••• Heute steht Leserverschickung auf dem Programm. Aber nicht ins Landschulheim wird verschickt, sondern nach nebenan, ins Arbeitsjournal von Alban Nikolai Herbst. Gestern nämlich stand auf seinem Programm wieder mal eine Variation der Sonettenform, und zwar eine, die ich originell finde.
Heute morgen ging es darum, ein Sonett nicht über die Reime zu verklammern, sondern über ein strenges Versmaß, das spiegelartig verwendet wird; man gibt zwei Rhythmen vor und arbeitet damit nach den Regeln der a-b-Reime. Damit das funktioniert, braucht’s einen ziemlichen Wortschatz. Am besten ist es wohl, man schreibt die ersten beiden Verse in einem der deutschen Sprachführung vertrauten, zumindest nahen Maß, extrahiert aus den Versen die Rhythmen und schreibt dann auf sie die übrigen Verse. So hat man zumindest nicht das Hexameter-Problem der im Deutschen inexistenten Kurz- und Langsilben, sondern dichtet von Anfang an betonungsorientiert.
Das entstandene Sonett selbst samt veranschaulichender Versmassdarstellung, an der man das Versmass-Reimschema gut erkennen kann, findet sich unter Stromboli (31) ebenfalls auf „Die Dschungel. Anderswelt“.
Ich glaube, diese Form wird man lange üben müssen, bevor man es fliessen lassen kann, ohne sklavisch der auszufüllenden Form nachzudichten. Was mich überhaupt überrascht: Dass jemand wie Herbst noch immer und immer wieder neue strenge, ja artistische Formen erprobt, obgleich er doch auf ein schier unerschöpfliches Reservoir an Formenvarianten zurückgreifen kann, die er vermutlich schon ganz internalisiert hat.
Da fällt mir auf, wie lange ich schon kein Gedicht mehr gemacht, keine Form mehr eigens geübt habe. Als wären alle Farben schon auf der Palette. Nein, ich habe heute keine kommunizierbare Meinung dazu, ob das gut ist oder etwas anderes.
Am 31. Mai 2007 um 08:59 Uhr
Neben meinem Blumendank für den nachfolgenden Teilsatz, dessen ausgedrückte Gewißheit meine Skepsis durchaus relativiert, hier eine Bemerkung, die ihrerseits Ihre Überraschung etwas aufheben möchte:
[Der umfangreiche Kommentar von ANH wurde – umgewandelt in einen Gastbeitrag – separat veröffentlicht. Benjamin Stein]
Am 31. Mai 2007 um 09:15 Uhr
Sehen Sie mich an, Benjamin, und sehen Sie mich lächeln. Ist Form nicht Spiel, ist Lyrik nicht Spielerei? Und der Künstler per se ein spielendes Wesen? Was hielten Sie davon, das Sonett neu zu erfinden, um Sonettenkränze zu dichten?
Am 31. Mai 2007 um 09:31 Uhr
Entschieden nein! Für mich hat Dichtung tatsächlich einen Zweck, nämlich das vermeintlich Unsagbare auf die einzig mögliche Art doch zu sagen. Und in diesem Bemühen ist die Form immer nur Mittel zum Zweck, die immer hinter das WAS zurückzutreten hat.
(Das ist natürlich eine ganz unzulässige manifestartige Verkürzung.)
Am 31. Mai 2007 um 10:24 Uhr
[…] Ein Gastbeitrag von Alban Nikolai Herbst in Erwiderung auf “Gereimtes Versmass” […]
Am 31. Mai 2007 um 11:26 Uhr
In der Tat sind die Zusammenhänge komplizierter – das reicht bis zum Geheimnisvollen des Umstands, daß manches überhaupt erst durch die Form sichtbar wird, sich aufdeckt, auch dem Dichter selbst. Man entscheidet sich – mit Nicolai gesprochen „aus Daffke“ – für eine Form und folgt ihr dann. Tut man’s konsequent, decken sich mitunter plötzlich Erenntnisse oder etwas nah v o r ihnen Befindliches auf – mit m i r gesprochen: „graben sich aus“ -, an das man selbst nicht einmal gedacht hat, geschweige daß es ein bewußtes Vorhaben gewesen wäre. Insofern ist auch Steins Aussage, die Form sei ein Mittel zu Zweck, sehr zu relativieren, weil man eben den „Zweck“ einer Form durchaus nicht immer weiß oder ihn ganz falsch einschätzt.
