Ein Gastbeitrag von Markus A. Hediger
In Genesis 1 geht der Schöpfer nach einem formvollendeten Plan vor, so penibel durchstrukturiert, dass sich seine Perfektion und – möchte man fast sagen – Symmetrie sogar in der Struktur seiner sprachlichen Überlieferung niederschlägt. Gott geht weniger wie ein Künstler, als vielmehr wie ein Ingenieur vor, der einem genauen Bauplan folgt.
- Er beschließt, was er erschaffen will und sagt es an (»Und Gott sprach«)
- Er setzt sein Vorhaben um (»Und Gott machte«, »schuf« etc.)
- Er beurteilt sein Werk (»Und Gott sah, dass es gut war«)
Ein durchdachtes, vollkommenes Kunstwerk also, sorgfältig orchestriert sowohl in seiner Entstehung als auch in seiner Vollendung, in das Gott am sechsten Tag den Menschen da hineinsetzt. Es ist genauso geworden, wie er es sich vorgestellt hatte, als er die ersten Worte sprach und das Licht erschuf.
Und dennoch geht etwas schief. Irgendetwas funktioniert nicht so, wie es sollte. Weshalb sonst sollte der Schöpfer sich nur wenige Zeilen später veranlasst sehen, erneut seine Hände in die Erde zu senken und die Welt ein zweites Mal zu erschaffen?
Was war es, was eine »Überarbeitung« der Schöpfung notwendig machte?
Vielleicht bringt ein Blick auf das Schöpfungsvorgehen, wie es in Genesis 2 beschrieben ist, etwas Klarheit in diese Frage.
Die in Genesis 2 erzählte Schöpfungsgeschichte unterscheidet sich in nahezu allen Punkten – auch ganz fundamental im Erzähltechnischen – von Genesis 1. Zu großen Teilen liest sich Genesis 2 wie ein »work in progress«. Da wird von Schritt zu Schritt entschieden, was nun als nächstes zu tun sei, das im Entstehen begriffene Werk diktiert, was es zu seiner Vollendung benötigt. Die Unterschiede zu Genesis 1 sind so zahlreich, dass, sie alle aufzuzählen, den Rahmen dieses Beitrags sprengen würde. Ich beschränke mich hier daher auf die Nennung der – in meinen Augen – zwei wichtigsten:
1
Anders als in Genesis 1, wo der Mensch in eine fertige Schöpfung hinein erschaffen wird, beginnt Gott in Genesis 2 sein Werk mit dem Menschen. Was in der Folge erschaffen wird, wird um den Menschen herum und für ihn erschaffen. Für ihn pflanzt er den Garten, auf seine Bedürfnisse und seinen Geschmack hin abgestimmt. (So pflanzt Gott der HERR z.B. Bäume, »lustig anzusehen und gut zu essen«.)
Von Anfang an ist der Mensch also Teil der Schöpfung. Dadurch, dass er von Beginn an »dabei« ist, prägt und gestaltet er das übrige Werk mit.
Schöpfung, heißt das, vollzieht sich auch durch und in Beziehung zum Geschöpf.
2
In Genesis 2 überlässt Gott es dem Menschen, Tieren und Vögeln einen Namen zu geben. Und – Gott verfolgt diese »Taufe« mit Neugierde. Es ist jedoch mehr als bloße Spielerei, in die er den Menschen da hineinzieht. Gemäß biblischem Text geht es bei dieser »Sprachübung« darum, dass der Mensch eine Gehilfin für sich fände. Erst als der Mensch allem einen Namen gegeben hat, »aber für den Menschen keine Gehilfin gefunden ward«, erst da nimmt Gott eine seiner Rippen und formt daraus die Frau.
Diese Episode ist in zweifacher Hinsicht wenn nicht merk- so doch denkwürdig:
- Es ist die Sprache, die der Welt eine Struktur gibt und es dem Menschen ermöglicht, mit ihr in Beziehung zu treten. Erst nachdem der Mensch allem einen Namen gegeben hat, erkennt er, dass in ihr keine Gehilfin zu finden ist.
- Die Sprache selbst kann nicht erzaubern, was nicht vorhanden ist. Noch einmal muss Gott Hand anlegen und dem Mann eine Frau zur Seite stellen, damit er ihr einen Namen geben und sie als Gehilfin erkennen kann.
Hier wird sehr deutlich, wie zentral die Rolle ist, die Genesis 2 dem Menschen in der Schöpfung beimisst. Erst durch ihn und sein Mitwirken in ihr wird Gott bewusst, dass die Schöpfung nicht vollkommen ist. Er muss nachbessern und erschafft die »Männin«.
Wie unsicher Gott sich angesichts dieser zweiten Schöpfung ist, wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, was – verglichen mit der ersten – in dieser Erzählung fehlt.
Nicht ein einziges Mal wird in Genesis 2 von Gott gesagt: »Und er sah, dass es gut war.«
Noch ein weiterer Riss geht durch diese zweite Schöpfung, doch dazu im nächsten Teil mehr.
Am 2. Juli 2009 um 10:39 Uhr
Diese Frage ist mir nicht ganz klar. Bei der Struktur dieser alten Textsammlung geht es doch nicht darum, eine stimmige Geschichte zu erzählen. Das sind doch sehr verschiedene Inhalte. In Genesis I geht es doch ausschließlich um Naturgeschichte (oder sagen wir Evolution). Und das ist in den folgenden Texten einfach nicht mehr von Interesse.
