••• Von Briefen ging für mich schon immer eine grosse Faszination aus. Ich habe selbst unzählige Briefe geschrieben — meine ersten Amouren waren Fernlieben; man sah sich nur alle drei Wochen, und die Zeit zwischen den Wiedersehen wurde mit täglich hin und her gehenden Briefen überbrückt. Das heisst, ich habe auch sehr viele Briefe bekommen. Immer heiss ersehnt, waren sie oft nicht weniger aufwühlend.
Aber Fazination ging auch und besonders von Briefen aus, die weder an mich gerichtet, noch von mir geschrieben worden waren. Da waren zum Beispiel die wenigen Briefe meines Urgrossvaters an meine Urgrossmutter aus dem Gestapo-Gefängnis in Leipzig, in dem er wenig später ermordet wurde. Oder der Brief, mit dem mein Vater kurz vor dem 25. Hochzeitstag seine Ehe beendete und den mir meine Mutter später zum Lesen gab. Aber da waren eben auch jene „literarischen“ Briefe, wie sie gelegentlich in Romanen vorkommen oder aus denen mitunter sogar ein ganzer Roman gebaut ist.
Einige Bücher standen bei meinen Eltern nicht im offenen Regal, sondern in einer Vitrine. Das waren die bibliophilen Stücke, die keinen Staub abbekommen und vor den Kinderhänden sicher sein sollten. Ich schnüffelte und stöberte selbstverständlich und besonders gern auch in dieser Vitrine. Und unter den so separat gehüteten Büchern fand ich eines Tages ein ganz besonderes. Es war eine Ausgabe der „Briefe der Ninon de Lenclos“ mit Kupferstichen eines Künstlers, dessen Namen mir leider entfallen ist. Ich hatte grösste Mühe beim Lesen, denn das Buch war in Fraktur gesetzt. Besonders aufregend fand ich die irgendwie ausgefransten Ränder der Seiten. Sie gaben dem Buch eine Anmutung von Handarbeit. Und tatsächlich erfuhr ich später, dass es sich noch um ein Exemplar jener Bücher handelte, die man aufschneiden musste.
Ich war damals genau im richtigen Alter, um mich anhand dieser Briefe aus dem 17. Jahrhundert über Sinn, Zweck und Beschaffenheit der Liebe zu unterrichten (14 oder 15, nehme ich an). Ich las das Buch mehrmals, begann wieder vorn, wenn ich den letzten Brief ausgelesen hatte. Und mir war klar, dass ich dieses Buch eines Tages aus meinem Elternhaus tragen müsste, um es meiner „Bibliothek“ zuzuschlagen. So kam es denn auch. Ich konnte mein dringendes Besitzbedürfnis glaubhaft machen, und meine Mutter schenkte mir schliesslich das Buch.
Leider habe ich einige Jahre später einen folgenschweren Fehler begangen: Ich habe das Buch verliehen. Und als ich es — zaghaft anfragend — nach einiger Zeit wieder zu mir holen wollte, erntete ich eine ärgerliche Absage. Nie und nimmer hätte man dieses Buch von mir geborgt. Etc. pp. Und damit war es verloren.
Auch der Herzdame habe ich, als wir uns einmal über Briefe unterhielten, davon erzählt. Und als sie nun letztens für einige Tage in Amsterdam Urlaub machte, fand sie in einem Antiquariat eine ähnliche Ausgabe eben jener Ninon-Briefe. Es ist wohl die gleiche Übersetzung (von Horst Broichstetten); die Abbildungen sind hingegen Rötelzeichnungen von Arthur Grunenberg. Ein sehr schönes und sehr gut erhaltenes Exemplar. Eben dies hat sie mir vor zwei Tagen geschenkt. Und dieses Geschenk, das nun kam bei mir an wie — ein Liebesbrief.
Am 12. Dezember 2007 um 14:17 Uhr
Ich bin mir sicher, Ninon de Lenclos hätte dem Marquis gesagt, dass Liebesbriefe nicht unbeantwortet bleiben sollten.
Am 12. Dezember 2007 um 15:37 Uhr
Der Marquis schreibt viele Liebesbriefe, von denen er nicht weiss, ob sie die Adressatin erreichen. Muss er den Stift wechseln? Das Medium? Die Sprache? Oder weiss er einfach nur nicht, was einen Liebesbrief ausmacht?
Am 3. April 2008 um 11:07 Uhr
ich glaube, dass Ninon de Lenclos nicht nur eine Vorreiterin für den auserlesenen Umgang mit Bildung in Wort und Schrift gewesen ist – ebenso ihre faszinierende Art und Weise im Umgang zum Freundschaften halten und pflegen…
ich wünschte wir hätten auch heute noch solch bezaubernde weiblichen Geschöpfe…