Lillebrök

3. Juni 2007

(Die Phantasiererin mit dem geisteskranken Shawl oder:
brache Wasser, stille Spucke)

Mittentaucher, Ring nach draußen
Poröse Jagd, die Oskorei
verfliedert sich bei plumpen Affen
bald ist wieder Dunkelheit

Grabgabel, Nebelung

Lautlose Zauberplakate
Manchmal umfaßt uns der Wind
Traumfabriken stehen im Sumpfland

Metastasenwände bröckeln unter den Füssen der Erbauer
Im Zementloch tanzen Ratten ihre halben Leiber fort
Können Könige viel König sein und Töchter Fotzezeigen
Können Klone nicht mehr eigen sein und Spucke rinnt dahin
Durch die Schleusen einer Zeit, die niemals war und nie vergeht
weil die Fessel der Gedanken nicht zerreißt

Der Gesichtsausdruck wird ganz gußeisern
am Schafott

Wir hören die Stimme Lillebröks:

– Ich habe getanzt und ganz nackicht hab’ ich getanzt
auf dem Dach hab’ ich getanzt
und die Welt war überhaupt ganz klein
hab’ ich getanzt und nur noch seltene Worte hab ich getanzt
und alle riefen:

Wir hören, was alle riefen:

– Lillebrök
Lillebrök
Komm runter runter Lillebrök
und laß dich in eine Decke aus Pferd hüllen
Du bist ganz weiß wie Deine Haut
lebrök

– Ja, bin ich!

Brache Wasser
Dämonen See
Siehst du?

Ebene eins

Die erste Ebene ist ja nun mal dunkel, Ebene eins
Die erst-

Ebene zwei

Wir müssen fortschreiten, ganz hinauf
und dann hinunter blicken, ganz hinab

Irrsinnsrüpel
Irrsinnsrüpel

den Gang hinaus –
nicht die Tür ins Vergessen schließen
nicht Gedanken hinabspülen
solange das Leben noch am Bahnhof steht
nicht das Licht ansehen
nicht die Dunkelheit aus dem Fenster werfen
keine Füllworte überlegen

Jetzt! Ficken! (Wie es geht entnehmen sie dem beiliegenden Pornobegleitheft)
Eins und zwei (Bitte überprüfen Sie zunächst, ob alle Teile mitgeliefert wurden)
und Klitoris reiben (vorher befeuchten sie die Schellackrillen ihrer Finger)
und drei und vier
(unterscheiden Sie zwischen keuchen und schreien, gurren und stöhnen)
die Eichel massieren sie am Spalt (achten sie auf den Blick)
und fünf und sechs
gefällt es dir denn auch
und sieben und acht (wir wünschen Ihnen in jedem Fall Erfolg)

In der Schule

– Lillebrök, nimm den Shawl ab, s ist Sommer!
– Sommer ist es nicht und war es nie!
– Lillebrök! Tu’ was ich dir sage!
– Ich tu’ es nein und tu’ es nein und tu’ es nicht und tu’ es nie!
– Lillebrök! Dann mußt du zum GERÄT!

– Ich habe getanzt und ganz nackicht hab’ ich getanzt
auf dem Dach hab’ ich getanzt
und die Welt war überhaupt ganz klein
hab’ ich getanzt und nur noch seltene Worte hab’ ich getanzt

Und Lillebrök wurde zum GERÄT geschleift

© Michael Perkampus (2007)
aus dem Zyklus: „Ouroboros Stratum“

 

Michael Perkampus••• Michael Perkampus ist ein Besessener. Der Dybbuk in ihm heisst Literatur; und es ist schwer, die Übergänge zwischen dem Menschen Perkampus und seinem Dybbuk auszumachen. Die Grenze ist unscharf. Er liebt das Spiel mit diesen Verwischungen. Sein Weblog „in progress“ zeigt dies eindrücklich. Und wer die „Show“, die Inszenierung für ihn selbst nimmt, erliegt der Täuschung des Dybbuks, der kichernd im Schnürboden der Bühne von Visionen bauchredet. Das ist durchaus gewollt. Der Autor gehört für p.- mit zum Werk, geht in ihm auf oder das Werk in ihm. Die Tonwerke und Podcasts, in denen Perkampus dann auch tatsächlich als Interpret mit seinen Texten verschmilzt, tun ein Übriges dazu.

