Beängstigender Realismus

1. Juni 2007

Ivan Bunin••• Als ich zum erstenmal Katajews „Gras des Vergessens“ las, konnte ich von Ivan Bunin kein einziges Gedicht, keine Erzählung auftreiben. Online-Portale für Bibliophile gab es damals noch nicht. Solcherlei musste damals in Antiquariaten erstöbert werden. Das war mühsam. Bei manchen Autoren war es auch nicht vielversprechend. Bunin, obgleich Nobelpreisträger, zählte zu den hoffnungslosen Beschaffungsfällen – jedenfalls dort, wo ich lebte: auf der Sibirien zugewandten Seite des Eisernen Vorhangs. Jetzt habe ich endlich die Lektüre nachgeholt. Gedichte von ihm habe ich immer noch nicht ins Haus bekommen; dafür aber einen Band mit Erzählungen.

Ich kann nur allen, die hier mitlesen und selbst schreiben, dazu raten, sich Prosa von Bunin zu beschaffen. Sein Realismus ist beängstigend. Da ist nichts zu viel, alles am richtigen Ort und alles und jedes mit wenigen Strichen wie fotografiert.

Aber ja, das ist natürlich mega-out, ruft’s da aus dem postmodern sozialisierten Publikum. Alles Unfug!, dachte ich mir heute. Was gäbe das für Geschichten ab, meinetwegen Romane, die sich all jenen magischen, sogar mystischen Sujets zuwenden, bizarrste Visionen schildern und Gegen- und Parallelwelten – jedoch in der Klarheit, Unverkünsteltheit und Plastizität des Buninschen Realismus…

Nicht auszudenken.

Für sachdienliche Hinweise auf brauchbare Übertragungen von Bunin-Gedichten ins Deutsche wäre ich sehr dankbar

17 Reaktionen zu “Beängstigender Realismus”

  1. perkampus

    Hüstel…

    das ist natürlich ganz unmodern, ruft’s da aus dem postmodern sozialisierten Publikum

    Well, ein faux-pas.

  2. Hilbi

    Hier sind Gedichte von Ivan Bunin.

  3. Benjamin Stein

    @Hilbi: Merci vielmals. Man müsste Suchmaschinen bedienen können….

    @perkampus: Wo ist der faux-pas? Halten Sie den Scheinwerfer drauf, Herr p.-!

  4. Der Rhythmus « Turmsegler

    […] Und dank Hilbi hier eine lyrische Ergänzung zum letzten Beitrag. Ich kann ja nichts dafür: Schon wieder ein Sonett!

  5. perkampus

    @ Benjamin: Hab ich, per mail.

  6. ksklein

    Ist ja langweilig. Wir wollen das auch lesen!

  7. SuMuze

    Was gäbe das für Geschichten ab, meinetwegen Romane, die sich all jenen magischen, sogar mystischen Sujets zuwenden, bizarrste Visionen schildern und Gegen- und Parallelwelten – jedoch in der Klarheit, Unverkünsteltheit und Plastizität des Buninschen Realismus…

    Ein leiser Verdacht: es bliebe nicht sehr viel Magisches, Mystisches, Visionäres, kaum etwas wäre noch gegen-parallel-drüber-neben-drunter! Oder?

  8. Benjamin Stein

    @SuMuze: Aber warum denn? Auch in den Gegenwelten gibt es Dinge und Wesen zu beschreiben. Die Frage lautet also: Haben diese Dinge und Wesen nicht die gleiche Sorgfalt und Treffsicherheit der Beschreibung verdient wie Bunins „unmagische“ Dinge und Figuren?

    @ksk (und all jene, die per Mail nachgefragt haben): p.- fragte zu Recht an, warum ein postmodern sozialisiertes Publikum dies unmodern finden sollte. Beides sind ja sehr unterschiedliche Begriffe. Aber Herr p.- ist ein sehr fleissiger Autor und stürzte sich nach der Stippvisite hier umgehend wieder in seinen Lebensinhalt: Literatur!

  9. SuMuze

    @Benjamin: siehe H.P. Lovecraft – d.h. ich meinte nicht, daß du dort nicht sorgfältig beschreiben kannst und solltest, sondern daß nicht viel Magisches etc. bleibt

  10. Benjamin Stein

    @SuMuze: Dann missverstehen wir uns noch immer. Ich meine, es gibt solche Meisterschaft in der Beschreibung heute kaum noch, wenn nicht gar nicht mehr. Und ich meine: Magisches entsteht nicht durch Verschweigen. Es ist magisch an sich. Ich möchte die magischen Welten ebenso plastisch nahegebracht bekommen, wie es Bunin in seinen Erzählungen gelingt, die keinerlei magischen Anspruch erheben.

  11. Hilbi

    Salman Rushdie ist ein Meister der Beschreibung, J.M Coetzee ist es ebenso, auch Elfriede Jelinek ist wenn sie denn mal eine Sache in die Hand nimmt eine ganz großartige Beschreiberin und Antonio Lobo Antunes ist ein Meister der Beschreibung, man braucht sich was die Weltliteratur betrifft überhaupt keine Sorgen machen.

  12. Benjamin Stein

    auch Elfriede Jelinek ist wenn sie denn mal eine Sache in die Hand nimmt eine ganz großartige Beschreiberin

    Bei allem Entgegenkommen, Hilbi, aber Elfriede Jelinek… Nein, über diese Brücke geh ich wirklich nicht.

  13. Hilbi

    Man muss nicht über jede Brücke gehen, selbst wenn sie noch so stabil und groß ist :-)

  14. SuMuze

    @Benjamin:
    Ich denke nicht, daß wir uns noch mißverstehen. Wir sind schlichtweg unterschiedlicher Meinung.

    Für mich ist Akkuratesse der Beschreibung überall unverzichtbar, ob nun gezielt wird auf Magisches oder Profanes, unterscheidet sie doch Geschwätz von (tja, fällt mir so recht kein nicht-abgedroschener Name ein, nehme ich halt:) ‚Texten, die ich schätze und gerne lese‘.

    Aber: Beschreibungen sind für mich immer Mischungen aus Öffnen und Verschließen (um anzugeben mal dieser Verweis: wie Musik aus Tönen und den Pausen zwischen den Tönen entsteht). Nichts wirkt in meinen Ohren alberner als der Versuch, alles zu sagen. Womöglich noch schonungslos.

    Und Magisches entsteht für mich aus der Ahnung um ein prinzipielles Dahinter, dem Hocken auf und Gucken von einer finalen Mauer – nicht aus dem Herunterklettern und dahinter Herumlaufen.

  15. Benjamin Stein

    Akkuratesse der Beschreibung

    … und genau darauf wollte ich ja hinaus. „Realismus“, das ist ja nur das Label, das Bunin angestickert ist.

    Ich glaube, mir ist an dieser Stelle ein wenig zu viel Begriffsverwirrung unterlaufen. Ich hätte den Beitrag neu schreiben sollen. Nun, sei es, wie es sei…

    @SuMuze: Unterschiedlicher Meinung sind wir in diesem Punkte gar nicht. Denn was da nun steht, kann ich ganz unterschreiben.

  16. SuMuze

    Nun, um so schöner, wenn wir’s uns denn gemeinsam klar haben werden lassen. Gefällt mir zumindest viel besser als ein geleckter Text, zu dem mir nur ‚Achso – jaja‘ einfällt.

  17. Hyperrealistisch « Turmsegler

    […] Ich habe hier mal von Bunin geschwärmt, dessen Realismus ich gelegentlich für beängstigend halte, obwohl oder […]

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