Ein Gastbeitrag von Markus A. Hediger
••• In den beiden Schöpfungsgeschichten, wie sie in der Bibel zu finden sind, spielt Sprache eine zentrale Rolle. Obwohl die beiden Schöpfungsberichte (sowohl in den beschriebenen Ereignissen als auch in den angewandten literarischen Stilmitteln) nicht unterschiedlicher sein könnten, haben sie doch eines gemeinsam: In beiden dient Sprache in der einen oder anderen Form als Schöpfungswerkzeug. In dieser kurzen Serie von Beiträgen werde ich die Rolle der Sprache in den Schöpfungsgeschichten, wie sie in Genesis 1 und in Genesis 2 erzählt werden, etwas genauer untersuchen und aus diesen Überlegungen heraus im letzten Beitrag schließlich auch die Gründe herauszuarbeiten versuchen, die zur Vertreibung des Menschen aus dem Paradies führten.
In christlichen Kreisen wird – wenn von der Schöpfungsgeschichte die Rede ist – meist die Version aus Genesis 1 zitiert. In formelhaftem, liturgischem fast aber nichtsdestotrotz (oder vielleicht gerade deshalb) kraftvollem und poetischem Stil wird erzählt, wie Gott die Erde und die Himmel schuf. Als Kind hörte ich diese Geschichte immer und immer wieder und ich hörte sie gern. „Der Herr sprach: Es werde… Und es wurde…“ Mir gefiel das. Ich war fasziniert von diesem Wesen, das in der Lage war, durch Sprache allein aus dem Chaos diese Fülle an Dingen zu erschaffen, die mich umgaben. Was für eine Sprache war das, die so etwas vollbringen konnte? Meine Sprache besaß diese Macht über die Materie nicht. Wenn ich auf einen Brocken Erde einsprach, geschah nichts. Steine bewegten sich nicht, wenn ich sie beschwor. Das Maiskorn schlug nicht aus, wenn ich ihm befahl. Staub blieb liegen, wenn ich es aus der Ecke des Raumes zur Tür hinaus beorderte.
Je öfter ich in der Nachahmung der göttlichen Sprache scheiterte, je gründlicher ich in meinen Schöpfungsexperimenten versagte, desto neugieriger und hartnäckiger wurde ich in meiner Suche nach dem Geheimnis, der dieser Sprache zugrundelag.
Rückblickend war diese kleine Geschichte mit ihren großen Geheimnissen vielleicht der Auslöser dafür, dass ich mich für das Linguistikstudium entschloss. Ganz sicher war sie die treibende Kraft hinter meiner Leidenschaft fürs Schreiben, das – so glaubte ich lange – eine Nachahmung des göttlichen Schöpfungsprozesses war: der Schriftsteller, der durch das Wort allein Welten entstehen ließ und Schicksale zu steuern in der Lage war. Vielleicht steckte dahinter die Hoffnung, durch das eigene schöpferische Tun einen Blick in die Karten DES Schöpfers werfen zu können.
Kürzlich dachte ich darüber nach, weshalb das Buch Genesis die Schöpfungsgeschichte zweimal und auf zwei so unterschiedliche Weisen erzählt. Liest man sie hintereinander, erweckt das Buch den Eindruck, die erste Schöpfung sei – aus welchen Gründen auch immer, der Text schweigt sich darüber aus – gescheitert und habe eine zweite Erschaffung der Welt notwendig gemacht. Ein Verdacht stieg in mir auf: Die erste Schöpfung war das Ergebnis göttlicher Sprache, einer Sprache, die der Mensch nicht verstand (es war nicht seine Sprache, die die Erde und alles Leben auf ihr ordnete) und in der er folglich nicht lebensfähig war. Gott sah, was er erschaffen hatte, und sah, dass es gut war. Aber es war gut in seinen Augen, nicht jedoch in den Augen des Menschen. Erst in der zweiten Schöpfung sollte Gott es dem Menschen erlauben, die Tiere und Pflanzen selbst zu benennen.
