ashes to ashes, rust to rust – © Michel Valdrighi
Ich mag nicht allein überdrüssig sein,
ich möchte, daß du mit mir überdrüssig bist.
Wie sich nicht abgestumpft fühlen
von gewisser Asche, die herbstens
auf die Städte fällt,
etwas, das nicht mehr brennen will,
und das auf den Kleidern sich häuft
und nach und nach sinken wird,
die Herzen bleichend.
Überdrüssig bin ich des rauhen Meeres
und der geheimnisvollen Erde.
Überdrüssig bin ich der Hühner:
nie wußten wir, was sie denken,
die uns mit trockenen Augen ansehn
ohne uns wichtig zu nehmen.
Ich lade dich ein, daß auf einmal
wir so vieler Dinge überdrüssig werden,
der schlechten Apéritifs
und der guten Erziehung.
Seien wir überdrüssig, nicht nach Frankreich zu gehn,
seien wir wenigstens überdrüssig
eines oder zweier Tage in der Woche,
die immerfort gleich heißen
wie die Gerichte auf dem Tisch,
und daß wir morgens aufstehen, wozu?
und daß wir ruhmlos zu Bett gehn.
Sagen wir endlich die Wahrheit,
daß wir nie einverstanden waren
mit diesen den Fliegen und Kamelen
vergleichbaren Tagen.
Ich habe so manche Monumente gesehen,
den Titanen errichtet,
den Eseln der Tatkraft.
Dort habt ihr sie, regungslos,
die Degen in der Hand,
auf ihren trostlosen Rossen.
Ich bin der Standbilder überdrüssig.
Ich kann so viel Stein nicht mehr ertragen.
Wenn wir fortfahren, die Welt derart
mit den Regungslosen anzufüllen,
wie sollen da die Lebenden leben?
Ich bin des Gedenkens überdrüssig.
Ich will, daß, wenn er geboren wird, der Mensch
die nackten Blumen atmet,
die frische Erde, das reine Feuer,
nicht, was alle atmen.
Laßt, die da geboren werden, in Ruh!
Gebt Raum, daß sie leben!
Habt ihnen nicht alles vorgedacht,
laßt sie nicht dasselbe Buch lesen,
laßt sie das Frührot entdecken
und ihren Küssen Namen geben.
Ich will, daß du überdrüssig bist mit mir
all dessen, was da wohlbereitet ist.
All dessen, was uns altern läßt.
Dessen, was sie vorbereitet haben,
die anderen zu ermüden.
Laßt uns überdrüssig sein dessen, was tötet
und dessen, was nicht sterben will.
Pablo Neruda, aus:
„In deinen Träumen reist dein Herz“
Einhundert Gedichte • Hrsg. Fritz Rudolf Fries
Luchterhand Literaturverlag 2004
••• Das wäre das Gedicht zur Tagesstimmung gewesen – bevor sie gegen den frühen Nachmittag plötzlich kippte, als nacheinander plötzlich mehrere gute Nachrichten eingingen.
Und nun, da ich mich gar nicht mehr so sehr voller Überdruss fühle, geht mir auf, dass die Momente des Überdrusses auf gewisse Weise auch sehr bequeme Momente waren.
Zusatz: Ursula T. Rossel Escalante Sánchez hat nicht nur das Original aufgespürt. Sie hat es auch noch für uns eingelesen. 1000 Dank. Ich habe mich sehr gefreut!
Ursula T. Rossel Escalante Sánchez liest:
Pablo Neruda • Cierto Cansancio
Am 3. September 2008 um 00:18 Uhr
Dieses Gedicht passt wieder einmal wie angegossen!
Allerdings kann ich mich auch diesmal des Eindrucks nicht erwehren, dass Nerudas Gedichte in den Übersetzungen leider immer verlieren. Er ist einer dieser Dichter, bei dem sich der Übersetzer viele Freiheiten nehmen müsste, glaube ich, um die Musik des Originals aufklingen zu lassen.
(Hättest Du zufällig das Original zur Hand und, wenn ja, könntest Du es hier einstellen? Meine Bibliothek befindet sich zur Zeit leider in unhandlichen Schachteln…)
Am 3. September 2008 um 10:04 Uhr
Ich bin mit den Übersetzungen in diesem Band auch nicht glücklich. Bei diesem Gedicht hatte es sogar Interprunktionsprobleme. Ich habe es nicht übers Herz gebracht, die betreffende Zeile in der Interpunktion abzutippen, wie sie gedruckt stand.
Es ist leider nicht leicht ersichtlich, von wem das Gedicht übertragen wurde. Im Anhang wird eine ganze Reihe von Nachdichtern genannt, u. a. Fries und Erich Ahrendt. Aber es ist schwierig, die Übersetzer den bestimmten Texten zuzuordnen.
Dass man Neruda im Original lesen sollte (was ich nicht kann!) oder zumindest auch hören sollte, wird an diesem Beispiel hier überdeutlich.
Ein gewisser Neid beschleicht mich immer, wenn ich merke, welch Pathos man sich als Südamerikaner erlauben darf. Ich glaube, das hat mit der Sprachmeldodie zu tun – und mit den Temperaturen…
Am 3. September 2008 um 10:37 Uhr
Dachte mir schon, dass da was nicht passt. Weil es sich nicht so flüssig liest und als ich dann gelesen habe, dass es übersetzt wurde, wurde mir klar warum :D Hat aber gute Ansätz drinnen. Mir gefällt die Gemütsänderung vom Anfang bis zum Ende.
Am 3. September 2008 um 12:56 Uhr
Habs gefunden!
CIERTO CANSANCIO
No quiero estar cansado solo,
quiero que te canses conmigo.
