Der Gehenkte

20. Mai 2007

Galgen

Der Frager:
Den ich vom Galgen schnitt • wirst du mir reden?

Der Gehenkte:
Als unter der verwünschung und dem schrei
Der ganzen stadt man mich zum tore schleppte
Sah ich in jedem der mit steinen warf
Der voll verachtung breit die arme stemmte
Der seinen finger reckte auf der achsel
Des vordermanns das aug weit aufgerissen •
Dass in ihm einer meiner frevel stak
Nur schmäler oder eingezäunt durch furcht.
Als ich zum richtplatz kam und strenger miene
Die herrn vom rat mir beides: ekel zeigten
Und mitleid musst ich lachen: ‚ahnt ihr nicht
Wie sehr des armen sünders ihr bedürft?‘
Tugend – die ich verbrach – auf ihrem antlitz
Und sittiger frau und maid • sei sie auch wahr •
So strahlen kann sie nur wenn ich so fehle!
Als man den hals mir in die schlinge steckte
Sah schadenfroh ich den triumf voraus:
Als sieger dring ich einst in euer hirn
Ich der verscharrte .. und in eurem samen
Wirk ich als held auf den man lieder singt
Als gott .. und eh ihrs euch versahet • biege
Ich diesen starren balken um zum rad.

Stefan George

••• Kein gutes Wort über Stefan George bislang. Gerecht ist das nicht und wird ihm nicht gerecht. Daher heute ein Gedicht, an dem ich mich festgelesen habe. Plastisch, philosophisch, poetisch und unverkennbar George.

2 Reaktionen zu “Der Gehenkte”

  1. Hilbi

    immerhin inspiriert das gedicht

    Der Gehenkte
    (nach einem Gedicht von Stefan George)

    die Stille:

    jetzt da du mir nah bist wie nie
    frage ich dich
    bist du zufrieden?

    der Gehenkte:

    sie haben mich während der Mittagszeit
    festgenommen
    sie haben nicht mal gewartet bis
    die suppe warm genug war um sie
    zu kosten
    sie gönnten mir nicht den kuss
    der liebsten
    aber die liebste hätte mich
    ohnehin nicht geküsst
    denn sie war nur in
    meinem kopf
    den kopf steckte man in den galgen
    man rief mir zu
    es dauert nicht lange
    ich zwang mich ihnen zu glauben
    doch es gelang nicht
    es dauert immer noch an
    ich zucke zusammen
    verlasse den ort meines traumes
    ich sehe in die welt
    aber ich seh nur schäbige reste
    ich versuche zu lächeln
    zu lächeln als ob ich angekommen wäre
    aber ich lächle nicht
    ich bin nicht angekommen
    was tut meine liebste zehn tage
    nach meinem begräbnis
    wird sie sich einen suchen
    bei dem sie es leichter hat
    als bei mir
    denn bei mir war sie nur im traum
    im traum zog ich sie an mich
    rief ihr zu
    ich möchte dass du immer zu
    bei mir bleibst
    und sie lächelte und sagte
    selbst im traum werde ich das nicht tun
    das verlassen ist das schmerzlichste
    das verlassen zwischen den enden
    dem halten und dem loslassen
    es gibt keine unterschiede mehr

  2. perdichizzi

    durchaus in meinem Sinn und in dem meines Mitarbeiters Dr. Engels.
    KM

Einen Kommentar schreiben

XHTML: Folgende Tags sind verwendbar: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>