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Ich bin eifersüchtig auf Künstler, deren Depression ihre Kreativität beflügelt. (Meine scheint sie zu stoppen.)
••• Anfang der Woche hatte ich vor, meinen Beitrag für die nächste spatien-Ausgabe („Was sind literarische Weblogs?“) zu schreiben. Als Aufhänger hatte ich mir Jean-Paul Sartres Autobiographie „Die Wörter“ ausgesucht, denn er beschreibt sehr deutlich, was ja auch Tenor dieses Weblogs von Anfang an war: Schreiben beginnt mit Lesen (und Leben) und will davon begleitet sein. Entsprechend teilt Sartre seine Betrachtungen zum Thema in zwei Teile: „Lesen“ und „Schreiben“.
Zum Schreiben des Beitrags bin ich noch nicht gekommen, u. a. weil ich mich bei Sartre festgelesen habe. Es ist wirklich sehr lange her, dass ich dieses Buch zum ersten Mal gelesen habe, offenbar mit Inbrunst, denn ich habe diverse Stellen angestrichen. Solche An- und Unterstreichungen – wenn sie denn auch noch von einem selbst und Jahrzehnte alt sind – finde ich sehr spannend.
Sartres Zugang zu Büchern war von der Bibliothek, der Arbeit und den Ausführungen seines Grossvaters Charles Schweitzer geprägt. Er unterrichtete Deutsch und trug jährlich Stoff für ein in Frankreich aufgelegtes Deutsches Lesebuch zusammen. Er las – so berichtet Sartre – nach dem Tod Victor Hugos keine neuen Bücher mehr… Sartre empfand Grossvater Charles als eine Art Priester des Bücherkultes, und in einer der von mir damals angestrichenen Passagen heisst es:
Jedenfalls, so flüsterte mir der Priester dieses Kultes zu, sei das Genie nur eine geliehene Gabe: man müsse es sich durch große Leiden und durch Prüfungen, die man bescheiden, aber fest durchsteht, verdienen; dann hört man schließlich Stimmen und schreibt unter Diktat.
Davon, das kann ich versichern, war auch ich absolut überzeugt.
Heute glaube ich, dass dies zum Teil ein Missverständnis ist. Ja, Genie – oder fassen wir es ein wenig bescheidener: Talent – ist eine Leihgabe. Es will errungen sein und kann leicht verspielt, verschleudert, vergeudet werden. Auch mag es sein, dass es durch Prüfungen errungen sein will. Aber Leiden?
Ich behaupte fest, dass Depression und Leiden nicht die Motoren künstlerischer Tätigkeit sind, sondern eher der Sand im Getriebe der künstlerischen Maschine. Wo viel und intensiv gelebt wird (what goes out must have gotten in), da ist auch das Risiko von Leiden grösser. Aber das Leiden selbst ist nicht die Währung, mit der Genie „bezahlt“ wird.
Am 7. Oktober 2007 um 01:09 Uhr
[…] Kleiner Zusatz von Turmsegler.net – Einwurf zum Thema […]
Am 10. Oktober 2007 um 00:15 Uhr
[…] Warum ich Sartres “Wörter” wieder hervorgekramt habe, das habe ich schon berichtet. Nach den ersten zwanzig Seiten hätte ich nicht gedacht, ich würde mich festlesen. So ist […]
Am 12. Oktober 2007 um 12:01 Uhr
[…] verlangte uns einiges ab. Beim Nachdenken darüber streift man unweigerlich das Thema vom “Preis des Genies”, ganz unabhängig davon, dass noch lang nicht jeder Angetriebene die Stufe des unter Diktat […]