••• Dass ich Raymond Queneaus „Stilübungen“ wiedergefunden habe, freut mich so ungemein, dass ich nicht wiederstehen konnte, auch eine Variation auf das Thema zu schreiben.
Und wenn wir schon dabei sind, denke ich mir, dann sollte ich die hier mitlesenden Autoren einladen, in ihren jeweils eigenen Stilen und Sichten das gleiche zu tun. Über zehn zeilen von Sudabeh würde ich mich ebenso freuen wie über eine Mandrake-Variante von Markus (quasi schon im Flieger nach Brasilien), eine surreale Sequenz von p.-s Veranda, ein satirisches Prosagedicht vom Herrn H, etwas in strengstem Versmasse vom ANH – oder oder oder…
Wer auch immer Lust hat, sich an dem Spass zu beteiligen, ist herzlich eingeladen, eine entsprechende Version bei sich im Weblog zu bringen und es die Turmsegler wissen zu lassen.
Und hier ist sie – meine Variante der Begebenheit im Bus S…
Termin am Mittag
Einserseits fand ich es praktisch, den Termin in die Mittagspause zu legen. Ein Vergnügen ist es andererseits nicht, um diese Zeit in die Stadt zu fahren. Ich hätte das Auto nehmen können, aber wo soll man parken in der Gegend um Champerret mitten am Tag? Also habe ich den Bus genommen. (Den S. Keine Ahnung, wie es kommt, dass in dieser Stadt manche Linien nummeriert sind und andere Buchstaben tragen und nach welchem Prinzip es da zugeht, wer das entscheidet. Ich würde vermuten, dass ein Bus von Contrescarpe nach Champerret vielleicht CC heissen könnte – ich erinnere mich gut an Claudia Cardinale, meine pupertären Träume, aber an keinen ihrer Filme. Aber weder C, noch 84 oder CC, sondern S. Lauter Absurditäten in diesem Leben, in dieser Stadt.)
Nein, ein Spass ist es nicht, in der Mittagshitze im vollbesetzten S durch die Stadt zu fahren. Hätte doch meine Scheu vor Menschenmengen gesiegt! Dann hätte ich das Auto genommen und würde Musik hören und mich darüber freuen, dass ich die Kosten für eine vernünftige Klimaautomatik nicht gescheut hatte. Zu spät, dachte ich mir, und mir war klar, dass ich schweissgebadet aussteigen würde in Champerret, wenn ich überhaupt ankäme, jedenfalls bei Bewusstsein.
Menschenmassen und Hitze, und dann noch so eine Versuchung direkt vorm Bauch, im Sommerkleidchen, unter dem sich ein Hintern wölbt, den man umgehend mit beiden Händen umfassen möchte, streicheln, kneten. Aber halt dich mal fest, sonst gibt es beim Bremsen oder Anfahren noch ein Malheur. Und zieh das Becken zurück, bevor du versehentlich… Sowas gibt’s ja nicht bei Frauen, und gleich gibt’s nen Skandal. Sexuelles schickt sich nicht in der Öffentlichkeit und unter Fremden.
Der Herr rechts von mir scheint aus Bayern zu kommen. Wo sonst trägt man Kordel statt Hutband? Es fehlte wirklich nur noch ein Gamsbart. Dabei ist der Kerl höchstens Mitte Zwanzig. Er reckt den Hals dem Sommerkleidchen entgegen. Das scheint eine ihm angeborene Unart zu sein, denn sein Hals sieht schon jetzt aus wie der einer Giraffe. Gaffen schadet ihren Halswirbeln und bringt sie in Schwierigkeiten… Ablenkung kann man bei solchen Aussichten natürlich nicht brauchen; und so mault er seinen Stehnachbarn an, weil der ihm im Gedränge – absichtlich natürlich – in einem fort auf die Füsse tritt.
Das Sommerkleidchen steigt aus, und der halbe Bus folgt ihm, so dass man aufatmen kann, wenn es auch schade ist. Der Bayer wirft sich sogar auf einen Platz, wie das Bauern so tun, da täuscht kein Hut drüber weg. Wenigstens ist es nicht mehr so eng. Und wenig später steigt auch er aus. Und ich komme an in Champerret, erschöpft wie nach einer Weltreise, und muss mir jetzt noch das Sommerkleidchen aus dem Kopf schlagen, sonst wäre, wenn ich nichts behalten kann, auch der Termin noch ein Fiasko und alles umsonst gewesen.
Das gelingt so leidlich. Und als ich zwei Stunden später auf dem Rückweg an der Gare Saint-Lazare vorbeikomme – diesmal sitze ich; es sind jetzt nur noch Renter, Touristen und Bummler wie ich unterwegs – da sehe ich plötztlich den Bayern wieder. Offenbar lässt er sich beraten betreffs eines Knopfes an seinem Mantel. Aber weder Knöpfe, noch Gamsbart werden ihm helfen. Sommerkleidchen und Gamsbart, das geht einfach nicht zusammen.
© Benjamin Stein (2007)
Am 15. November 2007 um 01:36 Uhr
[…] hat angesichts seiner Wiederentdeckung der Stilübungen von Raymond Queneau zum Mitmachen aufgefordert, nach folgenden dürren Geschehnissen eine Variante zu schreiben: Im Autobus der Linie S, zur […]
Am 17. November 2007 um 18:29 Uhr
Das ist richtig. Manche Blog-Plattformen (blogspot z. B.) versenden aber keine Trackback-Benachrichtigungen und nehmen auch keine an.
Am 20. November 2007 um 07:00 Uhr
[…] Dschungeln. Anderswelt schreibt, klang mir spontan wie einer weitere Stilübung auf Queneaus mittägliches Ereignis im Bus S. Wäre es nicht die Linie 68 und würden nicht Kordel und Knopf gänzlich […]
Am 21. November 2007 um 20:48 Uhr
[…] Titten. Dieser Geschäftstyp hinter ihr sieht aus, als würde er gleich ihren Hintern ein bisschen kneten. Was macht die Oma da mit Kaffeetasse in der einen und Kuchen in der anderen Hand? Und wer ist der […]
Am 21. November 2007 um 21:01 Uhr
Lieber Turmsegler,
der Trackback hat ja funktioniert, deshalb an dieser Stelle noch ein herzliches DANKE für die Einladung zum Mitmachen!
Schöne Grüße von der Freischwimmerin.
Am 25. November 2007 um 00:25 Uhr
[…] Steins Freude über den wiederentdeckten Queneau verdanken wir heute folgenden Erguss, der Benjamins Einladung zu einer Fingerübung folgt. Ich muss es vorweg nehmen: ich schieße mächtig über das Ziel hinaus, aber mir […]