Der finnische Ruderer Pertti Karppinen
Die Vorstellung, ein berühmter Sportler zu werden, war mir vor allem deshalb sympathisch, weil ich annahm, es brauche dafür nicht mehr als Ehrgeiz, Anstrengung und den unbedingten Willen zu siegen. Natürlich fuhr ich von Anfang an Einer, denn geteilter Ruhm kann nur halber Ruhm sein.
Ich hatte ein Plakat vor Augen, das an der Tür des Bootshauses hing und den dreimaligen Olympiasieger Pertti Karppinen in einem Rennen zeigte. Sah man dem Finnen ins Gesicht, konnte man keinen Zweifel daran haben, dass er jeden Wettkampf gewinnen konnte. Er zog die Skulls mit so gewaltiger Kraft durchs Wasser, dass sie sich wie Weidenruten bogen. Ich meinte, das Foto zeige ihn beim Start eines Rennens, während der ersten Schläge. Die Bildunterschrift belehrte mich eines Besseren.
»Pertti Karppinen im Endspurt«, stand dort.
Im Finish noch mit einer Entschlossenheit und Kraft, mit der andere vielleicht an den Start gehen … Dieses Plakat wurde für mich zum Maß der Dinge. Ich glaube nicht, dass einer meiner Sportskameraden annähernd so viel Ehrgeiz aufbrachte wie ich. Das zahlte sich aus. Bald schon hatte ich Erfolg, wenn er auch anders schmeckte, als ich es mir ausgemalt hatte.
Es muss noch ein Foto geben von mir aus dieser Zeit. Ich war gerade erst 15, aber ein Kerl wie ein Baum. Das Foto zeigt mich bei der DDR-Spartakiade während der Siegerehrung. Ich erinnere mich gut an das Rennen. Ich hatte mich derart verausgabt, dass ich es kaum noch zum Siegersteg schaffte und aus dem Boot gehievt werden musste. Als ich aufstehen wollte, knickte ich ein und ging auf die Knie. Von der Tribüne kam schallendes Gelächter. Ich glaube, allein die Wut über dieses Lachen hat mich wieder aufstehen lassen, als die Fanfare erklang und mein Name aus den Lautsprechern tönte. Die Medaille habe ich aufgehoben. Sie müsste in einem der Fächer meines Schreibtischs liegen. Ich hatte sie lange nicht mehr in der Hand.
Ein Jahr nach diesem Sieg habe ich den Sportclub verlassen. Wir wurden damals aller paar Monate diversen ausgeklügelten Belastungstests unterzogen und von Sportmedizinern ausführlich vermessen. Sie errechneten anhand der Länge von Fingergliedern, der Dicke von Hautfalten und den Testprotokollen, ob und wie viel wir noch wachsen würden. Potential wird im Rudern in Zentimetern Körpergröße gemessen. Das Urteil der Mediziner war vernichtend.
Ich sei ausgewachsen, wurde mir mit 16 beschieden, und damit mindestens 15 Zentimeter zu klein. Meine Kameraden würden mich auch mit mäßigerem Ehrgeiz bald überflügeln. Ich war nicht länger förderungswürdig und wurde aussortiert.
Ich glaube, etwa in dieser Zeit habe ich begonnen, die Existenz Gottes für möglich zu halten. Er hatte bis dahin in meinem Leben keine Rolle gespielt. Meine Annäherung an die Idee eines Schöpfers begann mit der plötzlichen Einsicht, dass man bei größtem Ehrgeiz und unter Aufbietung aller Kräfte auch im Rudern nicht alles erreichen kann, wenn eine Zutat fehlt, die nur von außen kommen kann: die Gabe – und wenn sie auch nur in langen Armen und Beinen besteht.
aus: „Die Leinwand“ (Jan Wechsler)
© Benjamin Stein (2008)
Am 1. Januar 2009 um 21:20 Uhr
[…] mein Versprechen eingelöst. Und was habe ich gefunden? Das legendäre Skiff-Duell zwischen Pertti Karppinen und Peter-Michael Kolbe bei der Olympiade 1984 in Los Angeles. Kolbe fährt auf Bahn 4, […]