Was ist ein Dichter? Ein unglücklicher Mensch, der heiße Schmerzen in seinem Herzen trägt, dessen Lippen aber so geartet sind, daß, während Seufzer und Geschrei ihnen entströmen, diese dem fremden Ohr wie schöne Musik ertönen. Es geht ihm, wie einst jenen Unglücklichen, die in Phalaris‘ Stier durch ein sacht brennendes Feuer langsam gemartert wurden, deren Geschrei nicht bis zu den Ohren des Tyrannen dringen konnte, ihn zu erschrecken: ihm klangen sie wie heitere Musik. Und die Leute umschwirren den Dichter und sprechen zu ihm: »Sing uns bald wieder ein Lied;« das heißt: mögen neue Leiden deine Seele martern, und mögen deine Lippen bleiben, wie sie bisher gewesen; dein Schreien würde uns nur ängsten, aber die Musik, ja, die ist lieblich. Und die Rezensenten treten herzu und sprechen: So ist es richtig; so soll es gehen nach den Regeln der Ästhetik. Nun, das versteht sich, ein Rezensent gleicht einem Dichter auf ein Haar, nur dass er nicht die Pein im Herzen, nicht die Musik auf den Lippen hat. Siehe, darum will ich lieber Schweinehirte sein auf Amagerbro und von den Schweinen verstanden werden, als Dichter sein und von den Menschen mißverstanden werden.
Sören Kierkegaard (1813-1855)
Am 11. Juni 2007 um 11:25 Uhr
traurig schmerzhaft verzweifelt = kunst
glücklich fröhlich gelassen = keine kunst
diese gleichung ist uns zu einfach.
Am 11. Juni 2007 um 20:43 Uhr
…so wie die zarten Tränen der braven Klöpplerinnen sich um so zarter schwebend auf edler, weißer Haut niederließen – endlich, endlich und für immer geadelt…“
Na, Jungs, wer sagte das?
Am 12. Juni 2007 um 08:01 Uhr
als ob man über tragik nicht lachen könnte dürfte, sollte und trotzdem bleibt es tragödie. Sören Kierkegaard hat vollkommen recht. Literatur über das Glück, das kann nur in einer Tragödie enden, oder sag mir doch mal einer einen Roman, ein Prosastück über das Glück, wenn man so etwas versucht geht es immer nur schief oder es kommt ein genialer Roman raus wie „ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot dabei.
Ein Dichter kann nur über das Unglück schreiben, für alles andere sind die Weltverbesserer da und die gibt es nicht mehr.
Am 12. Juni 2007 um 22:23 Uhr
@Rittiner & Gomez: Mir auch!
@SuMuze: Keine Ahnung. Ich dachte spontan an Gerhard Hauptmann…
Am 12. Juni 2007 um 23:37 Uhr
@hilbi: nö, scusi, aber – über unglück sich und dich zerreißen kann ein jeder. Weil es uns angreift, immer. Bei aller Widerwärtigkeit um uns, eines scheint mir anrührend und unstörbar schön: daß alle Menschen mit-leiden. barmherzig sind. Da findest du kaum Differenzen. Und deswegen ist Unglück die Bahn für Schmocks wie Kierkegaard et al. Auf der sie in dein Herz reisen können und drin ankommen, bevor du ‚3 mal schwarzer Kater‘ hast sagen können. Aber: dein Lachen sich zu nehmen, wow, das ist schwer! Im Lachen bist du gepackt und geholt. Die Langweiler versagen da, die Deppen und Blender.
Am 13. Juni 2007 um 07:23 Uhr
da lag ein böser text drin SuMuze , denn ich bin böse und verbittert wie blaue Mandeln die man in keinem Süsswarengeschäft findet.
Was aber kann denn nicht jeder SuMuze? Schreiben wie schön die Welt ist, wie gut es alle haben. Wie großartig alles verteilt ist, keiner muß unglücklich sein, keiner muss verhungern, keiner muß Angst vor einem Krieg haben? Oh wie wenig Grund gibt es da noch zu schreiben, über was denn? über trockene Strohhalme, über die Liebe, die jjungfräuliche Brunnenwasserliebe?
