Die Leinwand – Exposé

19. November 2008

••• Ein Buch verändert sich, während es entsteht. Ich hatte, als ich mit der Umsetzung der »Leinwand« begann, eine recht genaue Vorstellung von Konstruktion und Plot, bis hin zu Anzahl und Inhalt der einzelnen Kapitel. Mindestens die Hälfte des Plans hat sich während der Realisation überholt. Wenn nun die Typoscripte an die Verlage gehen, braucht es auch ein neues Exposé.

Auf einer Seite ist zu schildern, was sich im Buch auf 430 Seiten entfalten darf…

Hintergrund der Handlung

Ausgangspunkt des Geschehens ist ein Literaturskandal. Im Jahr 1995 legt der Autor Minsky das Buch »Aschentage« als authentische Kindheitserinnerungen seines Überlebens in den Vernichtungslagern von Majdanek und Auschwitz vor. Buch und Autor werden gefeiert und prämiert, die »Aschentage« vielfach übersetzt. Minsky bereist die Welt als jüngster überlebender Zeuge der Shoah und Anwalt all jener Kinder, denen die Erinnerung verboten und also ihre wahre Biographie und damit eine authentische Identität vorenthalten wurde. Einige Jahre nach Erscheinen der »Aschentage« entlarvt ein Journalist (Jan Wechsler) das Buch als Fiktion. Minsky, so ergeben die Recherchen, wurde in der Schweiz geboren und hatte die Vernichtungslager, von denen er berichtete, lediglich als Tourist besucht. Was ist Erinnerung? Was ist Identität? Und wie hängt beides zusammen? Um diese Fragen kreist die »Leinwand«.

Erzählform

Der Roman besteht aus zwei Erzählungen zu je ca. 200 Seiten. Die beiden Hauptfiguren – Amnon Zichroni und Jan Wechsler – erzählen ihre Geschichte selbst. Hinter jedem Cover des Buches beginnt ein Erzählstrang. Es ist dem Leser überlassen, wo er zu lesen beginnt. Er kann der Erzählung bis zur Mitte des Buches folgen, es dann wenden und am anderen »Anfang« weiterlesen. Auch ein kapitelweise verschränktes Lesen ist möglich. Eine verbindliche Route durch den Text gibt es nicht. Zichroni erzählt aus der Rückschau (ca. 1970-2008). Wechslers Erzählstandpunkt folgt dem Geschehen von Januar bis August 2008 mit Rückblenden bis etwa 1985.

Figuren und Plot

Amnon Zichroni ist in den 1950er Jahren in Israel geboren und verfügt über einen sechsten Sinn: Er kann die Erinnerungen anderer Menschen in allen Sinnesfacetten wahrnehmen. Er wächst im haredischen Milieu von Geula (Jerusalem) auf, kommt mit 15 zu seinem Onkel nach Zürich und besucht dort eine religiöse jüdische Schule. Seine weitere Ausbildung führt ihn nach Baltimore (Jeschiwa/Abitur), New York (Medizin- und Psychologiestudium an der Yeshiva University), Portland/Maine (Doctor in Residence in einer psychiatrischen Klinik) und wieder zurück nach Zürich (Ausbildung zum Psychoanalytiker). Dort begegnet er Minsky, bei dem er Violinunterricht nimmt. Als Freund beobachtet er die Erinnerungsarbeit Minskys und begleitet ihn später auf seinen Vortragsreisen. Der Enthüllungsskandal zerstört nicht nur das Leben von Minsky, sondern auch das von Zichroni. Obgleich er Minsky nie behandelt hat, wird ihm vorgeworfen, er habe das persönliche Desaster Minskys durch Therapiefehler herbeigeführt. Zichroni verliert seine Patienten und seine Forschungsstelle am »Institut für Parapsychologische Studien und Grenzgebiete der Psychologie« in Freiburg. Er kehrt zurück nach Israel, wohnt abgeschieden in einer jüdischen Siedlung in der Westbank und arbeitet in einer kleinen Praxis in Jerusalem weiter als Therapeut. Durch einen Zufall kommt es zu einem Wiedersehen mit Wechsler, der Zichroni in der Westbank besucht. Der über Jahre aufgestaute Zorn entlädt sich in einer Kurzschlusshandlung in einem einsamen Wäldchen nahe Jerusalem…

Jan Wechsler ist Autor, Journalist und Verleger. Über seine Biographie existieren mehrere, einander widersprechende Versionen. Zu Beginn seiner Erzählung wird ihm im Anschluss an eine Israel-Reise von der Fluggesellschaft ein Koffer zugestellt, der ihm verloren gegangen sein soll, den er aber nicht zu kennen behauptet. Dennoch bleibt der Koffer bei ihm, und ausgehend von den Gegenständen, die sich darin befinden, entfaltet sich eine für Wechsler höchst irritierende Geschichte. Dass er selbst der Enthüllungsautor sein soll, der Jahre zuvor den Minsky-Skandal ausgelöst hatte, leugnet er strikt. Er führe lediglich den gleichen Namen. Dass seine Erinnerungen und damit auch seine Behauptung, dieses Buch nicht geschrieben zu haben, fragwürdig sind, wird jedoch nach und nach klar. Wechsler berichtet von seiner Jugend in der DDR (sozialistische Schule, DDR-Leistungssport, Maueröffnung), muss aber nach und nach feststellen, dass diese Erinnerungen unmöglich wahr sein können. Die amtlichen Dokumente beweisen, dass er in Israel geboren, in der Schweiz aufgewachsen und erst nach dem Minsky-Skandal nach Deutschland gekommen ist. Wechslers Ehe droht an den unwissentlichen Lügen zu zerbrechen. Wechsler muss schließlich für möglich halten, dass er sich bewusst die erzählte falsche Biographie zugelegt hat. Er vermutet, dass er während seiner zurückliegenden Israelreise die Erinnerung an diesen Umstand und seine wahre Vergangenheit verloren hat. Aber ein Lügner mit schlechtem Gedächtnis fliegt auf. Verzweifelt unternimmt Wechsler eine weitere Reise nach Israel. Am Flughafen wird er von einem israelischen Polizeibeamten zu einer Vernehmung gebeten. Im Laufe des Verhörs stellt sich heraus, dass die Gegenstände in dem zugestellten Koffer aus Zichronis Besitz stammen. Zichroni wird seit Wechslers letztem Besuch in Israel vermisst. Wechsler steht unter Raubmordverdacht. Nach einer Nacht im Polizeigewahrsam sieht er sich beim Lokaltermin in dem Wäldchen bei Jerusalem mit der nackten Wahrheit seiner Vergangenheit konfrontiert und versucht erneut, ihr zu entfliehen…

Eine Reaktion zu “Die Leinwand – Exposé”

  1. Exposé (Agenten-Version) « Turmsegler

    […] weckt keine Erwartung, die der Text nicht unmittelbar einlösen würde. Nach Lektüre meiner Variante mag sich der Lektor nach 120 Seiten Zichroni fragen, wann denn und ob überhaupt Minsky noch […]

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