Sonne mit Ente – © seelenfreunde.com
••• Kaum habe ich die Panik vor der Zielgeraden in einen Blog-Post verpackt, fließt es wieder. Das siebte Wechsler-Kapitel war plötzlich da und wollte raus, und ich habe es in einem Rutsch aufgeschrieben. Die Szene ist vorwiegend in der DDR in den 80er-Jahren. Natürlich kann ich nur Auszüge bringen. Alles andere wäre zu kitzlig, da ich mit Wechsler nun mitten im Kern-Plot stehe, den ich (noch) nicht preisgeben kann.
Ich weiß nicht, wie lange es her ist, dass ich mir erlaubt habe, so lange zu schlafen, noch dazu tagsüber. Ich schlafe nicht fest. Es ist eher ein Dämmern und Dösen, und immer wieder tauche ich ab in ausgedehnte Träume.
In einem dieser Träume sehe ich mich durchtrainiert und schwitzend in einem Skiff. Mit ruhigen, kräftigen Schlägen rudere ich über spiegelglattes Wasser. Ein Blick zur Seite, und ich weiß, dass ich auf der Großen Krampe fahre, einem schmalen See zwischen Schmöckwitz und Müggelheim, im Süden von Berlin. Ich bin allein unterwegs. Weder Motorboote noch Ausflugsdampfer sind zu sehen. Ich horche auf meinen Atem, das Rollen des Sitzes, die bei jedem Zug in den Dollen knarzenden Skulls und lausche dem Wasserprickeln an der Außenhaut meines Bootes. Ich fahre schnell, mit ruhigen, kräftigen Schlägen. Die Heckwelle schneidet einen spitzen Keil in das ruhige Wasser. Rechts und links dieser Spur drehen langsam die Strudel aus, die ich mit den Blättern ins Wasser reiße. Mein Fahren ist wie eine Meditation. Ich bin völlig versunken in die immergleichen Bewegungsabläufe, das Spannen und Entspannen der Muskeln und das tiefe, gleichmäßige Atmen. Alles ist friedlich. Doch plötzlich knallt es dumpf, und ein Ruck geht durch den Steuerbord-Skull. Dann treibt reglos eine Ente ohne Kopf an mir vorbei. Ich schaue panisch nach links auf mein Ruderblatt und entdecke eine blutige Feder an der Oberkante des Blatts. Noch ein Zug, und das Blut ist abgewaschen. Einen Moment überlege ich, ob ich anhalten und mir die Ente besehen soll. Aber es gelingt mir nicht anzuhalten. Wie ein Automat rudere ich weiter: Eintauchen, Ziehen und Treten, Umkehr, Rollen, Rollen und immer so fort. Aus einem der Strudel, die meine Schläge zurücklassen, reckt sich eine schlanke Hand, die Finger gespreizt, als wollte sie nach mir greifen und mich ins Wasser ziehen. Aber ich fahre davon, und die Hand bleibt zurück und versinkt im Strudel.
aus: „Die Leinwand“ (Jan Wechsler)
© Benjamin Stein (2008)