Der König David Bericht

23. Oktober 2008

Stefan Heym auf einer Lesung 1970
Stefan Heym auf einer Lesung 1970 • Foto: Lehnartz, Quelle: Ullstein

••• Ein Roman, der mich als Jugendlicher ungemein bewegt und als Autor zu Begeisterung und sogar Neid verleitet hat, ist hier noch nicht erwähnt worden. Es ist ist ein historischer Roman von ungeheuerlicher »Heutigkeit« (man verzeihe diesen Ausdruck). Der vollständige Titel ist ein wenig unhandlich:

Der Eine und Einzige Wahre und Autoritative, Historisch Genaue und Amtlich Anerkannte Bericht über den Erstaunlichen Aufstieg, das Gottesfürchtige Leben, sowie die Heroischen Taten und Wunderbaren Leistungen des David ben Jesse, Königs von Juda während Sieben und beider Juda und Israel während Dreiunddreißig Jahren, des Erwählten GOttes und Vaters von König Salomo.

Kurz: Der König David Bericht.

Es erzählt der Historiker und Schreiber Ethan ben Hoshaja, der eines Tages unverhofft zu König Salomo zitiert wird – zwecks einer besonderen königlichen Gnadenbezeugung, die ihn freilich auch Kopf und Kragen kosten könnte…

 

Und König Salomo begab sich zurück zu seinem Thron und ließ sich nieder zwischen den Cherubim. Ihre Nasen streichelnd, redete er zu mir wie folgt: „Es wird dir wohl bekannt sein, Ethan ben Hoshaja, daß mein Vater, König David, höchstpersönlich mich, seinen geliebten Sohn, zum Thronnachfolger bestimmt hat und veranlaßte, daß ich das königliche Maultier bestieg und nach Gihon ritt, um dort zum König gesalbt zu werden, und daß er auf seinem Sterbebett sich vor mir beugte und zu unserem HErrn betete, GOtt möge meinen Thron noch größer machen denn seinen eigenen.“

Ich versicherte dem König, diese Tatsachen seien mir bekannt und ich sei überzeugt, unser HErr habe das letzte Gebet König Davids erhört und werde entsprechend verfahren.

„Du wirst also erkennen, Ethan“, fuhr der König fort, „daß ich dreifach erwählt worden bin. Erstens erwählte der HErr das Volk Israel von allen anderen Völkern; sodann erwählte er meinen Vater, König David, zum Herrscher über das solcherart erwählte Volk; und schließlich erwählte mein Vater mich, um an seiner Statt zu herrschen.“

Ich versicherte König Salomo, seine Logik sei unangreifbar, und der HErr ebenso wie König David hätten keine bessere Wahl treffen können.

„Zweifellos“, antwortete der König mit einem seiner Blicke, die alles mögliche bedeuten konnten. „Doch wirst du mir zustimmen, Ethan ben Hoshaja, daß Erwählung Nummer drei nur Gültigkeit haben wird, wenn Nummer zwei unumstößlich erwiesen ist.“

„Ein Mann, der von einer Schafhürde in Bethlehem aufstieg zum Herrscher in Jerusholayim“, bemerkte Benaja ben Jehojada grimmig, „der seine sämtlichen Feinde schlug und ihre Städte unterwarf, der nicht nur den König von Moab und die Könige der Philister, sondern auch die höchst widerspenstigen Stämme Israels seinem Willen beugte: ein solcher Mann braucht weder Priester noch Prophet, noch Schreiber, um zu beweisen, daß GOtt ihn erwählt hat.“

