Der abgerissene Strick

20. August 2007

Rope - © by matt-west@deviantart

Rope — © by matt-west@deviantart

Der abgerissene Strick kann wieder geknotet werden.
Er hält wieder, aber
Er ist zerrissen.

Bertolt Brecht

••• Wie oft habe ich diese Verse gelesen oder auch zitiert — und zwar immer im Zusammenhang mit Beziehungen, die, nach Verletzungen zumeist, zu zerbrechen drohten. Und ich habe dabei innerlich jeweils eifrig genickt. Aber man kann sich auch fortgesetzt heftig irren. Und das hier ist so ein Fall.

Denn es hat den einen Strick nie gegeben. Es waren schon immer zwei Stricke; und sie waren schon immer geknotet. Nicht umsonst ist eines der Synonyme für Heirat im Englischen „tying the knot“.

Nein, an der Art des Knotens liegt es, wenn so etwas reisst oder einschnürt oder abschnürt. Und man tut gut daran, einen solchen Knoten zu lösen. Und ihn geschickter neu zu binden. Der Knoten braucht all unsere Aufmerksamkeit. Er ist an diesem Strick das Wichtigste, denn er verbindet, was nicht gleich und nicht eins sein kann, aber doch — verbunden.

15 Reaktionen zu “Der abgerissene Strick”

  1. adam fliege

    Brecht hin oder her; ein Strick oder zwei Stricke – und egal, wie oft Sie diese Stelle zitiert haben: nie wäre ich auf die Idee gekommen, die Verbindung mit einem Mädchen oder einer Frau im Zusammenhang mit dieser Strick-Metapher zu sehen!

    Mir fällt jetzt die Redewendung: Wenn alle Stricke reißen ein, die etwa in der Bedeutung verwendet wird: es tritt zwar ein Notfall ein, doch es gibt immer noch einen Ausweg.

    Auch bei „Knoten“ krieg ich automatisch etwas anderes in den Sinn als eine Liebesbeziehung: z. B. sich einen Knoten ins Taschentuch machen. Hab ich – in der Vorstellung (ich denke natürlich an ein Papiertaschentuch! ) – vielleicht öfter getan, um mir etwa einen Geburtstag zu merken. (Nützt aber wenig.)

    Mit meiner langjährigen Freundin empfinde mich zwar in vielerlei Hinsicht verbunden, aber in keiner verknotet. Das wär ja noch schöner! Und noch nie hatte ich die Idee, sie wäre ein Strick um meinen Hals und ich einer um den ihren!

  2. Benjamin Stein

    Nun, vom Strick um den Hals war ja nun wirklich nicht die Rede… Aber sehen Sie – so unterschiedlich kann man Gedichte lesen. Und wohl dem, der in einer Beziehung nie einen Knoten hatte! *g

  3. Murat V

    Man könnte das Gedicht auch eher so interpretieren dass dort eine Freundschaft „abgerissen“ ist und der Knoten der wieder „geknotet“ wird, wird eine Freundschaft nie wieder zudem machen was diese Freundscshaft ausgemacht hat.

    „Wo du mich verlassen hasttriffst du mich nicht wieder“ könnte die beendigung einer Freundschaft bedeuten, aus welchen Gründen auch immer.

    Ich glaube das jeder es kennt, das wenn eine Freundschaft mal vorbei ist, so ist sie vorbei. Auch wenn man sich wieder trifft. Man trifft sich dennoch nicht wirklich. Eine Freundschaft wird nie zweimal eingegangen. Das lose Band einer Freunschaft lässt sich wieder „knoten“ aber sie ist keine Freundschaft mehr, denn der Zeitpunkt wo eine Freundschaft zustande kommt ist vorbei „triffst du mich nicht wieder“

    Oder meinte Brecht doch eine seiner zahlreichen Frauen die Ihn verlassen haben???????

