Ich – so groß und so überflüssig

5. Mai 2008

Nyota Thun - Ich - so groß und so überflüssig (Wladimir Majakowski. Leben und Werk)

••• Über Pessach hatte ich viel Zeit zum Lesen, und ich habe mich in eine ausführliche Majakowski-Biographie vertieft. Auf 384 engbedruckten Seiten beschreibt die Slawistin Nyota Thun Leben und Werk Majakowskis von der Kindheit in Georgien bis zu seinem Selbstmord im Jahr 1930 in Moskau.

Thuns Stil ist nicht gerade begeisternd. Wenn man irgendwann zuvor Valentin Katajews Majakowski-Erinnerungen gelesen hat, muss man eine solche wissenschaftlich zusammengestellte Biographie wohl etwas trocken finden. Aber – und zwar ein großes – das heißt nicht, dass Frau Thun nicht eine eigene, interessante Sicht auf Leben und Werk Majakowskis transportieren würde. Im Gegenteil: Sehr interessant ist ihre These, dass der eigentliche Dichter Majakowski in den persönlichen Dichtungen wie etwa „Wolke in Hosen“ zu finden sei. Während Nyota Thun in Majakowskis konfliktreicher jahrzentelanger Liason mit Lilja Brik den persönlichen Teil seines Scheiterns ausmacht, sieht sie in dem zum Propagandisten gewordenen Versemacher den Dichter gescheitert. Umso tragischer dieses künstlerische Scheitern – oder doch jedenfalls Verkümmern – als es von Majakowski programmatisch so gewollt war.

Wirklich neu war mir, wie vielseitig Makakowskis Produktion war. Dass er eigentlich als Maler begonnen hatte und später als Dichter immer auch zeichnete, sei es in vielen Folgen von Plakaten oder in Form von Karikaturen und Illustrationen. Auch an Filmen hat sich Majakowski versucht. Die meisten Drehbücher sind verloren, lediglich Plots noch rekonstruierbar.

Sehr inspiriert haben mich die Beschreibungen des regen literarischen Lebens in den ersten 30 Jahren des 20. Jahrhunderts in Russland und der späteren Sowjetunion. Was die Gruppe der Futuristen damals anstellte, bleibt auch heute den an der Literatur Interessierten einzig übrig: Selbst einen Markt zu schaffen durch die Herausgabe von Literaturzeitschriften, die gegenseitige Publikation der eigenen Werke – und sei es in Kleinstauflagen, die damals sogar mitunter handgeschrieben und hektografiert wurden! Vor allem aber: Öffentliche Auftritte, Lesungen, Podiumsdiskussionen und das Führen einer internen und auch nach aussen gerichteten Debatte über Ziele. Das Manifest des eigenen Schreibens ging bei allen dem Schreiben selbst voraus.

Insbesondere das Thema der Literaturzeitschrift hat mich betroffen gemacht. Die berühmteste der von Majakowski verantworteten Zeitschriften ist sicher LEF und später Novy LEF. Beide erlebten nicht sonderlich viele Ausgaben. Doch jede Nummer enthielt markante Werke der Futuristen und viele, wenn nicht gar überwiegend programmatische Beiträge zum Wie und Warum der (hier: futuristischen) Kunstproduktion.

Für die Zeitschrift, die ich mitverantworte, wünsche ich mir seither mehr von diesem avantgardistischen Touch: mehr Programm, mehr ausgewählte Texte, die ein Programm erkennen lassen und unterstreichen.

Darüber wird noch zu diskutieren sein…

Eine Reaktion zu “Ich – so groß und so überflüssig”

  1. perkampus

    Selbst einen Markt zu schaffen durch die Herausgabe von Literaturzeitschriften, die gegenseitige Publikation der eigenen Werke – und sei es in Kleinstauflagen, die damals sogar mitunter handgeschrieben und hektografiert wurden! Vor allem aber: Öffentliche Auftritte, Lesungen, Podiumsdiskussionen und das Führen einer internen und auch nach aussen gerichteten Debatte über Ziele.

    das ist an sich nichts ungewöhnliches. wenn man so will, ist dieses vorgehen gerade das, woran man literaturschaffende zu allen zeiten erkannt hat und noch erkennt. das problem ist ein mentalitätswandel der künstler allgemein. da fehlen die visionen, man glaubt an suggerierte auflagen, wer gegen die kanalverstopfer vorgeht, wird ins abseits gedrängt.

    wenn ich mich umsehe, erkenne ich angepasstheit, heuchelei, feigheit, neid – kurz: alles, was man auch in einer schlangengrube zu finden hofft. ignoranz ist eine form des nichtwissens, damit deckt sich heute die masse zu. was zurückbleibt, ist ekel.

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