Cómo no sentirse cansado
de cierta ceniza que cae
en las ciudades en otoño,
algo que ya no quiere arder,
y que en los trajes se acumula
y poco a poco va cayendo
destiñendo los corazones.
Estoy cansado del mar duro
y de la tierra misteriosa.
Estoy cansado de las gallinas:
nunca supimos lo que piensan,
y nos miran con ojos secos
sin concedernos importancia.
Te invito a que de una vez
nos cansemos de tantas cosas,
de los malos aperitivos
y de la buena educación.
Cansémonos de no ir a Francia,
cansémonos de por lo menos
uno o dos días en la semana
que siempre se llaman lo mismo
como platos en la mesa,
y que nos levantan, a qué?
y que nos acuestan sin gloria.
Digamos la verdad al fin,
que nunca estuvimos de acuerdo
con estos días comparables
a las moscas y a los camellos.
He visto algunos monumentos
erigidos a los titanes,
a los burros de la energía.
Allí los tienen sin moverse
con sus espadas en la mano
sobre sus tristes caballos.
Estoy cansado de las estatuas.
No puedo más con tanta piedra.
Si seguimos así llenado
con los inmóviles el mundo,
cómo van a vivir los vivos?.
Estoy cansado del recuerdo.
Quiero que el hombre cuando nazca
respire las flores desnudas,
la tierra fresca, el fuego puro,
no lo que todos respiraron.
Dejen tranquilos a los que nacen!.
Dejen sitio para que vivan!.
No les tengan todo pensado,
no les lean el mismo libro,
déjenlos descubrir la aurora
y ponerle nombre a sus besos.
Quiero que te canses conmigo
de todo lo que está bien hecho.
De todo lo que nos envejece.
De lo que tienen preparado
para fatigar a los otros.
Cansémonos de lo que mata
y de lo que no quiere morir.
PABLO NERUDA
Am 3. September 2008 um 13:02 Uhr
… Hab mich gleich daran versucht. Es sei vorausgeschickt: ich habe das Handwerk nicht, um Gedichte zu übertragen und mache es nur hin und wieder übungshalber. Das ist reines, stümperhaftes Intuitivwiedergeben.
Für „Überdruss“ gibt es im Spanischen mehrere Wörter: tedio, hastío, fastidio, saciedad, tener harto (etw. überdrüssig sein). Ich denke, wenn Neruda Überdruss gemeint hätte, hätte er auf eine der vielen Arten Überdruss gesagt, genau auf die Art mit der richtigen Nuance. „Cansancio“ ist schlicht Müdigkeit.
Hier also mein Freistilversuch (das getraue ich mich nur, weil ich obige Übersetzung ebenfalls ungenau finde mit teils unnötig hohem Ton – ja, weg mit dem Pathos! – und was den Rhythmus angeht, bin ich nicht besser, aber auch nicht wesentlich schlechter. :-) )
Ich will nicht alleine müde sein
Möchte, dass du mit mir müde wirst.
Wie sich nicht ermüdet fühlen
Von der Asche die im Herbst
Auf die Städte fällt
Etwas, das nicht mehr brennen will
Und sich in den Kleidern sammelt
das langsam bröckelt
und dabei die Herzen bleicht.
Ich bin des harten Meeres müde
Und der geheimnisvollen Erde.
Ich bin der Hühner müde:
Wir wussten nie, was sie denken
Sie schauen uns an mit trockenen Augen
Ohne uns Bedeutung beizumessen.
Ich lade dich jetzt gleich ein,
so vieler Dinge müde zu werden
der schlechten Aperitive
und der guten Erziehung.
Werden wir es müde, nicht nach Frankreich zu fahren! / müde wenigstens
Eines oder zweier Wochentage
Die immer gleich heissen
Wie die Gerichte auf dem Tisch
Und an denen wir aufstehen, wozu?
An denen wir ruhmlos zu Bett gehen.
Sagen wir endlich die Wahrheit,
wir waren nie einverstanden
mit diesen Tagen
die den Fliegen und Kamelen gleichen.
Ich habe einige Monumente gesehen
Errichtet für die Titanen
Für die Esel der Tatkraft.
Dort habt Ihr sie regungslos
Mit ihren Schwertern in der Hand
Auf ihren traurigen Pferden.
Ich bin der Denkmäler müde.
Ich kann nicht mehr mit soviel Stein.
Wenn wir weiterhin
Die Welt mit den Unbeweglichen füllen
Wie sollen da die Lebenden leben?
Ich bin es müde, mich zu erinnern.
Ich möchte, dass der Mensch bei der Geburt
Die nackten Blumen atme
Die frische Erde, das reine Feuer
Nicht das, was alle geatmet haben.
Lasst die in Ruhe, die geboren werden!
Lasst ihnen Raum zu leben!
Denkt nicht alles schon für sie,
lest ihnen nicht dasselbe Buch vor,
lasst sie die Morgenröte entdecken
und ihren Küssen Namen geben.
Ich möchte, dass du mit mir müde wirst
All dessen, was gut gemacht wurde.
All dessen, das uns altern lässt.
All dessen, was sie bereithalten,
um die anderen zu ermüden.
Werden wir dessen müde, was tötet
Und dessen, was nicht sterben will.
Am 3. September 2008 um 13:06 Uhr
Und wer liest das jetzt für uns ein, damit wir es auch mal HÖREN können?
Am 3. September 2008 um 16:30 Uhr
hm, dass ES übersetzt wurde ist schon irgendwie klar oder, Neruda war
schließlich kein Deutscher oder?
Ich sehe immer wieder einen Mann mit eine Hut in einen dieser lustigen
Cafes, vielleicht ist er das ja, aber meiner Meinung ist er nicht nur nicht
kein Deutscher, sondern leider auch noch gestorben.