Wer die Götter vom Olymp stürzt und dem Dichterkult den Garaus zu machen sucht, das ist der Ikonoklast Karl Kraus, der wohl schwierigste Übersetzer der Shakespeare-Sonette. Der oft beschworene, als Befreiung gefeierte Tod des Autors, bei Karl Kraus findet er statt, lange bevor die Literaturwissenschaft zur öffentlichen Hinrichtung schreitet. Der Kampf um Shakespeare, um den es, wie der Titel seines Rachefeldzuges gegen Stefan George: „Sakrileg an George oder Sühne an Shakespeare?“ vermuten läßt, vermeintlich noch zu gehen scheint, offenbart sich der genaueren Lektüre und vor allem angesichts seiner eigenen Nachdichtung als ein Kampf um die Sprache, als Kampf gegen die Veräußerlichung der Sprache, gegen verblaßte poetische Klischees und sinnentleerte Phrasen einerseits und gegen Stefan George andererseits, den Gundolf als „Erneuerer der Dichtungssprache“ gefeiert hatte. Kraus wird nicht müde, Georges herrschaftliches Verhältnis zur Sprache anzuprangern, das die Sprache in der Form zu bezwingen sucht. George, von Gundolf gepriesen als „Seher und Sager der weltwirkenden Kräfte im lauteren, strengen und schweren Wort“, wird von Kraus abschätzig als Verwörtlicher bezeichnet; gegen Georges eigentümliche Wortprägungen – die für Karl Kraus, der einen wirklichen und zugleich mystischen Zusammenhang zwischen Wort und Ding annimmt, im Treibhaus gezüchtete künstliche Blüten sind, die den Bezug zum Ursprung verloren haben und deswegen lediglich sinnentleerte Ornamente bleiben – zieht er ebenso unerbittlich wie konsequent zu Felde im Namen der Sprache, um Georges „Doppelfrevel an Shakespeare und der deutschen Sprache“ offen zu legen. Eine umfassende Revision der vornehmlich von Unverständnis geprägten literaturwissenschaftlichen Einschätzung des Krausschen Verfahrens „Vom Deutschen ins Deutsche zu übersetzen“ steht noch aus; festzuhalten bleibt, daß seine Nachdichtung eine eigentümliche Zwitterstellung bekleidet: gegenüber der Umdichtung Georges ist die Übertragung von Karl Kraus zugleich in der Sprachhaltung, in dem zugrunde liegenden Sprachideal, das in den Dichtungen von Mathias Claudius und Goethe seinen reinsten Ausdruck findet, rückwärtsgewandter wie in dem vehementen Beharren auf dem Eigenleben der Sprachen moderner als die Version von Stefan George.
••• Die Quelle harschester Kritik an Georges Shakespeare-Umdichtungen, auf die der krimileser gestern hinwies, war insofern ein wenig dürftig, als der Autor im Dunkeln blieb. Glücklicherweise lässt sich bei der deutschen Shakespeare-Gesellschaft online ein wenig mehr Information zu diesem Verriss finden. Der Autor ist niemand anderes als Karl Kraus, selbst mit Shakespeare-Nachdichtungen in Erscheinung getreten (die ich auch nicht kenne, mea culpa!). Ein Rachefeldzug sei das gewesen. Aber herrjeh, wenn man es sich so gründlich verdient hat wie George mit den in dem Beitrag vorgestellten Übertragungen…
Danke nochmals für den Tip.
Am 28. April 2024 um 08:31 Uhr
Hallo Herr Kollege, tja, was soll ich sagen … Ich hätte dieses Thema anno 1992/93/94 als Forschungsthema für das Brenner-Archiv in Innsbruck (gehört als eigenständige Forschungs- und Sammlungsstelle zur Germanistik der Uni Innsbruck) bearbeiten sollen. Ich war damals jedoch schon auf dem Sprung als Lektor ans Queen Mary College (Uni London) und nicht annähernd fertig geworden …. ein riesiges Thema … seufz ….. LG (Mag. phil.) Johannes Mattivi aus 6800 Feldkirch (Austria)