Ein Gastbeitrag von Wladimir Majakowski
••• Das Notizbuch ist eine der Hauptvoraussetzungen für eine wirklich gekonnte Arbeit. Über dieses Büchlein wird gewöhnlich erst nach dem Ableben eines Schriftstellers geschrieben. Es liegt jahrelang in der Rumpelkammer herum, es wird posthum gedruckt im Schatten der »vollendeten Werke«. Aber für den Schriftsteller ist dieses Buch alles.
Angehenden Dichtern fehlt naturgemäß ein solches Büchlein, es fehlen Praxis und Erfahrung. Selbstgeprägte Verse sind selten, die Gedichte daher verwässert, langatmig. Ein Anfänger wird, wie begabt er auch sei, niemals auf Anhieb etwas Starkes schreiben. Andererseits ist eine Erstlingsarbeit immer »frischer«, da sie die Vorfabrikate des ganzen bisherigen Lebens enthält.
Lediglich ein Bestand an sorgfältig durchdachten Vorfabrikaten gibt mir die Möglichkeit, rechtzeitig mit einem Gedicht fertig zu werden, da die Norm meiner Ausarbeitung bei richtiger Arbeit acht bis zehn Zeilen pro Tag beträgt.
Der Dichter wertet jede Begegnung, jedes Plakat, jedes Ereignis unter allen Umständen nur als Material für Wortprägung. Früher verbohrte ich mich so in diese Arbeit, dass ich sogar Angst davor hatte, Worte und Ausdrücke auszusprechen, die ich für künftige Verse zu verwenden gedachte: ich wurde mürrisch, langweilig und einsilbig.
Es muss im Jahre 13 gewesen sein, als ich aus Saratow nach Moskau zurückkehrte und – um einer Reisegefährtin meine Ungefährlichkeit zu beweisen – erklärte, ich sei »kein Mann, sondern eine Wolke in Hosen«. Kaum hatte ich es gesagt, begriff ich, dass sich dieser Ausdruck in einem Gedicht verwenden ließ. Wenn er aber nun von Mund zu Mund ginge und sinnlos vergeudet würde? Von furchtbarer Unruhe gepackt, verhörte ich etwa eine halbe Stunde lang das Mädchen mit Hilfe von Suggestivfragen und beruhigte mich erst, als ich mich überzeugt hatte, dass meine Worte ihr schon durchs andere Ohr hinausgeflogen waren.
Zwei Jahre später verwandte ich »Wolke in Hosen« als Titel für ein ganzes Werk.
Fortsetzung folgt