Über Schildkröten

22. Juli 2008

Riesenschildkröte (Südafrika)
Riesenschildkröte (Südafrika) – gefunden auf www.kapstadt.org

••• Die Ausgabe 6 von spa_tien ist gestern online gegangen. Unter den Beiträgen in diesem Heft hat mich eine Geschichte regelrecht erobert: „Schwarze Galle“ von Ursula T. Rossel Escalante Sánchez, Turmseglern auch unter dem Nicknamen La Tortuga bekannt. Ich denke, das darf man enthüllen, denn La Tortuga betätigt sich ja auch öffentlich als Vorsteherin (Direktorin, Hauptbeamtin, wie nennt man das?) des Postamts von Kangerlussuaq, wo sie sich auch namentlich zu erkennen gibt.

Was nun die Geschichte angeht, mit der sich La Tortuga in spa_tien 6 präsentiert: Es geht darin schon irgendwie auch um schwarze Galle; vor allem aber geht es um Schildkröten, große Schildkröten. Diese werden bekanntlich sehr alt, und zwar so alt, dass, wenn man eine menschliche Lebensspanne danebenstellt, sich letztere schnell unbedeutend ausnimmt. Kein Wunder, wenn diese Tiere weise sind. Und das sind sie, denn im Gegensatz zu uns Menschen verlieren sie im Laufe ihres Lebens kaum Worte, manche behaupten sogar: kein einziges.

Wie Ursula T. Rossel Escalante Sánchez ungewöhnliche Geschichten mit einer ungewöhnlichen Kompositionsform verbindet, beschert einfach Lese- und Entdeckerfreude.

Einen kleinen Teaser erlaube ich mir zu zitieren. In voller Länge zu finden ist der Text online auf der spa_tien-Seite und natürlich gedruckt im Heft.

 

Mein Bruder und ich waren Totgeburten; vermutlich wurden wir aus Versehen dennoch aufgezogen, obwohl unsere spätere Leistung diesen übermenschlichen Aufwand in keiner Weise rechtfertigte. Beide litten wir an einem letalen Überschuss schwarzer Galle, deren Doppelwertszeit jedoch so unmerklich langsam aufwärts tickte und noch tickt, dass kein Arzt in der Lage war, unser Gebrechen zu diagnostizieren.

Ordnung Testudinata, Unterordnung Cryptodira, Familie Testudinidae, keine näheren Angaben.

Timothy, geboren 1844 man-weiß-nicht-wo, reiste auf einer portugiesischen Freibeuterkorvette über die Weltmeere, bis diese von Kapitän John Courtenay Everard geentert wurde. Timothy befand sich unter der Beute und erlebte an Bord der „HMS Queen“ den Krimkrieg hautnah mit. Während der Bombardierung Sewastopols verzog sich Timothy in den hintersten Winkel seines Panzers. Nach weiteren ausgedehnten Seefahrten auf der „MS Princess Charlotte“ und der „MS Nankin“ verließ Timothy 1892 die britische Marine und verbrachte das Jahrhundert seines Lebensabends im Schlossgarten des Earl of Devon in Powderham. Die Gründung einer eigenen Familie scheiterte allerdings, da Timothy fälschlicherweise für männlich gehalten wurde. Die einzigen Höhepunkte ihrer späten Jahre bildeten die zahlreichen Orden und Auszeichnungen, die ihr für ihre Dienste in der Marine verliehen wurden. Im Alter von 160 Jahren tat Timothy im Morgengrauen des 4. April 2004 einen letzten Atemzug. Ihre Grabstätte befindet sich im Schlossgarten Powderham.

© Ursula T. Rossel Escalante Sánchez
aus: „Schwarze Galle“, spa_tien 6/2008

Eine Reaktion zu “Über Schildkröten”

  1. La Tortuga

    Zum Glück sieht man es nicht, wenn Schildkröten rote Ohren kriegen. :-)

    Schildkröte Harriet (beim Hibiskus-Festmahl) dankt herzlich.

    (Och, ich bin recht subaltern auf dem Postamt, ich sortiere nur Irrläufer und beantworte unzustellbare Briefe an den St. Nikolaus, den Lieben Gott, Tote, Popstars etc. Drum weiss ich nicht so genau, wie sich die Chefs eigentlich nennen, die Schildkröte und das Kamel.)

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