Der Frager:
Den ich vom Galgen schnitt • wirst du mir reden?
Der Gehenkte:
Als unter der verwünschung und dem schrei
Der ganzen stadt man mich zum tore schleppte
Sah ich in jedem der mit steinen warf
Der voll verachtung breit die arme stemmte
Der seinen finger reckte auf der achsel
Des vordermanns das aug weit aufgerissen •
Dass in ihm einer meiner frevel stak
Nur schmäler oder eingezäunt durch furcht.
Als ich zum richtplatz kam und strenger miene
Die herrn vom rat mir beides: ekel zeigten
Und mitleid musst ich lachen: ‚ahnt ihr nicht
Wie sehr des armen sünders ihr bedürft?‘
Tugend – die ich verbrach – auf ihrem antlitz
Und sittiger frau und maid • sei sie auch wahr •
So strahlen kann sie nur wenn ich so fehle!
Als man den hals mir in die schlinge steckte
Sah schadenfroh ich den triumf voraus:
Als sieger dring ich einst in euer hirn
Ich der verscharrte .. und in eurem samen
Wirk ich als held auf den man lieder singt
Als gott .. und eh ihrs euch versahet • biege
Ich diesen starren balken um zum rad.
••• Kein gutes Wort über Stefan George bislang. Gerecht ist das nicht und wird ihm nicht gerecht. Daher heute ein Gedicht, an dem ich mich festgelesen habe. Plastisch, philosophisch, poetisch und unverkennbar George.
Am 20. Mai 2007 um 08:41 Uhr
immerhin inspiriert das gedicht
Der Gehenkte
(nach einem Gedicht von Stefan George)
die Stille:
jetzt da du mir nah bist wie nie
frage ich dich
bist du zufrieden?
der Gehenkte:
sie haben mich während der Mittagszeit
festgenommen
sie haben nicht mal gewartet bis
die suppe warm genug war um sie
zu kosten
sie gönnten mir nicht den kuss
der liebsten
aber die liebste hätte mich
ohnehin nicht geküsst
denn sie war nur in
meinem kopf
den kopf steckte man in den galgen
man rief mir zu
es dauert nicht lange
ich zwang mich ihnen zu glauben
doch es gelang nicht
es dauert immer noch an
ich zucke zusammen
verlasse den ort meines traumes
ich sehe in die welt
aber ich seh nur schäbige reste
ich versuche zu lächeln
zu lächeln als ob ich angekommen wäre
aber ich lächle nicht
ich bin nicht angekommen
was tut meine liebste zehn tage
nach meinem begräbnis
wird sie sich einen suchen
bei dem sie es leichter hat
als bei mir
denn bei mir war sie nur im traum
im traum zog ich sie an mich
rief ihr zu
ich möchte dass du immer zu
bei mir bleibst
und sie lächelte und sagte
selbst im traum werde ich das nicht tun
das verlassen ist das schmerzlichste
das verlassen zwischen den enden
dem halten und dem loslassen
es gibt keine unterschiede mehr
Am 30. April 2012 um 15:50 Uhr
durchaus in meinem Sinn und in dem meines Mitarbeiters Dr. Engels.
KM