Was aber wenn das Brunnenwasser vergiftet ist?
Alle Dichter schreiben über das Unglück. Sag mir einer der es nicht tut und ich rede von Dichtern wie Benn, Kafka, Sontag, Jelinek Kertez, Antunes, Nadas, Hrabal und gerade über Hrabals unglückliche Geschichten kann man tatsächlich lachen, denn das ist die Größe der Literatur dass sie nicht da steht wie ein Strichmännchen dass darauf wartet dass man ihm Befehle erteilt. Literatur ist sehr wohl auch lustig, Ernst Jandl oder Artmann sind gute Beispiele und trotzdem sind sie viel mehr, in ihren witzigsten texten beschreiben sie trotzdem das große Unglück und werden nicht geschrieben weil es ihnen so gut geht.
Warum wehrt man sich so gegen das Unglück, weil es wehtut? Was tut daran weh?
Wir leben in schrecklichen Zeiten, wenn ich so etwas schreibe kann ich danach immer noch herumscherzen, Nippon essen, mich an ein Gedicht versuchen, nach draußen gehen, Tauben füttern, in die Luft sehen usw. Und trotzdem gibt es alles andere auch, es umgibt uns. „Alle glücklichen Familien sind einander ähnlich, aber jede unglückliche Familie ist auf ihre besondere Art unglücklich“, so fängt Tolstoi mit Anna Karenina an.
Aber Deine Erfahrungen mit Kierkegaard klingen besorgnisserregend, hast schlimme Erfahrungen mit ihm gemacht?
Aber ich glaube ich weiß ohnehin was Du meinst. Du meinst (vielleicht) diese Katergoien die alles andere völlig ausschliesst sei dumm, das ist sie natürlich auch, aber sagt das Kierkegaard, beeinhaltet nicht gerade die Tragödie das komische. Ich fang gleich wieder mit Beckett an, der steckt zwei Menschen in einen Mülleimer, zwei Menschen die alles bereits hinter sich haben und?
Beckett macht daraus eine Komödie.
Am 13. Juni 2007 um 07:33 Uhr
Was ist denn banaler als das Glück, wie würdest Du denn ernsthaft einen Text schreiben in dem es kein Unglück gibt?
Am 13. Juni 2007 um 13:07 Uhr
Übrigens ist das nahezu ungefiltert die Ansicht eines mir bekannten Verlegers. Einem Dichter dürfe es nicht gut gehen. Irgendwie war ich mit dieser Ansicht nicht einverstanden. Jetzt gehts mir gut, und da schauen wir: Habe ich unterdessen 10 Romane und 3 Lyrikbände produziert?
Er hatte sicher Unrecht. Dennoch.
Am 13. Juni 2007 um 17:26 Uhr
@hilbi
Du sagst: „Ein Dichter kann nur über das Unglück schreiben, …“ Und: „Alle Dichter schreiben über das Unglück.“
Ich weiß nicht, ob das stimmt. Ich habe nie nachgezählt. Wenn, dann wäre es zu traurig. Mir wäre lieber, es träfe nicht zu. Ich möchte, daß Dichterinnen über die Farbe des Himmels und das Geräusch eines tropfenden Wasserhahns schreiben. Ich möchte, daß sie nicht unglücklich sind (und du auch nicht). Ich möchte Melodien und Rhythmen hören, je verschieden, traurig, fröhlich, alles.
Ich mag keine Patent-Dichtung, davon höre und lese ich zu oft. Ich mag keine Donnerbüchsen-Dichtung. Sie machte zu schnell meine Ohren taub und meine Augen müde. Auch wo mit Kanonen nach Spatzen geschossen wird, möchte ich auf das Surren eines Floretts lauschen können und es, wenn es denn surrte, nicht verpaßen.
Aber ich schreibe das nicht vor. Nicht mal die Spatzen vor meinem Fenster gehorchen mir, warum dann sollten die Menschen mir gehorchen?
