Romane verbietet man nicht

13. Oktober 2007

Bücher, schon gar nicht Romane, verbietet man nicht. Man verbrennt sie schließlich auch nicht. Ein Land, dessen Rechtssystem nicht begreift, dass man bestimmte Bereiche der Freiheit nicht antasten darf, macht mir einerseits Angst, andererseits macht es mich wütend.

••• Maxim Billers Roman „Esra“ ist nun tatsächlich auch letztinstanzlich – vom Bundesverfassungsgericht – verboten worden. Die beiden Damen, die sich darin porträtiert fanden, haben sich somit endgültig mit ihrer Klage durchgesetzt. Sie sahen ihre Persönlichkeitsrechte verletzt. Schadenersatz und ein Verbot des Buches haben sie sich erstritten. Ich sehe darin ein erbärmliches Armutszeugnis nicht nur der deutschen Justiz sondern auch des deutschen Verständnisses von Freiheit der Kunst (und letzten Endes auch der Presse).

Es gab Zeiten, da genügte es vollauf, am Anfang oder Ende eines erzählerischen Werkes – Buch, Film, was auch immer – darauf hinzuweisen, dass Handlung und Personen frei erfunden und Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen rein zufällig wären.

Düstere Aussichten für dieses Land. Wer mag da noch erzählen oder als Journalist berichten? Den oben zitierten Worten vom Don ist nichts hinzuzufügen.

Es ist einfach nur widerlich.

Update: Die offizielle Pressemitteilung zum Urteil ist » hier zu finden. Sie enthält unter anderem auch das Sondervotum dreier Richter, die gegen das Mehrheitsvotum des Senats stimmten.

Update: Auch Alban Nikolai Herbst äussert sich zum Urteil und wird in seiner 1. Heidelberger Vorlesung darauf Bezug nehmen. Interessant finde ich seinen Standpunkt, dass allein die Gestalt(ung) die Kunst mache:

Kunst bestimmt sich eben durch die Form; der Inhalt ist – für die Definition von Kunst und also dasjenige, was die garantierte Freiheit der Kunst angeblich schützen will – völlig einerlei […]

(Das Gericht sah vielmehr den Grad der Verfremdung als Massstab des Künstlerischen an.)

13 Reaktionen zu “Romane verbietet man nicht”

  1. HerrH

    Stell Dir vor, jemand würde über Deine sexuellen Praktiken schreiben, die nur (sie) kennen kann, was würdest Du dann tun?

  2. Benjamin Stein

    Wenn nur (sie) sie kennen kann – gar nichts.

    Wohlgemerkt, es ist sicher ein Vertrauensbruch geschehen. Es ist sicher menschlich fragwürdig. Aber dass und wie Biller schreibt, dürfte der Dame bekannt gewesen sein, als sie sich mit ihm einliess. Und in der Nähe von Darstellern muss man damit rechnen, dargestellt zu werden.

  3. ksklein

    Also sich gar nicht erst auf Darsteller einlassen???

  4. Benjamin Stein

    Das möchtest du jetzt gern mit Nein beantwortet haben, gell? – Zu spät, Chérie.

  5. HerrH

    :-) ja da hast Du natürlich recht Benjamin, wenn man das vorher weiß muss sich frau fragen lassen, warum, aber Liebe, wenn es denn Liebe war hat ohnehin niemals was mit dem Verstand zu tun, aber das ist ein ganz anderes Thema.

  6. ksklein

    :D das denke ich auch. ich könnte auch nicht nein sein sagen nur weil jemand mal eventuell etwas darüber schreiben könnte.

  7. Benjamin Stein

    Update: Die offizielle Pressemitteilung zum Urteil ist » hier zu finden.

  8. Benjamin Stein

    Update: Auch Alban Nikolai Herbst äussert sich zum Urteil und wird in seiner 1. Heidelberger Vorlesung darauf Bezug nehmen. Interessant finde ich seinen Standpunkt, dass allein die Gestalt(ung) die Kunst mache:

    Kunst bestimmt sich eben durch die Form; der Inhalt ist – für die Definition von Kunst und also dasjenige, was die garantierte Freiheit der Kunst angeblich schützen will – völlig einerlei […]

    (Das Gericht sah vielmehr den Grad der Verfremdung als Massstab des Künstlerischen an.)

  9. Andrew Shields

    Kennen Sie den Fall von Birgit Kempkers Buch „Als ich das erste mal mit einem Jungen im Bett lag“? Sie hat den wirklichen Namen von dem Jungen benutzt, und das Buch musste am Ende eingestampft werden. Das war im Jahr 2000 oder so.

    Aber das war ein langes Gedicht (oder ein langer Gedichtzyklus) einer Autorin ausserhalb des Mainstreams, also hat es weniger Aufmerksamkeit auf sich gezogen als der Fall Biller, vielleicht.

  10. HerrH

    Jetzt hab ich alles verpasst :-( nur wegen dieser Missionarsstellung

  11. Wu-Lan-Tong

    Hat nicht alles irgenwo eine Verbindung zur Realität?

    Auch wenn man schreibt, Handlung etc. sei frei erfunden, gibt es irgendwo einen Aufhänger, eine Begegnung, ein Erlebnis, dass die Phantasie des Autors angeregt hat. Davon bin ich überzeugt und ich finde es auch völlig legitim, darüber zu schreiben. Zwiegespalten sind meine Gedanken da jedoch, wenn aus dem Werk hervorgeht, welche Personen konkret gemeint sind und diese eben nicht ihr Einverständnis gegeben haben.

    Wie weit die künstlerische Freiheit da gehen darf, ist ein schwieriges Problem. Generell würde ich aber nicht sagen: „Romane verbietet man nicht“ Was ist denn mit Werken, die eindeutig menschenverachtende Inhalte haben und sogar zu Verbrechen aufrufen?

  12. Benjamin Stein

    Was ist denn mit Werken, die eindeutig menschenverachtende Inhalte haben und sogar zu Verbrechen aufrufen?

    Nun, von solchen war ja hier icht die Rede. Der Titel des Beitrags ist insofern etwas überspitzt.

  13. Aufatmen für Maxim Biller « Turmsegler

    […] heftig. Darüber hinaus noch 50.000 Euro Schadenersatz zahlen zu müssen, das erschien mir bei Urteilsbegründung damals schon der […]

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