Teramaschine und Poesie

29. November 2007

Aus der Perspektive der Teramaschine, die keine Außenstehenden akzeptiert, ist Lyrik total daneben […] „Wie kommt man eigentlich dazu, Gedichte zu schreiben?“ […] „Man kommt selten dazu.“ Und man kommt nur dazu, wenn man es so weit kommen lässt. Für einen Menschen, der wie die Teramaschine tickt, wird es dazu nie kommen.

Lars-Arvid Brischke, in:
„Das Weltbewegende der Lyrik von heute“
BELLA Triste Nr. 19


BELLA triste Nr. 19
••• Die jüngste Ausgabe von BELLA Triste, über deren Sonderausgabe zur deutschen Gegenwartslyrik ich hier vor einigen Monaten geschrieben habe, wartet erneut mit einem Dossier zur Lyrik-Debatte auf. Unter den Essays, die zum Teil Erwiderungen auf Beiträge anderer Autoren in der Sonderausgabe sind, findet sich auch ein Beitrag von Lars-Arvid Brischke. Er trägt den Titel „Das Weltbewegende der Lyrik von heute“. Und nach meinem Empfinden umreisst Brischke in diesem Beitrag phantastisch, was sicher auch die Einlassungen von A. N. Herbst (in seiner Poetikvorlesung) sowie von Michael Perkampus in Kommentaren zu meiner Kritik an eben dieser Vorlesung im Subtext mit sich führen: das ambivalente Verhältnis zwischen Markt (bei Brischke die Teramaschine) und Dichtung (bei Brischke ganz auf Lyrik beschränkt).

Ich sehe diesen Essay als willkommenen Beitrag zur Diskussion um die Herbst-Vorlesung. Da es sich um einen Text handelt, dem (Selbst-) Marketing oder wie auch immer geartete Freund- oder Feindschaft zum Markt bzw. ihm gegenüber nun wirklich nicht vorgeworfen werden kann, könnten Brischkes Überlegungen dazu taugen, das von allen oben Genannten geäusserte Empfinden in eine nachvollziehbare und valide poetologische Aussage zu überführen, die (sogar) als Programm taugt.

Ich kann den Essay an dieser Stelle natürlich nicht vollständig bringen, aber doch die Kernaussagen exzerpieren, um sie als Diskussionsbeitrag den bisher zusammengekommenen Materialien zum Thema hinzuzufügen.

(Überlegungen Brischkes zur Poetik finden sich übrigens auch in seinem im Weblog des Metroproleten.)

 

[…] Mit dem Anspruch, autonom, subversiv und revolutionär zu sein, ist Lyrik zu allen Zeiten an- und aufgetreten. Vor weniger als einem Jahrhundert bestand die große Hoffnung darin, dass Worte, die „an den Schlag der Welt [rührten]“ nicht nur Brot, sondern auch „Maschinen, ..Traktoren, …Häuser, / Bohrtürme und Minen“ werden (Johannes R. Becher). Dieses Anrühren des Weltschlafs, als wäre es ein Zaubertrank zur Weltverbesserung, fand zeitgleich mit der Entfesselung dessen statt, was Gottfried Benn „schaurige Welt, kapitalistische Welt“ nannte. Die entwickelte sich kurz angebunden und tiefergelegt in ihrem bis heute ungebrochenen Höher-schneller-weiter-Rausch zu einer wunderbaren, schrecklichen Warenwelt mit einem Hang zum Überfluss, zu einem Fließband, das alle verband, und wurde später von Ivan Illich treffend als „Megamaschine“ etikettiert.

Aus der Mega- ist die Giga- und inzwischen die Teramaschine geworden […] Und die Teramaschine macht weiter […], ohne Unterbrechung und ohne mit der Wimper zu zucken, ja – sie hat sogar Wimpern, und sie hat mehr Augen, als es Fenster gibt –, die Teramaschine macht weiter, weil sie die meisten Menschen glauben macht, an sie glauben zu müssen, weil Menschen sie unter Verwendung ihres Herzblutes und ihrer Gedanken am Laufen halten, kurz, weil sie sie permanent mit Energie versorgen. […]

Die Teramaschine versucht, alle und alles zu vereinnahmen, ihrem Stoffwechsel einzuverleiben und damit zur permanenten Migration zu verpflichten, denn sie ist ein Energie-Junkie, ihre Energieversorgung ist immer kurz vorm Zusammenbruch […] Die Poesie ist an sich gegen diese Vereinnahmung resistent. Sie ist für die Teramaschine nicht verwertbar, hat keinen Nährwert, ist ungenießbar. Von Lyrik kann man nicht leben, weder als Dichter […] noch als Leser, noch als Literaturbetrieb oder als Teramaschine. Die Lyrik von heute verschwendet deshalb keinen Gedanken an den Stoffwechsel der Teramaschine und erteilt deren Objekten eine (Müll-) Abfuhr. Damit zeigt sie bereits unverblümt ihre Subjektivität, Souveränität und Subversivität. So interpretiere ich Steffen Popps Idee von der „Poesie als Lebensform“.

Die oft aus dem deutschen Literaturbetrieb herausschallende Forderung, die Lyrik von heute müsse wieder politischer werden, entspringt dem Geist der Teramaschine, ist eine Variation ihres Einverleibungsprinzips: Die Objekte bestimmen, was zu tun ist. Oder konkret: Das kritisch hinterfragende schiere Vorhandensein der Teramaschine soll die Vorgabe dafür liefern, wie, was, beziehungsweise worüber zu dichten ist. Reagierten die Dichter auf diese Forderung, gelänge damit doch noch der Einbau der Poesie in die Teramaschine. Das bedeutet nicht, dass politische Gedichte grundsätzlich zu ächten sind, weil man sie womöglich als Energiezufuhr für die Teramaschine interpretieren kann. Entscheidend ist, dass sie aus der Souveränität des Dichters heraus entstehen, dass die Poesie agiert und die Teramaschine reagiert (oder ignoriert) […]

Im Normalfall ist ein heutiges Gedicht ein aus funktionierenden oder defekten Teilen der Teramaschine konstruierter Tinguely-Apparat, deren Betrieb in der Logik der Teramaschine zwecklos ist, der aber – diametral zur Aufgabe der Teramaschine – Spielräume schafft, in denen Dinge und Menschen ihren Leerlauf nehmen können, ihre Muße wiedererlangen und zu sich kommen können […] Als exterritoriale Areale ermöglichen sie Ausblicke beziehungsweise Außenansichten oder Zerrspiegelbilder der Teramaschinenwelt […]

Aus der Perspektive der Teramaschine, die keine Außenstehenden akzeptiert, ist Lyrik total daneben […] „Wie kommt man eigentlich dazu, Gedichte zu schreiben?“ […] „Man kommt selten dazu.“ Und man kommt nur dazu, wenn man es so weit kommen lässt. Für einen Menschen, der wie die Teramaschine tickt, wird es dazu nie kommen.

Eine Reaktion zu “Teramaschine und Poesie”

  1. Benjamin Stein

    Update: Wie ich soeben beim Metroproleten lese, ist selbiger mitnichten das Alter Ego von Lars-Arvid Brischke und das Metroprolet-Weblog demnach auch nicht das des Autors obigen Essays.

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