Das ist, wenn man einen Zugang sucht zu dieser Lyrik, nicht unbedingt ein Vorteil. Die Texte selbst machen es dem Leser bereits nicht leicht. Und ich – das räume ich unumwunden ein – musste mehrere Anläufe unternehmen. Ich musste den Autor (sprich: seine Interpretation im Tonwerk) zu Hilfe nehmen, nur um dann neuerliche Mühen aufzuwenden, diesen ungemein präsenten Autor wieder loszuwerden, um mit den Texten und nur mit ihnen allein sein zu können. Erst als mir dies gelungen war, öffnete sich für mich plötzlich der Garten dieser Dichtung; und ich konnte in ihm umhergehen – durch Feen- und Pansgärten, durch ein völlig fremdes Haus.

Fremd ist mir dieses Haus, weil Ratio die Quelle dieser Dichtung ist. Der Ratio folgen die Bilder, der Ratio folgt die Form. Diese Dichtung steigt nicht aus einem Bauch herauf, sondern stürmt aus einem Kopf (der in blonden Wuschelflammen steht). Mir ist das fremd; aber ich habe mich mit diesem Fremden angefreundet. Gefreundelt hat es, als ich mich in einer der raren ruhigen Stunden mit den Zyklen „Ouroboros Stratum“, „Timber“ und „Die Glyphen von L’abyr“ zurückgezogen habe und sie Stück für Stück in einem Zug lesen konnte. Die „Lillebrök“ ist ein guter Einstieg. Diverses für Perkampus Exemplarische lässt sich an diesem Gedicht zeigen.

Glatte Abbildung von Welt gilt dem Autor wenig bis nichts. Insbesondere in den Dichtungen verlegt er Kamera und Mikrofon konsequent in den Kopf seiner Figuren. Der Dybbuk im Autor hält beides in Händen. Die Figuren sind in aller Regel Persönlichkeitssplitter des immer gleichen Autoren-Ichs. Die Kamera folgt den Visionssprüngen des besessenen Hirns, führt ein, bricht ab, setzt fort – immer wieder unterbrochen von anderen Eindrücken.

Wir müssen fortschreiten, ganz hinauf
und dann hinunter blicken, ganz hinab

Das ist durchaus Manifest. Perkampus kommt von der Psychologie her. Er stellt dem Denken nach, das eben assoziativ funktioniert, springt, hier und dorthin gleitet, sich immer auch ablenken lässt. Ebenfalls aus der Psychologie speist sich das immer wieder auftauchende Element der Ebene. Angedeutet sind damit verschiedene Ebenen des Bewußtseins – nennen wir es mal mit dem Freudschen Vokabular Ich, Es und Über-Ich. Der gleiche Eindruck wird durch die Schleusen der unterschiedlichen Wahrnehmungsebenen – von reflektiert bis animalisch – geschleust und so immer wieder anders verfremdet oder verdeutlicht: Ganz hinaufsteigen, um ganz hinab blicken zu können. So ist es nur folgerichtig, dass Duktus, Wortschatz und Form innerhalb eines Textes immer wieder gebrochen werden. Auf tiefe Poesie folgt die Mechanik verschleimter Geschlechtsteile, die nahtlos übergeht in die übliche Anbahnung der Fesselung einer kindlichen Psyche.

Lillebrök ist somit eigentlich nicht nur ein Gedicht sondern ein konzentrierter Zyklus – mehrere Gedichte in einem. Perkampus führt diese Methodik in den Zyklen „Timber“ und „Glyphen“ fort, bei denen sich die Gesamtdichtung erst ergibt aus der Folge der Einzeltexte, die ineinander übergehen, sich aufeinander beziehen, sich gegenseitig beleuchten.