„Aber dieser Mann ist tot!“ Der aufwallende Ärger verfärbte das königliche Antlitz. „Und vielerlei Geschichten über ihn sind im Umlauf in Israel, nutzlose, und sogar schädliche. Und so wie ich unserem HErrn einen Tempel baue, damit das Beten und Opfern auf jedem Hügel hinter jedem Dorf aufhört und die Beziehungen zwischen Mensch und GOtt unter ein einheitliches Dach kommen, so auch benötigen wir einen autoritativen, alle Abweichungen ausschließenden Bericht über das Leben, die großen Werke und die heroischen Taten meines Vaters, König David, welcher mich erwählt hat, auf seinem Thron zu sitzen.“

Sogar Benaja ben Jehojada erschrak ein wenig angesichts des königlichen Temperamentsausbruchs, obwohl er doch eine Schlüsselfigur gewesen war bei der Erwählung Salomos zum Nachfolger seines Vaters. Der König aber gebot dem Kanzler Josaphat ben Ahilud, zu sprechen.

Josaphat ben Ahilud trat vor, zog ein Tontäfelchen aus der Ärmelfalte und verlas: „Mitglieder der königlichen Kommission zur Ausarbeitung des Einen und Einzigen Wahren und Autoritativen, Historisch Genauen und Amtlich Anerkannten Berichts über den Erstaunlichen Aufstieg, das Gottesfürchtige Leben, sowie die Heroischen Taten und Wunderbaren Leistungen des David ben Jesse, Königs von Juda während Sieben und beider Juda und Israel während Dreiunddreißig Jahren, des Erwählten GOttes und Vaters von König Salomo: Josaphat Sohn Ahiluds, Kanzler; Zadok, Priester; Nathan, Prophet; Elihoreph und Ahija Söhne Shishas, Schreiber; Benaja ben Jehojada, der über das Heer gesetzt ist; Redaktor, jedoch ohne Stimmrecht. Ethan Sohn Hoshajas, aus der Stadt Esrah, Autor und Historiker. Der Bericht über den Erstaunlichen Aufstieg und so fort trägt den Arbeitstitel König-David-Bericht; und ist zusammenzustellen durch sorgfältige Auswahl aus und durch zweckentsprechende Benutzung von allem vorhandenen Material über den Erstaunlichen Aufstieg und so fort des verstorbenen Königs David, als da sind königliche Akten, Korrespondenz und Annalen, wie auch verfügbare mündliche Zeugnisse, ferner Legenden und Überlieferungen, Lieder, Psalmen, Sprüche und Prophezeiungen, insbesondere solche bezüglich der großen Liebe und Bevorzugung, die König David seinem geliebten Sohn und Nachfolger König Salomo erwiesen; und soll besagter Bericht für unsere und für alle Zeiten Eine Wahrheit aufstellen und dadurch Allem Widerspruch und Streit ein Ende setzen, Allen Unglauben an die Erwählung David ben Jesse durch unseren HErrn beseitigen, sowie Allen Zweifel an den Glorreichen Verheißungen ausmerzen, welche unser HErr betreffs Davids Samen und Nachkommenschaft gemacht.“

Josaphat ben Ahilud, der Kanzler, verbeugte sich. König Salomo sah befriedigt aus. Er winkte mich heran und sagte: „Natürlich werde ich dir helfen, Ethan ben Hoshaja, solltest du straucheln oder im Ungewissen sein, wo Irrtum liegt und wo die Wahrheit. Wann kannst du anfangen?“

Stefan Heym
aus: Der König David Bericht

3 Reaktionen zu “Der König David Bericht”

  1. La Tortuga

    Merci für den Tipp! Allein der Titel ist schon lesenswert. Unsere Bibliothek führt aber wiedermal (fast) nur „Immer sind die Weiber weg“ (wenigstens auch ein schöner Titel). :-)

    Für „Heutigkeit“ musst Du Dich gar nicht entschuldigen, wie ich finde. Dieses Wort verspricht Potenzial.

  2. La Tortuga

    Yeah. Heutig in der Ramschkiste von „ex libris“ gefunden. :-)

  3. Benjamin Stein

    Viel Vergnügen bei der Lektüre. Wird sich sicher lohnen!

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