Ein google-maps-Roman. Fantastisch!
aus einem Kommentar
••• Ein Google-Maps-Roman wird die „Leinwand“ nun sicher nicht werden. Es ist einfach eine Frage der Zeit-Ökonomie. Natürlich wäre ich letzte Woche lieber selbst ins Vallée de Joux gefahren. Auch nach New York würde ich nun lieber in persona reisen, zumal ich in der Bronx, wo der Wilf-Campus liegt, noch nie war. Aber das wäre ein irrer Aufwand für wenig Gewinn an Authentizität. Man muss ja bedenken, wie wenig Text aus solchen Recherchen am Ende resultiert.
Wenn sich das Vallée de Joux nicht direkt am Ende der Welt befindet, muss es doch ganz in dessen Nähe sein. Die Reise nach Le Brassus war eine Odyssee. Kurz nach halb Neun in der Früh brach ich auf und nahm vom Münchner Hauptbahnhof den Zug. Allein um nach Genf zu kommen, musste ich zweimal umsteigen, zunächst gegen Mittag in Mannheim, um drei Uhr nachmittags nochmals in Basel. Erst um sechs Uhr abends war ich in Genf.
Für die verbleibende Strecke hätte ich mir ein Taxi nehmen können, entschied mich der Aussicht wegen aber für das Regionalbähnchen von Genf nach Sentier-Orient, einer Bahnstation an der Südspitze des Lac de Joux zwischen Le Sentier und L’Orient. Der Zug bummelte durch die Landschaft, zumeist in Ufernähe an der Nordwestseite des Sees entlang.
In Sentier-Orient musste ich nur den Bahnhofsvorplatz überqueren, um zur Bushaltestelle zu kommen. Eine halbe Stunde döste ich auf der Bank. Dann kam der Bus Nr. 4235, der mich via Chez-le-Maître nach Le Brassus brachte. Dort angekommen, waren es nur noch ein paar Schritte bis zum »Hôtel des Horlogers«, einem gediegenen Urlaubs- und Wellness-Hotel, das sich an einen sattgrünen Hügelhang schmiegt und von den meisten Zimmern aus einen malerischen Blick auf den nahen See bietet.
Für das »Hôtel des Horlogers« hatte ich mich allein wegen des Namens entschieden, der wunderbar zum Zweck meiner Reise passte. Von Sauna und Jacuzzy, eleganten Salons und dem mit schweren tabakfarbenen Ledersesseln ausgestatteten Foyer hatte ich nichts geahnt, als ich das Zimmer buchte. Also war ich angenehm überrascht. Kaum etwas von dem Komfort würde ich in Anspruch nehmen. Allein die Atmosphäre jedoch sagte mir zu und ließ mich gern ankommen.
Keine dieser Beschreibungen ist handlungsentscheidend. Das sind Zwischenszenen wie in einem Film, wenn sich der Protagonist von A nach B bewegt. Aber sie helfen, einen bestimmten atmosphärischen Rahmen aufzubauen. Und dieser nun wiederum ist schon wesentlich, denn es hat einen guten Grund, dass sich einer der Protagonisten bis an dieses malerische „Ende der Welt“ zurückgezogen hat. Beide Höhepunkte im besagten Kapitel brauchen diese Kulisse, insbesondere die Begegnung Wechslers mit jenem „Zurückgezogenen“, aber auch die Katastrophe, die Wechsler vorfindet, als er vom Ende der Welt nach München zurückkehrt. Was er dort nämlich vorfindet, katapultiert nun ihn selbst mitten aus dem Leben ins völlige persönliche Abseits.
Die Orte und Fahrpläne, Naturstimmungen etc. sind also wichtig, aber wollte man sich überall hinbegeben, wo irgendwo im Roman einmal eine Szene spielt, würde man arm werden und unglaublich viel Zeit vergeuden. Bei den Eindrücken, die nichts mit dem Plot zu tun haben, aber unvermeidlich die erzählerische Phantasie anregen, käme zumindest ich schnell in die „Proust-Versuchung“, nämlich über endlose Seiten vom Geschehen abzuschweifen, um Büsche, Bäume und Passanten zu schildern… Der Ausschnitt an Fakten ist also, gegenüber der vollen persönlichen Erfahrung vor Ort, genau das, was ich brauche.
In einer persönlichen Mail schreibt ein Leser, dass es schwierig sei, sich aus den Blog-Beiträgen einen Reim auf das gesamte Buch zu machen. Das ist natürlich beabsichtigt. Ich bringe hier bewusst nur Ausschnitte. Wo ich komplette Kapitel eingestellt oder eingelesen habe, waren es Passagen, die den Kern-Plot nicht berühren. Jetzt, in der zweiten Hälfte, werden die Passagen, die hier präsentierbar sind, noch seltener werden.
Was genau die Ursache von Wechslers Aufregungen ist, wer er wirklich ist und was Zichroni und Wechsler überhaupt miteinander zu tun haben, das wird man im Buch nachlesen müssen, wenn es erscheint.