Perkampus‘ Dichtung ist ein abgeschlossenes Reich. Er setzt die Grenzen, er macht die Regeln, er gibt Bühne und Personage ab. Von dem, was wir Welt nennen, scheint Perkampus sich abzuwenden. Was er sieht, refelektiert und damit auch in seine Dichtung transportiert, ist diese ganz eigene Welt, sind seine Visionen und seine Dichtung selbst. Unproblematisch ist das nicht. Wenn der Zugang zum Werk nur über die Person des Autors selbst oder aber über intellektuelle Signale möglich ist, wenn also emotionale Anknüpfungspunkte für eine Identifikation rar werden, verengt sich der Zugang zur Höhle dieser Dichtung und wird zum Spalt, durch den immer weniger Leser sich noch werden zwängen wollen und noch wenigere können.

Das wäre tragisch. Denn was alles sich an Menschlichem (Lieben, Leiden, Kämpfen, Erdulden) in seinem Erfahrungsschatz findet, würde manch anderem für zweieinhalb Leben reichen. So ist es gar nicht problematisch, wenn er, wie er es von sich fordert, das Haus nicht mehr verlässt. Aber ich warte auf die siedenden Töpfe der Ebene 0, wo das Blut pulst und die Neuronen glühen, wo das Menschliche, ganz Persönliche pulst. Ich habe manchmal das Gefühl, dass Perkampus hier den Deckel (noch) nicht aufheben, diesen Aufguss nicht ins Kopfkino vordringen lassen möchte. Das ist vielleicht der Dybbuk in ihm, der Leben und Dichtung als Schauspiel vorführt. Und Schauspieler halten mit Kalkül immer etwas – und vielleicht das Essentielle – hinter Kostüm und Schminke verborgen.

Michael Perkampus liest: Lillebrök
aus dem Tonwerk: „Ouroboros Stratum“

6 Reaktionen zu “Lillebrök”

  1. ksklein

    zum lesen geht das gedicht gut, nur zum anhören nicht. beim zuhören spielt für mich die stimme eine wichtige rolle. perkampus hat eine sehr schöne stimme, die sich wunderbar dafür eignet. allerdings gefällt mir die art des vortragens gar nicht (nicht nur bei diesem gedicht).
    es erinnert mich irgendwie an die predigten in der kirche aus kindheits- und jugendtagen. und beim zuhören von gedichten möchte ich keine predigten hören.

  2. perkampus

    was ich bereits zum zweiten mal höre und was nicht stimmt: predigerstimme. meine liebe, waren sie jemals im theater? tatsächlich ist das timbre, das ich benutze (es wechselt ja ständig, weil ich mit meiner stimme nahezu alles machen kann) und das hier „predigerstimme“ genannt wird – ich weiss SCHON, woher das kommt – ein teilweise verstärktes tremolo, das man grundsätzlich beherrschen muss, will man vortragen. nun geht es natürlich nicht um den vortrag allein, wer wäre ich, dass ich nicht wüsste, dass auch diese (notwendige) art der zelebration nicht jedermanns sache sein kann, sein will. so ist es meist mit außergewöhnlichen interpretationen. so wird dem einen meine stimme nicht passen, dem anderen der vortrag, wieder einem anderen die grandiosen effekte. sie sehen, wie es ist.

    aber wie lese ich denn nun? ich lese die dinge so, wie sie gelesen werden müssen, das ist wichtig zu wissen.

    aber eine tragende, in den tiefen hertzzahlen liegende vibration als „predigt“ aufzufassen, verrät – um den kreis zur psychologie zu schließen – ein stück vom hörer.

    ich ziehe mir den satz heraus, in dem sie bekennen, dass es ihnen nicht gefällt. das hat erstens mehr unaffektierte klasse und stimmt zweitens. den rest, der falsch interpretiert ist, habe ich gerade richtig gestellt.

  3. Timber « Turmsegler

    […] Im Beitrag von gestern kamen die Zyklen “Timber” und “Die Glyphen von L’abyr” bereits zur […]

  4. Juni, Drei, Sieben « P.-’s Veranda

    […] und folgendes entdeckt, das laut Benjamin erst zum morgigen tag aufflackern sollte. Tatsächlich schafft es Benjamin […]

  5. Juni, Zwei, Sieben « P.-’s Veranda

    […] und folgendes entdeckt, das laut Benjamin erst zum morgigen tag aufflackern sollte. Tatsächlich schafft es Benjamin […]

  6. Eusebia tralala

    Love You…. nach wie vor!

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