Es tat weh

15. August 2008

Vipernspur im Sand
Vipernspur im Sand

Eli behielt Recht. Ganz gleich, wie groß meine Angst auch war, es hatte keinen Zweck, sich gegen den Ewigen und den Plan aufzulehnen, den er wohl mit mir haben musste, da er mir die Tür zu den Erinnerungen anderer geöffnet hatte.

Es brauchte lange, bis ich es begriff, und noch länger, bis ich mich damit abfinden konnte. Und es war Eli, der mir dabei half, zunächst, indem er mir den Beweis lieferte, dass von Zufall keine Rede sein konnte, und das, obwohl der Umstand, der diesen Beweis lieferte, uns beinahe die Freundschaft kostete.

Einige Wochen nach unserem Gespräch, in dessen Verlauf Eli so hitzig argumentiert und mir, statt mich zu ermutigen, eine Heidenangst eingejagt hatte, klopfte er spät abends an meine Zimmertür im Internat. Da ahnte ich noch nicht, dass ich kurz darauf Zeuge der einzigen ernsthaften Übertretung Elis werden sollte, von der ich bis heute weiß.

Mach nicht auf, sagte er, als ich gerade die Klinke herunterdrücken wollte, um ihm zu öffnen: Warte noch!

Was hast du?, fragte ich und presste mein Ohr an die Tür.

Ich brauche einen Rat, kam es kaum hörbar von draußen: Es ist etwas passiert.

Elis Stimme klang nicht, als würde er einen Spaß mit mir treiben. Das war auch nicht seine Art. Aber ich verstand wirklich nicht, warum ich ihn nicht unumwunden einlassen sollte, um das Problem mit ihm zu besprechen.

Und warum willst du nicht reinkommen?, fragte ich.

Draußen auf dem Flur blieb es ein paar quälende Sekunden lang still. Dann hörte es sich an, als würde Eli sich mit den Handflächen gegen die Tür stützen und, mit dem Mund ganz dicht am Holz, wie durch eine dämpfende Membran in mein Ohr flüstern.

Kannst Du mich sehen, Amnon?, fragte er.

Was soll der Unsinn?, erwiderte ich: Natürlich nicht.

Und du spürst auch nichts?, fragte er weiter.

Nein, antwortete ich, abgesehen davon, dass du merkwürdig bist.

Wenn du die Tür öffnest und mich ansiehst, hörte ich Eli flüstern, wirst du wahrscheinlich wissen, wie es um dich bestellt ist, ich meine, was deine Visionen angeht.

Mir lief ein Schauer über den Rücken, und ich bekam eine Gänsehaut. Wenn das ein Test oder ein Spiel sein sollte, dann mochte ich es nicht. Ich wollte wissen, was passiert war und warum Eli sich so seltsam benahm. Also wartete ich nicht länger, sondern öffnete mit einem Ruck die Tür. Dann ging alles sehr schnell, und ich bin mir nicht sicher, ob ich mich an jedes Detail erinnere oder nur an einige Bilder und die alles beherrschende aufgeladene Stimmung des Augenblicks, als Eli eintrat, auf mich zukam und mich mit beiden Händen an den Oberarmen packte.

Es tat weh, aber es war nicht Elis fester Griff, der schmerzte, sondern was geschah.

Kaum hatte er mich berührt, fühlte ich mich, wie aus der Welt gestoßen und in einem dunklen, fremden Raum ausgesetzt. Ich sah nichts, aber an meinen Schenkeln, an meinem Bauch und meinen Lippen fühlte ich fremde, weiche Haut. Ich schwitzte. Eine Welle ungeheuren Begehrens stieg in mir auf und flutete kurz darauf wie ein Fieberschauer durch Bauch und Kopf. Jemand hielt mich fest umarmt, und auch meine Hände klammerten sich um einen schmalen, angespannten Körper. Wir keuchten leise, bewegten uns und drängten uns aneinander, als wollten wir gegenseitig im anderen verschwinden.

Ich hatte nicht gewusst, dass und wie sehr ich noch immer in Rivka verliebt war. Das Begehren war übermächtig, und ihre Zärtlichkeit stachelte es nur noch weiter an. Aber langsam und dennoch unaufhaltsam kroch etwas durch meine Brust wie eine in praller Sonne aufgeheizte Viper, die sich in den Schatten zurückzieht und dabei im Sand eine Schlängellinie zurücklässt. Es war aber kein Sand, sondern meine Haut und ihre Spur ein blutender Riss. Und sie kroch unter keinen Stein, sondern tief in mich hinein und blieb dort hocken, ein giftiges Knäuel, das mir den Atem nahm.

Mindestens so stark wie das Verlangen war die ohnmächtige Eifersucht, die ich fühlte, als der Schmerz in meiner Brust nicht aufhören wollte und mir langsam klar wurde, dass ja nicht ich es war, dem Rivka ihre ganze Zärtlichkeit schenkte, sondern er: Eli.

aus: „Die Leinwand“ (Amnon Zichroni)
© Benjamin Stein (2008)

Eine Reaktion zu “Es tat weh”

  1. donna

    Was für eine Erfahrung!!! Gefällt mir!

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