Am 2. Juli 2009 um 10:43 Uhr
Ich möchte Markus nicht vorgreifen, aber: Bei einer textexegetischen Betrachtung mag das nahe liegen. Aber wir haben es ja hier mit einer religiösen Überlieferung zu tun, einem Buch, in dem nach jüdischem Verständnis kein Buchstabe ohne Grund steht, wo er steht. Ich möchte dem jedenfalls mal nachgehen, also schauen, was Kommentatoren wie Raschi zu dieser »Diskrepanz« sagen. Dann melde ich mich wieder.
Am 2. Juli 2009 um 16:35 Uhr
Mir sind die ganzen historisch-kritischen Erklärungen bekannt. Ihnen zum Trotz versuche ich, den Text so zu lesen, wie er sich einem „unbelasteten“ Leser bietet (bin ich natürlich nicht, was die Sache nicht einfacher macht). Es geht mir jedoch schon auch darum, der überlieferten, christlichen Lesetradition mal auf die Finger zu klopfen und zu sagen, Nehmt doch bitte den Text ernst und schaut mal, was da WIRKLICH steht.
Ich erlebe andauernd solche Überraschungen: dass das, was man mir in der Sonntagsschule erzählte, so gar nicht in der Bibel steht – oder eben dass der Text sehr viel reicher und vielschichtiger ist als das, was man mich glauben machte.
Am 2. Juli 2009 um 17:11 Uhr
Noch was: Selbstverständlich können Sie Texte so lange auseinandernehmen und auf ihre Redaktionsstufen hin untersuchen, bis alle Einzelteile vor Ihnen liegen. Aber dann haben Sie keinen Text mehr.
Ich stimme Benjamin zu, wenn er sagt, es habe einen Grund, weshalb der Text uns genau in dieser Form vorliegt. Diesen müssen wir ernst nehmen und d.h. für mich eben auch, die Brüche wahrnehmen, die in ihm über die Jahrhunderte und Überarbeitungen hinweg entstanden sind und vielleicht sogar schon von Anfang an in ihm angelegt waren.
Schwieriges nicht wegerklären, sondern offenlegen. Und sich dann Gedanken drüber machen, was das bedeuten können. Mut zur Deutung haben.
Am 3. Juli 2009 um 03:47 Uhr
Es freut mich sehr, daß eine so klassische Diskussion immer noch mit Leben gefüllt ist. Wenn ich mir die beiden Traditionen der Textinterpretation vor Augen halte – die jüdische mit ihrer Betonung des wörtlichen Verständnisses und die griechische mit ihrem Hang zur allegorischen Deutung – schlage ich mich auf die Seite der Griechen. Mir kam es immer so vor, als sei genau dies die eigentliche Qualität sakraler Texte. So angelegt zu sein, daß sie auf verschiedenen Ebenen stimmige Aussagen treffen können.
Zwei weitere Gründe gibt es, die mich ins Lager der Griechen treiben: Zum einen stößt eine am geschriebenen Wort orientierte Deutung bei sehr alten Texten an seine (sagen wir besser an meine) Grenzen. Spätestens beim Gilgamesh-Epos bleibt mir ohne allegorische Deutung nur ein literarischer Genuss. Ich bin zu weit weg von dieser Kultur. Da ist viel Zeit vergangen. Wenn ich aber – und hier wird der Grund subjektiv – an diesen Text mit einem jüdischen, und an jenen Text mit einem griechischen Textverständnis herangehe, fehlt mir die Vergleichbarkeit. Und mich interessieren die vielen Texte aus unterschiedlichen Traditionen.
Der zweite Grund ist die jüdische Art der Deutung selbst (und ich weiß, daß ich hier grob vereinfache). Mein Eindruck ist, daß die Orientierung am geschriebenen Wort zwar auf der Ebene des Ritus umgesetzt wird, aber hinter allem schlummert ein großer Berg jüdischer Mythologie. Was augenscheinlich wörtlich gedeutet wird, hat ganze Bände als Hintergrund – nur, man spricht nicht darüber.
Am 4. Juli 2009 um 06:56 Uhr
@Bjoern
ich weiss nicht, ob ich das genau verstanden habe. hier mein möglicher einwand: ich habe mir einige jüdische auslegungen der schöpfungsgeschichte angesehen und fand da eine fülle an allegorischen und symbolischen auslegungen. vieles wird nicht aus diesem einen text heraus interpretiert sondern auf dem hintergrund ihres ganzen religiösen wissens. eine zahl, über die ein christlicher leser hinwegläse, bekommt in der jüdischen textauslegung enorme bedeutung.
auf der anderen seite: die jüdischen heiligen texte (zumindest jene, die das sogenannte alte testament ausmachen) haben auch eine reiche christliche auslegungstradition. ich schreibe vor allem aus diesem hintergrund. und bestandteil einer (liberalen) christlichen theologie war immer auch der versuch, aus verschiedensten perspektiven und disziplinen heraus, diese texte neu zu beleuchten. ich tue es vor allem als linguist und semiotiker. genesis 1 und 2 sind gerade aus diesem blickwinkel enorm spannend (für mich). genesis 1 hat über jahrhunderte linguistiker zur suche nach der vollkommenen sprache angetrieben. in genesis 2 wiederum findet sich ein ausgesprochen aktuelles verständnis von sprache.
ihren letzten absatz unterschreibe ich voll und ganz.