Oder zähle Worte aus und trage ihren Median vor mir her.
Ich möchte nicht groß sein, indem ich andere klein mache. Ich möchte mich nicht einmal groß reden, indem ich andere klein rede. Kein Mensch hätte das verdient.
Das zu meiner Abneigung gegen Herrn Kierkegaard.
Am 13. Juni 2007 um 18:29 Uhr
Es gibt keine PatentDichtung. Ich meine auch nicht das ein Dichter immer nur traurig und leiden muss, das heißt es überhaupt nicht. Christian Morgenstern ist gutes Beispiel dafür, oder Danill Charms. Aber das alles sagt nicht das ein Dichter aus einem Leidensprozeß her schreibt, denn er trägt doch die ganze Welt in sich spazieren und schau mal hin, in die Welt und Du wirst tiefe Abgründe sehen.
Ich habe das schon mal geschrieben, man muss nicht vierundzwanzig Stunden am Tag an das Unglück der welt denken, das ist übrigens auch nicht empfehlenswert, aber ob ein Dichter nun will oder nicht, es ist in ihm, das ganze Unglück.
Das fängt doch mit dem armen Orpheus an der sich nicht zu seiner Liebsten umdrehen darf, die ganze Zeit geht die Sache gut und er denkt, schon bald werden wir das Licht sehen und wir werden glücklich und zufrieden sein und was passiert, er dreht sich um, ja und? ist das keine Tragödie, ist das kein Leiden und das ist der Dichter.
Dass es einem der Dichter ist auch gut geht, das ist nicht einmal der Hauch eines Widerspruchs.
SuMuze, es geht nicht ums gehorchen. Es geht um das Innerste eines Dichters. Ich habe vor vierzehn Jahren bei einem Vortrag von Wolfgang Hilbig nicht verstanden was er damit meint, dass er nur „aus einem Leidensprozeß her schreiben kann.“.
Am 13. Juni 2007 um 22:45 Uhr
@hilbi
Es mag so viele Motive für das Schreiben geben wie es Schreibende gibt. Das ist Privatsache. Es zu offenbaren auch. Aber es wäre mir gleich. Ich will nicht wissen, warum ein Gedicht geschrieben wurde. Wenn das zu seinem Lesen notwendig wäre, möchte ich es nicht lesen. Ich bin keine Therapeutin. Ich konsumiere Texte, ich esse sie auf. Ihre Schreiberinnen bleiben mir fremd. Ich mag das Innere von Dichterinnen ebenso wenig wie das Innere der Fleischerin, bei der ich ein Steak kaufe. Ich mag das Steak.
Am 14. Juni 2007 um 04:11 Uhr
Am Ende hast Du Recht, am Ende zählt nur das Gedicht, aber manchmal darf man schon auch mal erwähnen warum man schreibt, man darf es nur nicht wichtiger nehmen als das schreiben an sich, da hast du recht, so und jetzt halt ich die KLappe :-)
Am 12. Oktober 2012 um 03:22 Uhr
Nichts ist leichter als zu erkennen, ob man ein Dichter ist.
Man stelle sich vor den Spiegel. Im besten Falle nackt im roten Licht eines Sommerabends.
Man fahre sich einmal sanft durchs Haar. Vom Ansatz bis tief in den Nacken, bis wo das letzte Haar noch sprießt. Bei Bedarf oder Not zünde man sich danach eine Zigarette an.
Man schaue sich tief in die Augen, bis der Blick auf der Seele grast.
Dann hole man tief Luft, so als ob man gedenke, nie mehr ausatmen zu wollen.
Schließlich, wenn es der Moment einem sagt, mache man einen Schritt nach vorne und sage mit fester, lauter Stimme: „Du bist Dichter bis dein Grabstein etwas anderes behauptet.“
Wer dann ein Lachen nicht verhindern kann, der gehe hinüber zum Zimmerfenster, öffne es erholsam weit und lausche erwartungsfroh der Nachbarschaft.