Ignaz

1. Juni 2007

Nach Iswaly mußte er im Waggon eines Güterzuges fahren, zusammen mit Schweinen, die auf ihren dicken, fetten Hintern saßen und grunzten. Die Schweine wurden als Zuchttiere zu einem reichen Gutsbesitzer geschickt; ein Gärtner des Gutsherrn begleitete den Transport. Es war ein sauberer, stiller Mann, der früher im Haus bedienstet gewesen war. Außer ihm, Ignaz und den Schweinen reiste noch ein Jude in dem Güterwagen, ein Mann mit großem Kopf, krausem, ergrautem Haar und Bart, mit einer Brille, einen steifen Hut auf dem Kopf; sein fußlanger Mantel war an manchen Stellen noch dunkelblau, aber an vielen Stellen bereits abgeschabt und hellblau; die Taschen saßen ganz tief. Er schwieg die ganze Zeit, war nachdenklich, ernst, trank Tee und summte irgendeine Melodie. Der Gärtner schlummerte. Die Schweine saßen in dem Holzverschlag, mit grauen Wolldecken zugedeckt, auf denen gestickte Initialen und Kronen prangten. Es dämmerte, der Wind trug Schnee durch die offene Tür herein und zerrte an dem feuchten Stroh unter den Schweinen. Die Felder schimmerten in trübem Weiß, die dunklen Sträucher fingen den Rauch aus der Lokomotive auf. Ignaz wurde von einer tiefen, unerklärlichen Schwermut gequält. Mit gerunzelten Brauen, die Zähne fest zusammengebissen, stand er an der Tür, knackte Sonnenblumensamen und schielte zu dem Juden hinüber. Der Jude saß auf einer umgestürzten Kiste und hielt in seiner großen, mit violetten Adern bedeckten Hand eine Tasse Tee. Die Schalen der Sonneblumenkerne flogen mit dem Wind, eine Schale fiel in die Teetasse. Der Jude blickte lange und erregt durch seine Brille auf Ignaz. Ignaz wartete ab, was der Jude sagen würde, um ihm bei seinen ersten Worten mit dem Stiefel in die Brust zu stoßen. Aber der Jude sagte nichts: er erhob sich nur und goß den Tee absichtlich ganz dicht neben Ignaz‘ Füßen aus, neben seinen breiten, flachen Militärstiefel.

Ivan Bunin, aus der Erzählung „Ignaz“

••• Eine Probe der Buninschen Prosa wollte ich nach dem vorletzten Beitrag doch nicht schuldig bleiben.

Eines ist mir an Bunin wie auch an seinem Schüler Katajew aufgefallen. Sie betreiben extensiv, was mir einst in einer Rezension zum „Juda Liva“ als unerträgliche erzählerische Anfängerkrankheit angekreidet wurde: die Charakterisierung von Personen über ihre Kleidung. Ich kann mir einerseits bis heute nicht erklären, warum das ein erzählerischer Fehltritt sein soll; andererseits ist diese Kritik offenbar so tief in mich eingesickert, dass ich dergleichen seither nicht nur entschieden zu vermeiden suche, sondern auch immer wieder, wenn ich wie hier auf eine entsprechende Passage bei einem anderen Autor stoße, sofort an jene Rezension erinnert bin. Und jedesmal frage ich mich aufs Neue: Hat dieser Rezensent einfach Unsinn geschrieben? Hat er Recht? Hat er einfach zu viele Russen gelesen, denen diese Art der Figurenbeschreibung allgemein ein liebgewonnenes Stilmittel ist?

Und ich gestehe, bei allem Nachdenken darüber habe ich bis heute keine schlüssige Antwort. Aber einen untergründigen Zorn habe ich, dass ich mich von einem Rezensenten so stark in der Wahl meiner Mittel habe beeinflussen lassen, ohne wenigstens eine handfeste Begründung für seine entschiedene Aussage erhalten zu haben.

2 Reaktionen zu “Ignaz”

  1. rr

    ..ich sehe nicht ein, warum dies ein fehltritt sein sollte?? zur personenbeschreibung gehört nun einmal immer auch die kleidung, denn diese sagt sehr viel über den charakter des menschen aus, denke ich. das heisst ja nicht, dass man urteilt. das gehört einfach zum ganzen!

  2. Hilbi

    Ich finde auch dass das kein Fehltritt ist, im Gegenteil. Dostojewski und die ganzen anderen machen das dauernd. Also stehst Du da in bester Tradition, auch eine Personenbeschreibung mag ich ab und zu sehr unterhaltsam finde*, obwohl, ich glaub Nabokov wars, der den Turgenjew deswegen kritsierte.

    *= ich bin Hesse

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