Für Arye Sachs
Die Fähigkeit, ein Vogel zu sein,
ist, unter anderem, die Fähigkeit
stets ein passendes Klima zu wählen,
daher die Gabe, hoch aufzusteigen —
zu den Landschaften der Sonne.
Nicht so wie die Poeten, die all ihre Tage den Schatten
von Vögeln mit hellen Pupillen verfolgen
und die Worte wie Flugkörner hochhalten —
nur manchmal springen sie von Brücken und zerschmettern
in ihre stürmischen Gedichte hinein. Während die Vögel
gemächlich über die Brücken ziehen, über das Leben hin.
Asher Reich, aus: »akzente« 6/2008
Übersetzt von Lydia und Paulus Böhmer
••• Wie schon berichtet, bescherte mir die Lektüre von »akzente« 6/2008 eine Neuentdeckung: Asher Reich. Der israelische Lyriker wuchs genau in jenem Milieu auf, das ich in der »Leinwand« als die Kindheitsumgebung von Amnon Zichroni beschreibe. Bis zu seinem 18. Lebensjahr lebte Reich im haredischen Meah Shearim – abgeschottet von der modernen Welt.
Während jedoch Zichroni, was die Dichtung angeht, nie etwas anderes als »Leser« sein wollte, drängte es Reich zum Schreiben.
Der Schriftkundige hatte die Sprachen der Welt zu lernen, Jargon und Tonarten der profanen Zeit, politisches und technisches Vokabular des modernen Staates und seiner Propaganda, die Geheimsprachen der Liebe, des Körpers, der Seele, Dialekte des täglichen Lebens und der Straße, akademische, literarische Hypertrophien.
Christoph Meckel
Reichs erster Gedichtband erschien 1961, sechs Jahre, nachdem er aus Meah Shearim fortgezogen war. Diverse Bände folgten. Asher Reich spricht sehr gut deutsch und ist seit 1999 Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Auf Deutsch erschienen sind seine »Arbeiten auf Papier« 1992 bei Rowohlt (vergriffen) und bei Bleicher (2000) der Roman »Erinnerungen eines Vergesslichen«, von dem man noch einige antiquarische Exemplare bekommen kann. Der Roman biete – so der Klappentext – »faszinierende und anschauliche Einblicke in eine Kindheit unter orthodoxen Juden in Mea Shearim«.