auf dem Felde, die Gott der Herr gemacht hatte, und sprach zu dem Weibe: Ja, sollte Gott gesagt haben: Ihr sollt nicht essen von den Früchten der Bäume im Garten?

Da sprach das Weib zu der Schlange: Wir essen von den Früchten der Bäume im Garten; aber von den Früchten des Baumes mitten im Garten hat Gott gesagt: Eßt nicht davon, rührt’s auch nicht an, daß ihr nicht sterbt.

Da sprach die Schlange zum Weibe: Ihr werdet mitnichten des Todes sterben; sondern Gott weiß, daß, welches Tages ihr davon eßt, so werden eure Augen aufgetan, und werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist. Und das Weib schaute an, daß von dem Baum gut zu essen wäre und daß er lieblich anzusehen und ein lustiger Baum wäre, weil er klug machte.

Noch bewegt sich alles auf rein sprachlicher Ebene, aber die Handlung, die Übertretung des Verbots, ist hier bereits vorweggenommen: nicht mehr das Verbot steht im Vordergrund, sondern das Verbotene. Der Schleier, den das Verbot über die Frucht gelegt hatte, ist gelüftet, der Blick darauf freigegeben.

Zeichentheoretisch gesehen haben Eva und die Schlange nichts anderes als das Zeichen, dargestellt durch das göttliche Verbot, zum Anlass für eine interpretative Arbeit zu nehmen: Sie fragen nach den Gründen des Verbots und spekulieren über die Folgen einer möglichen Übertretung. Aus dem Verbot wird ein Diskurs.

Eva und die Schlange hätten sich ewig weiter darüber unterhalten können. Jedes Zeichen (hier das Verbot) kann in weitere Zeichen übersetzt werden (hier der oben bereits genannte Diskurs über die Gründe für das Verbot), und diese wiederum in weitere Zeichen (Eva und die Schlange hätten sich über die Eigenschaften Gottes unterhalten und sich danach in mystischen Spekulationen verlieren können) – und so weiter und so fort. In der Zeichentheorie nennt man diese potentiell unbeschränkte Übersetzung von Zeichen in andere Zeichen »unendliche Semiose«.

Doch jede Semiose strebt ihrem Ende zu. Sie will keine Unendlichkeit. Die einzige Form jedoch, wie eine Semiose zu ihrem Ende finden kann, besteht darin, die Ebene der Zeichen (hier: der sprachlichen Zeichen) zu verlassen und ins Konkrete zu finden.

Auch Eva kann sich diesem Sog nicht entziehen: Sie greift nach der Frucht, beißt in sie hinein und reicht Adam die angebissene Leckerei: Sprache ist Handlung geworden.

Nun geschieht das, was Sprache allein nicht bewerkstelligen konnte: Sie werden sich ihrer Nacktheit bewusst und bedecken ihre Scham. Adam und Eva erkennen sich selbst.

Die Aussage dieses Textes ist gewaltig: Nicht Sprache macht den Menschen zu dem, was er ist, sondern sein Tun. Nicht Reflexion führt zu Selbsterkenntnis, sondern eigenmächtiges, selbstverantwortliches Handeln – welches natürlich nicht ohne Folgen bleibt.

Selbsterkenntnis führt in der Schöpfungsgeschichte in einem ersten Schritt zur Erkenntnis von Unterschiedenheit und Trennung.

Die anschließende »Verstoßung« aus dem Paradies geschieht – so gesehen – fast zwangsläufig: Der Garten Eden ist eine Schöpfung Gottes, und darin können auch nur Geschöpfe Gottes leben. Durch die Selbsterkenntnis, herbeigeführt durch eigenständiges Handeln, ist nun aber eine Trennung zwischen Gott und den Menschen herbeigeführt (die Schöpfung hat sich vom Schöpfer gelöst), die einen weiteren Aufenthalt im Garten Eden unmöglich macht. Das Geschöpf muss nun selbst zum Schöpfer werden und sich seine eigene Welt errichten. Mit der Verstoßung aus dem Paradies in eine unwirtliche Welt beginnt die Schöpfung des Menschen.

Zum Schluss vielleicht dieses noch: In beiden Schöpfungsgeschichten scheint es ein Muster für den Schöpfungsprozess zu geben: Am Anfang steht die Sprache, die schließlich in einer Handlung mündet. In Genesis 1 ist es Gott, der zuerst ankündigt, was er erschaffen will. Dann tut er es. In Genesis 2 ist es der Mensch, der allem zuerst eine Sprache gibt, bevor er in der Lage ist, eigenmächtig zu handeln und selbst in die Schöpfung einzugreifen.

Wenn ich nun nach Brasilien zurückkehre, muss ich eine Sprache finden, die es mir ermöglicht, ein anderes Leben in Rio zu erschaffen. Eine Sprache vielleicht, die weniger die Kongruenz sucht, sondern vielleicht eher auf Assonanzen und Dissonanzen hört. Erinnerungen und Gegenwart fallen nicht immer zusammen.

Ich bin nicht, der ich bin.

2 Reaktionen zu “Die Sprache der Schöpfung (III)”

  1. Benjamin Stein

    @Markus: Jetzt fällt mir das erst auf… Man sieht sogar die riesige Narbe am Bein, die Eingeweihte aus dem »TamTam Grand Hotel« kennen!

  2. Markus

    :-)

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