José Saramago (*1922)
••• Wieder bin ich über eine ungeheuerliche Bildungslücke gestolpert. Vor zwei Tagen sah ich mit der Herzdame »Die Stadt der Blinden«, einen dystopischen oder Endzeitfilm, womöglich auch nur eine surrealistische Fiktion, gedreht nach einem Roman des portugiesischen Autors José Saramago. Ich konnte mir mit Mühe den Namen merken. Gehört hatte ich von ihm zuvor noch nie. So bekannt ist er ja auch nicht, sieht man mal vom Nobelpreis ab, den er 1998 verliehen bekam… (Wo habe ich damals eigentlich gelebt? Auf dem Mond? Reden wir nicht darüber.)
Durch eine bislang unbekannte, höchst ansteckende Infektionskrankheit erblinden binnen kurzer Zeit immer mehr Menschen schlagartig. In den ersten Tagen reagiert die Regierung mit den üblichen Epidemie-Massnahmen: Die Betroffenen werden in Quarantäne genommen. Da die Blindheit so extrem leicht übertragbar ist, gehen die Behörden allerdings auch besonders strikt vor. Eine verlassene Irrenanstalt wird als Quarantäne-Revier ausersehen, die Erblindeten am Eingang abgeladen und weggesperrt. Sie müssen sich selbst behelfen. Wer sich der Umzäunung nähert, wird von den Wachsoldaten erschossen.
Was sich nun in dem Quarantäne-Revier abspielt, dürfte den Geschehnissen in der äußeren Welt ähneln, wo die Ausbreitung der Blindheit rasant voranschreitet. Zunächst überwiegt die gegenseitige Solidariät, doch es braucht nicht viel, bis der dünne Zivilisationslack abblättert und Anarchie, Gewalt und Mord um sich greifen. Geschildert wird der rasante Verfall einer gesamten Gesellschaft.
Das Sujet hat mich sofort begeistert, vor allem vor dem Hintergrund meiner Planungen für »Pans Wiederkehr«. Denn hier haben wir eine ausgewachsene Dystopie im Hier und Jetzt. Es könnte jederzeit genau so kommen, und ich bin fest davon überzeugt, dass es genau so kommen würde, griffe eines Tages eine solche Blindheit unter uns um sich.
Nun habe ich erst einmal zwei Saramago-Titel bestellt, um die empfindliche Bildungslücke zu schließen. Den Rezensionen zufolge soll auch sein Stil sehr eigen und entdeckungswürdig sein. Ich bin gespannt.
Nachtrag: Mit 25 Jahren veröffentlichte Saramago seine erste Novelle »Terra do Pecado«. Hernach kam er zu der Erkenntnis, nichts von Bedeutung zu sagen zu haben. Eine Publikationspause von 19 Jahren folgte – dann aber ging er richtig zu Werke. Sympathisch.
Am 24. Juni 2009 um 18:26 Uhr
Lieber Benjamin, ich hoffe, dass Du Dir „Hoffnung im Alentejo“ von Saramago bestellt hast.
Die Metaphern in „Die Stadt der Blinden“ beziehen sich übrigens z.Teil auf die Zeit der Diktatur in Portugal bis zum Putsch am 25.4.74.
Sehr interessant ist auch „Das Memorial“ von ihm.
Lieben Gruss, Philine
Am 24. Juni 2009 um 21:08 Uhr
»Hoffnung im Alentejo« habe ich nicht bestellt, sondern »Die Stadt der Blinden« und »Die Stadt der Sehenden«, weil mich gerade die Dystopien so umtreiben. Aber danke für die Tipps. Außerdem sind heute gekommen: Roth’s »Portnoys Beschwerden« (zuletzt gelesen 1987) und 2x Pynchon (auf Dauer wohl nicht straffrei ignorierbar). Es gibt also erst einmal einiges zu lesen und zu goutieren.