Der Dorn – © DerTeufel83@deviantart.com (2007)
Die Straße wird zu einem breiten Strich.
Die Häuser werden weiß wie eine Wand.
Die Sonne wird ein Mond. Und unbekannt,
Gleichgültig, fremd, ein jedes Angesicht.
Sie sehen aus wie Blätter von Papier,
Weiß, unbeschrieben. Aber hinten winkt
Ein schlankes blaues Kleid, das fern versinkt
Und wieder auftaucht, und sich fern verliert.
Auf seinem Nacken sitzt die Eifersucht.
Ein altes Weib, gestiefelt. Einen Dorn
Bohrt in das Hirn sie ihm, und haut den Sporn
In ihres Reittiers weicher Flanken Bucht.
Georg Heym (28.10.1910)
••• Ich weiss nicht, ob ich wirklich von mir behaupten kann, nicht besonders zur Eifersucht zu neigen. Ich erinnere mich gut an Zeiten, in denen jedes Paar, das mir auf der Strasse begegnete, mir einen Schnitt verpasste in tiefliegenden Schichten des Hirns und der Brust.
Auch erinnerere ich mich an eine ganz grausige Geschichte, in deren Verlauf ich zum Mörder hätte werden können; und ich wusste nicht, ob ich mehr entsetzt sein müsste über die eigene Raserei oder über die Ungeheuerlichkeit des Verrats. Ist es nicht eigentlich unverständlich, dass sich Liebe so oft in diesem Bottich destruktiver Passion wälzt?
Keine Sekunde meines Lebens möchte ich dem gestiefelten alten Weib mit dem Dorn nochmals begegnen.