Lektorat (I)

22. September 2008

••• Der Wunsch wurde geäußert, ein wenig von den Erfahrungen der Lektoratsarbeit preiszugeben. Den Wunsch erfülle ich gern und bringe zwei, vielleicht drei Beispiele, die illustrieren, was mir entgangen ist, nicht aber dem strengen Blick der Lektorin.

Das erste Beispiel ist typisch.

Nathan Bollag ging ohne Zögern auf die Bitte meines Vaters ein, mich bei sich aufzunehmen. Dass sein Freund ihm derart grosses Vertrauen entgegenbrachte, schmeichelte ihm. Sich neben seinen Edelsteinen nun auch um mich, das in die Fremde verschickte schwarze Schaf der Familie zu kümmern, kam ihm gerade recht, denn indem er sich um meine Ausbildung und Erziehung bemühte, hatte er Gelegenheit, die Stichhaltigkeit seiner Ansichten unter lebendigen Beweis zu stellen. So willigte er nicht nur ein, mich aufzunehmen und alles Nötige für meine weitere Schulbildung zu veranlassen. Er lehnte es sogar ab, dass meine Eltern Kost- und Schulgeld für mich zahlten. Ich glaube, Onkel Nathan gefiel die Idee, mich quasi adoptiert zu haben – als kleinen Ausgleich für die traurige Tatsache, dass er nicht geheiratet und keine eigenen Kinder hatte.

Chassidische Jungen mit fliegenden Pajess, Kaftan und hartem runden Hut gab es in Zürich auch. Dennoch blieben meine aus Yerushalayim mitgebrachten Kleider ab sofort im Schrank.

Die Pajess zu kürzen, das kam freilich nicht in Frage, da sie gewissermaßen mein Heimfahrtticket waren und die Legende von der Verschickung in die chassidische Yeshivah in New York decken mussten. Allerdings wurden sie ab sofort nicht mehr jede Nacht sorgsam auf Lockenwicklern fixiert, und ich liess sie tagsüber nicht mehr, wie daheim in Geula, frei von den Schläfen herabhängen. Stattdessen trug ich sie, auf dem Kopf zusammengerollt, unter meiner Kippa. So sah ich in dem neuen schwarzen Anzug und dem feschen harten Borsalino – beides hatte mir Onkel Nathan unmittelbar nach meiner Ankunft gekauft – wie ein frommer Schweizer Yehudi aus und nicht mehr wie ein Abgesandter aus einem tausende Meilen weiter östlich und hundert Jahre zurück liegenden Schtetl.

Die Passage muss gestrafft und umgestellt werden. Die Reihenfolge der Argumente, warum Nathan Bollag den halbwüchsigen Zichroni bei sich aufnimmt, ist nicht stimmig. Auch einige umständliche Formulierungen, wie etwa der in Gedankenstrichen eingeschobene Nebensatz, und Wiederholungen müssen verschwinden.

Anschließend ist die Motivation Nathans glaubwürdiger, und der ganze Abschnitt, bereinigt von Redundanzen und so auch kürzer geworden, liest sich flüssiger.

Nathan Bollag ging ohne Zögern auf die Bitte meines Vaters ein, mich bei sich aufzunehmen. Er lehnte es sogar ab, dass meine Eltern Kost- und Schulgeld für mich zahlten. Ich glaube, ihm gefiel die Idee, mich quasi zu adoptieren – als kleinen Ausgleich für die traurige Tatsache, dass er keine eigenen Kinder hatte. Sich neben seinen Edelsteinen nun auch um mich, das in die Fremde verschickte schwarze Schaf der Familie zu kümmern, kam ihm gerade recht, denn indem er sich um meine Ausbildung und Erziehung bemühte, hatte er Gelegenheit, die Stichhaltigkeit seiner Ansichten unter lebendigen Beweis zu stellen.

Chassidische Jungen mit fliegenden Pajess, Kaftan und hartem runden Hut gab es in Zürich auch. Dennoch blieben meine aus Yerushalayim mitgebrachten Kleider ab sofort im Schrank. Onkel Nathan hatte mir einen schwarzen Anzug mit Weste und einen feschen harten Borsalino gekauft. Die Pajess zu kürzen, kam nicht in Frage, da sie gewissermaßen mein Heimfahrtticket waren und die Legende von der Verschickung in die chassidische Yeshiva in New York decken mussten. Aber sie wurden ab sofort nicht mehr jede Nacht sorgsam auf Lockenwickler gedreht, und tagsüber trug ich sie, auf dem Kopf zusammengerollt, unter meiner Kippa. So sah ich aus wie ein frommer Schweizer Yehudi und nicht mehr wie ein Abgesandter aus einem tausende Meilen weiter östlich und hundert Jahre zurück liegenden Schtetl.

aus: „Die Leinwand“ (Amnon Zichroni)
© Benjamin Stein (2008)

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