Es war ein gewagter Verdacht und ich wollte auf Nummer sicher gehen. Also nahm ich die Bibel hervor, las die Schöpfungsgeschichte nochmals durch und erschrak: Vierzig Jahre lang war ich einem Bären aufgesessen! Vierzig Jahre lang hatte ich mich an einer Geschichte abgemüht und aufgerieben, die so in der Bibel nicht stand! Gott – musste ich lesen – hatte die Welt nicht durch die Sprache allein erschaffen. Zwar stand in Genesis 1 tatsächlich und wiederholt: »Es werde…«, »Es sammle…«, »Es wimmle…«, doch darauf folgte in den meisten Fällen nicht ein »und es wurde…« sondern: »Und Gott machte…«, »Und Gott trennte…«, »Und Gott schuf…« … Ganz unmissverständlich war zu lesen, dass auf das Wort eine Handlung folgte, dass also eine wie auch immer geartete physische Interaktion mit der Materie stattfand. Es gab gar keine göttliche Sprache, die auf magische Weise über die Materie gebot…
Mir ist im Nachhinein klar, weshalb das Christentum die Schöpfungsgeschichte zu einer Demonstration göttlicher Sprachgewalt hochstilisiert und dafür eine sorgfältige Lektüre ihres heiligen Textes geopfert hat. Das Christentum ist eine Wortreligion, nicht nur in dem Sinne, dass es sich auf eine Auswahl heiliger Texte beruft, sondern auch, weil es das Heil in der Verkündung von Gottes Wort sieht. Es ist das Wort, das den Menschen erlöst, es ist der Glaube an das Wort, das ihn von seinem Elend befreit und ihm den Weg zur Ewigkeit frei macht. Im Anfang war das Wort, heißt es zu Beginn des Johannesevangeliums: eines der schönsten aber in ihren Auswirkungen auch verheerendsten Bibelstellen, denn es bekräftigt nochmals die Herrschaftsverhältnisse: das Wort herrscht über die Materie. Die Körperfeindlichkeit, die in christlichen Kreisen noch immer weit verbreitet ist, ist eine Folge dieses Machtanspruchs des Worts.
Das Bild eines Gottes, der seine Hände schmutzig machte, als er die Welt erschuf, passt nicht in die Vorstellung eines Glaubenssystems, das die Erlösung des Geistes und den Tod als die Befreiung von den Versuchungen des Körpers herbeisehnt.
In der Zeichentheorie, die die Struktur von Zeichen und deren Interpretationsprozesse untersucht, ist viel von der unendlichen Semiose die Rede. Ein Zeichen kann in immer weitere Zeichen übersetzt werden, ein Spiel, das unendlich vorgetrieben und betrieben werden kann. Es gibt jedoch einen Punkt, in dem dieser Prozess vorübergehend seinen Finalen Interpretanten, d.h. sein Ende findet: Und das ist der Punkt, in dem die Interpretation eines Zeichens in eine konkrete Handlung mündet. Wenn etwas, das wir sehen, hören, lesen oder sagen, eine Aktion auslöst, findet die Unendlichkeit in die Gegenwart: sie wird konkret und schöpft. Schöpfung, heißt das, ist ein materieller Vorgang. Der geistige Prozess, der ihr vorangeht, ist nur das Vorspiel. Verharrt das Wort aber im Geistigen, bleibt es irrelevant.
Sprache will – und will immer – in den Körper. Gott sei Dank.
Am 16. Juni 2009 um 09:07 Uhr
@Markus: Wäre es nicht sinnvoll, den Text der fraglichen Passagen zu bringen, ggf. in unterschiedlichen Übertragungen. Ich schlage mal Buber/Rosenzweig vor. Damit wären wir so nahe wie möglich am hebräischen Original. Auch mit Zunz könnte ich dienen. Was meinst Du?
Am 4. Juni 2010 um 15:40 Uhr
Das ist aber auch wieder sehr interessant hier. – Wie gut, daß es den „Rückblick“ gibt, so kann man immer wieder was neues ergucken…! :-)
Ja, mach(t) das doch mal bitte, mit dem Original. Unbedingt. Aber nicht auf original Hebräisch bitte…! – Ach, nee, sehe gerade, das wolltet Ihr ja auch gar nicht…! :-)