Nicolais Einlassung erinnert mich im übrigen an den grauenhaft überschätzten Robert Gernhard, der ebendas konnte: einen Zweck (eine Aussage) haben, dann eine ihm passend erscheinende Form hernehmen, die er auch meist gut be(sic!)herrschte und die er dann für seinen Zweck zum Sonettensträußchen band. Herausgekommen ist dabei ein Dichter der Profanität, von dem die E l c h e bleiben werden.
Am 31. Mai 2007 um 11:44 Uhr
Wie furchtbar egal es dem Robert Gernhard sein wird, was sie da meinen, das möchte ich mir gerne ausmalen.
Am 31. Mai 2007 um 11:46 Uhr
Mitunter bekommt die Form die Rolle des Führenden, Kanalisierenden, wenn das WAS sich noch nicht ganz zu artikulieren vermag. Gerade bei Sonetten habe ich festgestellt – und das würde sich bei ANHs Methode der gereimten Verse noch extrem verschärfen! – dass die Suche nach (technisch) passenden Worten mitunter zu ganz neuen, auch sehr überraschenden poetischen Einfällen führen kann.
Das mag etwas Spielerisches haben. Andere nehmen bewusstseinsverändernde Substanzen, um sich zu inspirieren. Jener nimmt sich ein äolisches Versmass (g*)!
Ganz anders übrigens gehe ich bei (umfangreicherer) Prosa zu Werke. Da sehe ich mich wirklich als Architekt und lege die Rahmenbedingungen strikt fest. Es gibt hier aber einen gewaltigen Unterschied. Im dann zu gestaltenden Baustein des grossen Hauses ist man wieder völlig frei.
Am 31. Mai 2007 um 12:27 Uhr
@ hilbi.
Malen Sie. Und malen Sie aus. Die Assoziation an ein Ausmalheft für >>>> Kinder scheint mir bei Gernhards Gedichten ganz passend zu sein.
Am 31. Mai 2007 um 17:41 Uhr
um Missverständnisse zu vermeiden, und nicht etwa um Anstöße zu Diskussionen zu geben, die dafür schon zu weit vorgeschritten sind:
Dichtung und Lyrik sind meines Erachtens nach zwei ziemlich unterschiedliche Begriffe. Wohl kann beides ineinander aufgehen; gute Gedichte zeichnen sich ja gerade dadurch aus, aber identisch sind sie dadurch noch lange nicht, ebenso wenig wie Poesie und Metrik identisch sind.
Dass sie einander neue Nuancen und Einsichten aufzudecken in der Lage sind, dürfte unbestritten bleiben; inwiefern und -weit diese allerdings von Bedeutung sind, muss wohl jedem selbst überlassen bleiben.
Am 31. Mai 2007 um 17:56 Uhr
Eugene Ionesco hat so wunderbare Kinderbücher geschrieben, da muss ich doch nicht Robert Gernhard lesen.
Am 31. Mai 2007 um 23:06 Uhr
Ich weise an dieser Stelle gern nochmals darauf hin, dass Kommentare ohne Angabe einer gültigen E-Mail-Adresse nur an einem Ort landen, und zwar im Papierkorb.
Ich weise auch nochmals darauf hin, dass Leser, die hier andere Leser oder Gastbeitragende scharf anreden wollen, das durchaus können – wenn sie sich ermannen, ihren Klarnamen zu nennen. Alles andere ist mir nichts als widerliche, feige Schmutzfinkerei und wird entsorgt.
Am 1. Juni 2007 um 11:03 Uhr
@Benjamin Stein.
Das gilt mir eine – H a l t u n g.