EIn Gastbeitrag von Jürgen Kuri
••• Wenn ich auf den Balkon unserer Wohnung trete, fällt der Blick nahezu als Erstes auf das Straßenschild „Hammersteinstraße“. Gewundert hat mich der Name schon immer, eine Hammersteinstraße inmitten all der Chemiker und Physiker, die ansonsten den Straßen des Viertels ihren Namen geben, Hammerstein in einer Reihe mit Liebig, Fraunhofer, Bunsen, Röntgen oder Bessemer? Die Frage, wer denn nun dieser Hammerstein sei, spukte mir lange im Hinterkopf herum als etwas, das man mal nachschlagen könnte. Dann kam Hans Magnus Enzensberger mit seinem Hammerstein-Buch – und ich wünschte mir, ein flapsig hingeworfenes „So genau wollte ich das eigentlich gar nicht wissen“ hätte sich einem wie Enzensberger ohne besonderen Hinweis als Leitschnur gestellt.
Inzwischen sind die Lobeshymnen in den Feuilletons abgeklungen, die nach Enzensberger-Lektüre Kurt von Hammerstein, den letzten Chef der Heeresleitung in der Weimarer Republik, zum neuen Helden des Widerstands gegen den Faschismus ausrufen und das Lob der Faulheit singen. Ein preußischer Offizier, dessen größtes Verdienst darin zu bestehen scheint, neben den gewohnten preußischen Tugenden auch der Faulheit zu frönen – verstanden als Nichtstun, nicht etwa als Weimarer Ausgang von Paul Lafargues „Recht auf Faulheit“, das als aktiver Widerstand gegen die industrielle Revolution formuliert war. So kommt es dann, dass in den Zeitungen Bilder von Hammerstein gedruckt wurden, die ihn in Jägermontur bei einer seiner angeblich größten Freuden, der Jagd, zeigen, während die Bildunterschriften die angeblich so unpreußische Tugend der Faulheit hervorheben.
Ja, genau: Nichtstun, das ist besser als die Sekundärtugenden, mit denen man nach dem (ausnahmsweise geglückten) Bonmot des (sonst eher unsäglichen) Oskar Lafontaine*) auch ein KZ betreiben kann. Faulheit aber hilft nichts, einen Hitler verhindert man nicht, indem man bei Leuten wie Kurt von Schleicher mit abweichender Meinung vorstellig wird, die ihn unbedingt als vermeintliche Marionette der eigenen Absichten zum Reichskanzler machen wollten. Faulheit ist keine Ausrede, wenn man zuvor eine Wehrmacht mit aufgebaut hat, die sich, bei allen reaktionären Widersprüchen zum Nationalsozialismus und konservativem Naserümpfen über den Weltkriegsgefreiten, als elementare Stütze des 3. Reichs vereinnahmen ließ.
Das aber verliert sich im Ungefähren; Hammersteins Nichtstun und hilfloses Antichambrieren gegen Hitler erstrahlt dann jedoch in hellstem Licht, wenn man Enzensbergers Haltung gegenüber der Weimarer Republik folgt: „Wir sollten dankbar dafür gewesen sein, daß wir nicht dabeigewesen sind. Die Weimarer Republik war von Anfang an eine Fehlgeburt“, so seine apodiktische Beurteilung der ersten deutschen Republik. Was kann da schon helfen als Untätigkeit und die Überwinterung, angefangen 1919 im Generalstab der Freikorps unter Lüttwitz, bis hin zum Jahr 1930, als Hammerstein Chef der Heeresleitung wird. Die Pflege eines „preußischen Lebensstils“ (Enzensbeger) und der Rückzug ins Privatleben 1934, nachdem man sich als Chef der Heeresleitung noch ein dreiviertel Jahr angesehen hat, dass man Recht damit hatte, Hitler nicht zu mögen, wird zur konsequenten Widerstandshandlung – noch betont durch das so hochgelobte Verständnis für die Töchter, die mit Kommunisten anbandelten. Dieses Lob erscheint angesichts der massiven Präsenz, mit der die KPD als politische Kraft in der Weimarer Republik operierte, fast so, als würde man den Generalinspekteur der Bundeswehr heute dafür loben, dass seine Töchter sich mit Mitgliedern der „Linken“ einlassen dürfen.
Hättest Du’s besser gewusst? Keine Ahnung. Woher willst Du wissen, dass Du Dich richtig verhalten hättest? Keine Ahnung. Die Fragen kommen natürlich immer, und finden immer keine Antwort. Das ist das Privileg, das ich gerne in Anspruch nehme: Es nachträglich beurteilen zu können und daraus Schlüsse für die Zukunft – und damit das eigene Verhalten – zu ziehen. Uwe Johnson hat Enzensberger offensichtlich unterschätzt: „Offensichtlich nimmt das Offensichtliche zu an Offensichtlichkeit, wenn ein Enzensberger es sagt.“ Gut gebrüllt, aber nicht laut genug: Bei Enzensberger wird mittlerweile das Nicht-Offensichtliche zur Offenbarung: „Der tut nichts, der will ja nur spielen.“
Deutsche Hundehalter dürfen sich künftig als Vorreiter widerständiger Bewegungen sehen. Und Enzensberger kann weiter seinen Lebensabend als konservativ gewendeter Ex- Revoluzzer genießen – die Rechtfertigung fürs Nichtstun und den Genuss der Freuden arrivierten Wohllebens hat er mit seinem Hammerstein-Buch ja geliefert.
*) Stern, 15. Juli 1982, Interview mit Oskar Lafontaine: „Helmut Schmidt spricht weiter von Pflichtgefühl, Berechenbarkeit, Machbarkeit, Standhaftigkeit. Das sind Sekundärtugenden. Ganz präzis gesagt: Damit kann man auch ein KZ betreiben.“
Am 10. November 2019 um 04:58 Uhr
[…] er hat im Gegenteil einen jeden zum Manipulateur zu machen.“ In diesen Sinne ist auch die Verklärung des Kurt von Hammerstein eine gelungene Manipulation. […]