  4. Benjamin Stein

    Das Gedicht stammt aus dem Material zu Brechts „Me-ti, Buch der Wendungen“ (1940). Leider habe ich es nicht zur Hand, um nachzuschlagen. Aber dass es ursprünglich um Liebe ging, ist in diesem Kontext eher unwahrscheinlich…

  5. Murat V

    Ich würde mich freuen wenn Herr Stein mir sagen könnte wie das Gedicht zu interpretieren sei, da Ich am Mittwoch eine kurze Interpretation darüber halten muss. Die Information zur Herkunft habe Ich zur Kenntnis genommen und werde sie auch in meinen Ausführungen einbauen. Aber mir fehlt leider das Buch und die Information wie Brecht das gemeint hat. Wäre schön deinerseits ein paar Info´s zu erhalten

  6. Benjamin Stein

    Selber nachfühlen und – denken, Murat. Das kann Dir keiner abnehmen. :-)

  7. Murat V

    Griinnnsss:)
    Jo werde Ich tun, und danke für die Info`s

  8. bianca

    Gibt es denn keine offizielle Aussage von Brecht zu dem Gedicht? Warum er es geschrieben hat und wie er es gemeint hat?

    Oder kann mir jemand ein Buch nennen indem ich eine Interpretation dazu finden kann?

  9. Benjamin Stein

    @bianca: Siehe oben! Lehrer behaupten das gern, aber ich glaube (und hoffe) nicht, dass ein Dichter so etwas wie eine »offizielle Aussage« dazu macht oder gemacht hat, wie ein Gedicht »gemeint sei«.

  10. bianca

    hm..ich dachte Berthold Brecht hätte es aus irgendeiner gewissen Situation heraus geschrieben…hat er wahrscheinlich auch, nur sich anscheinend nicht dazu geäußert… in dem Buch “Me-ti, Buch der Wendungen” finde ich also eine Interpretation des Gedichts? Gibt es sonst noch irgendwo Informationen dazu zu finden?

  11. Benjamin Stein

    »Me-ti« habe ich nach wie vor nicht. Ich kann also nichts weiter dazu sagen.

  12. chienetloup

    es sind nicht zwei stricke! abreissen kann nur etwas das zuvor ganz war, es ist kein gelöster knoten.

    ein riss ist etwas finales, totales, absolutes.das ende eines zustandes, man kann ähnliche zustände herbeiführen, man kann kämpfen, struggeln und vielleicht würde man damit einiges erreichen, wenn man nicht zu fixiert auf die unschuld, reinheit wär.

    die ist für immer verloren,denn „da wo du mich verlassen hast, triffst du mich nie wieder“

  13. Burkhardt

    Wer ein Gedicht verstanden hat, der hat es nicht verstanden. Sagt das euren Deutschlehrern, die immer noch glauben, es gäbe eine Gebrauchsanweisung für Kunst. Die gibt es nicht, sonst hätte Brecht anstelle dieses (schlechten) Gedichts ja gleich sagen können, was er meint. Das Zitat oben stammt übrigens von Walter Benjamin.

  14. Benjamin Stein

    @Burkhardt: Ich weiß nicht, auf welcher Basis des »Nichtverstehens« Sie dieses Gedicht als schlecht klassifizieren. Ich kann Ihr Urteil jedenfalls nicht teilen.

  15. Barbara

    Ein Gedicht interpretieren, heißt, herausfinden, welche Informationen die Textdaten vermitteln. Hier z.B. muss man von einer Beziehung ausgehen, die endet, weil Kräfte am Werk waren, die in unterschiedliche Richtungen gezerrt haben – nur so reißt ein Strick. Und die Konsequenz ist, dass jeder der beiden Teile des Stricks nun unabhängig von einander sind – dass die Beziehungspartner unterschiedliche Wege gehen, unterschiedliche Erfahrungen machen und sich unterschiedlich entwickeln. Das und nicht mehr sagt das Gedicht aus: Man begegnet nach einer Trennungszeit nicht mehr dem, den man verlassen hat – und ist ja auch selbst nicht mehr der, der man war, als die Beziehung zu Ende ging. Panta rhei, sagt Heraklit, man steigt nicht zweimal in denselben Fluss. Dem kann man nun zustimmen oder nicht: Das nennt man in der Literaturwissenschaft „Ideologiekritik“; das ist natürlich legitim – aber einfach eine andere Sache als das Interpretieren eines Textes.

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