••• Zu meinen Journalistenzeiten kursierte jeweils am Tag vor Redaktionsschluss ein Witz der – wenn ich mich recht erinnere – auf einen Dilbert-Cartoon zurückging.
A: Um schreiben zu können, muss ich in der richtigen Stimmung sein.
B: Und was für eine Stimmung ist das?
A: (nach einer Pause) Panik, Panik, Panik!
Der Redaktionsschluss für die spa_tien-Sonderausgabe „Was sind literarische Weblogs?“ rückt unerbittlich näher. Schlimm genug, wenn die eingeladenen Weblog-Autoren nur zögerlich liefern. Aber wenn auch die Herausgeber mit ihren Beiträgen nicht fertig werden… Jetzt grüble ich schon seit Wochen, was ich zusammenstellen und zum „Turmsegler“ schreiben könnte. Nun habe ich zumindest einen Entwurf für den Einleitungstext: Der poetische Motor.
Bevor ich aufgehört habe zu schreiben, habe ich aufgehört zu lesen. Wer nicht sprechen mag, hat keinen Verlust durch Schweigen. Nicht mehr zu lesen aber – zumindest was Dichtung betrifft – ist ein Verlust. Ich möchte wieder beginnen.
Mit diesen Worten begann der erste Beitrag meines Weblogs „Turmsegler“. Und sie waren gelogen.
Ich habe nach Erscheinen meines ersten Romans „Das Alphabet des Juda Liva“ als Journalist gearbeitet, x-hundert Seiten an Artikeln geschrieben: Kritiken, Reportagen, Meldungen – Texte mit extrem kurzer Halbwertzeit, klar, deutlich, sachlich und so weit von Literatur entfernt wie Alaska von Feuerland. Über fünf Jahre entstand in den wenigen Augenblicken des Innehaltens bei diesem Wettlauf mit dem journalistisch relevanten Tagesgeschehen ein neues Bändchen, ein poetisches Experiment, ein Balanceakt auf der Grenze zwischen Prosa und Lyrik. Und als es fertig war, meinte ich, ich hätte aufgehört, Autor zu sein. Ich hörte sogar auf, Journalist zu sein. Ich hörte auf zu schreiben. Und anders, als ich es im Auftaktbeitrag des „Turmseglers“ schrieb, habe ich es immer als einen Verlust empfunden.
Ja, es ist wahr, ich hatte auch aufgehört zu lesen und somit quasi die Nabelschnur der Inspiration durchtrennt, an der wohl jeder Künstler zumindest zeitweise hängt und hängen muss. Aber ich war nicht so einfältig zu glauben, dass die Unterbrechung der Lektüre das eigene Schweigen als Autor verursacht haben könnte. Ich wollte herausfinden, was mir den Mund zugenäht hatte. Und ich wollte herausfinden, warum ich es als Verlust empfand, wenn ich doch behauptete, gar nicht sprechen (also schreiben) zu wollen.
Warum hatte ich keine ernstzunehmenden Anstrengungen unternommen, für mein neues Buch einen Verlag zu finden? Warum stand der poetische Motor vollständig still, der doch immer zu brummen pflegte, seit ich mit etwa neun Jahren meine erste Geschichte ausgesponnen und aufgeschrieben hatte? Und warum störte mich die plötzlich eingetretene Stille?
„Ich möchte wieder beginnen.“ So stand es da. Und das traf zu. Ich bezog es zunächst auf das Lesen. Aber dahinter steckte der Wunsch, mit der Dichtung auch als Sprechender wieder zu beginnen. Ich würde aber, das war mir klar, meine Motivation hinterfragen müssen.
Zunächst plante ich, einfach Gedichte und Prosa-Exzerpte, die mir erinnerungswert schienen, zu sammeln und zu präsentieren. Davon rückte ich allerdings schon binnen einer Woche ab. Für den Turmsegler, sagte ich mir, müsste ich reflektierend lesen. Ich müsste berichten, warum ich mich an ein bestimmtes Gedicht erinnerte, warum ich ein bestimmtes Buch immer wieder oder auch nach längerer Zeit zum ersten Mal erneut in die Hand nahm. Und ich müsste berichten von der Andersartigkeit der wiederholten Leseerfahrung; denn dass ich die Texte mit zum Teil 20 Jahren Abstand ganz anders las als zu jener Zeit, da ich sie zum ersten Mal vor Augen gehabt hatte, das wurde schnell allzu deutlich.
Um beim Bild des poetischen Motors zu bleiben: Schnell stand ich wieder mit ölverschmierten Händen da, sah mich prüfen, abklopfen, schrauben und ölen. Ich begeisterte mich, und mit einem Mal sprang der Motor wieder an. Und er stotterte nicht einmal. Nein, er schnurrte.
Was die Gründe des Verstummens angeht, kann ich mich an eine Antwort nur annähern. Die alten Lügen mochte ich nicht wiederholen. Die Wahrheit aber konnte ich unmöglich preisgeben. So blieb mir gar nichts anderes übrig, als zu schweigen. Das ist eine vage Vermutung, der ich nachgehen muss.
Über die Motivationsfrage bin ich mir nach wie vor nicht im Klaren. Aber ich taste mich an eine Antwort heran. Auch einen neuen Verlag habe noch nicht gefunden. Der Anteil am „Turmsegler“, den meine neue eigene literarische Produktion ausmacht, ist denkbar gering. Aber ich stehe wieder im Diskurs. Ich lese und schreibe und habe Vergnügen daran. Der poetische Motor schnurrt. Metronom und Stichwortgeber verrichten ihren Dienst hinter den Kulissen in einer Selbstverständlichkeit, die es vor dem Verstummen nie gab. Ich schweige noch immer die meiste Zeit. Aber ich rede (also schreibe) auch – gerade so viel, dass ich die Phasen des wohl nötigen Schweigens nicht als Verlust empfinde.
PS: Welche Turmsegler-Beiträge ich darüber hinaus beisteuern werde, wird noch nicht verraten. Schliesslich soll nicht alles vorweggenommen werden.