••• Die Veröffentlichung des „Anderen Blau“ hier im Turmsegler war mit einem Experiment verbunden. Der gesamte Text sowie die einzelnen Stimmen wurden in RSS-Feeds und über Tag-Seiten veröffentlicht sowie als Podcast eingelesen. Als Business Intelligence Consultant interessierten mich da natürlich auch Zahlen: Wie werden die unterschiedlichen Präsentationsformen angenommen? Ist die Publikation via Feeds und die Web-Darstellung nach Blog-Art (also die letzten Beiträge zuerst) für solche Art von Texten geeignet?
Schauen wir also einmal auf ein paar Zahlen.
Gelesen wurden die Einzelbeiträge am Anfang von 40, am Ende von knapp über 100 Besuchern. Ganze 14 Leser waren auf den Feed für den Gesamttext abonniert, nur 7 auf einen oder mehrere Feeds für die einzelnen Stimmen. Die Tag-Seiten wurden so gut wie gar nicht besucht. Obgleich ich sehr ermuntert wurde, den Text einzulesen, wurde der Podcast doch kaum verfolgt. Lesen liegt den Interessenten offenbar doch mehr als zuzuhören.
Zwei sehr freundliche Mails haben mich erreicht und zwei Anrufe, ebenfalls sehr freundlich. (Ein Verleger war nicht dabei. Auch kein Agent.)
Kommentare direkt bei den Beiträgen gab es ganze zwei.
Und was scheint mir daraus zu folgern? Für längere zusammenhängende Texte ist die Präsentation nach Weblog-Manier nicht optimal, denn später hinzukommende Entdecker müssen sich rückwärts durchs Geschehen hangeln. Das ist einfach unpraktisch. Die Segnungen von RSS-Feeds und Feed-Readern sind offenbar in der literarisch interessierten Community noch nicht bekannt genug. Ob die Splittung der Stimmen auf verschiedene Feeds zu zusätzlichen Entdeckungen oder Einsichten in den Text beigetragen hat, kann ich mangels Feedback in dieser Richtung nicht sagen.
Ich selbst, stelle ich fest, würde ein Buch doch vorziehen. Während mein Agent noch daran arbeitet, dass es auch dazu kommt, haben die interessierten Leser, denen Papier auch lieber ist, nun Gelegenheit, das „Blau“ auch auf Papier zu lesen.
Am 18. Mai 2007 um 14:24 Uhr
Danke! Hab’s mir eben ausgedruckt (obwohl ich zu jenen gehöre, die den Feed abonniert und die Entwicklung der Geschichte mitverfolgt hatten, lese ich es gerne nochmals auf Papier. [PDFs sind halt doch ’ne feine Sache… :-) ])
Am 18. Mai 2007 um 14:48 Uhr
Das Podcasten mag auch ein technisches Problem sein, denn nicht jeder verfügt über Aktivboxen. Mein Pod-z-Blitz wäre sogar ohne eine gute Anlage eine große Einbusse.
Zum Veröffentlichen grösserer Arbeiten, denke ich, dass man sich an das Zeitungsprinzip aus dem letzen Jahrhundert halten muss, die Fortsetzungen noch weiter verkürzen und aufteilen/aufsplittern in je für sich spannungsträchtige Szenen und Situationen, so dass die sukzessive Ordnung in Scherben bricht, zu einer kaleidoskopartigen Ansammlung von parallel laufenden Handlungen und Einzelmomenten aufsteigt, aus denen sich nur langsam, wenn überhaupt, ein geschlossenes Ganzes bildet.
Dafür war das „Blau“ nicht konzipiert, es ist bereits „papieren“ gedacht.
Am 18. Mai 2007 um 14:58 Uhr
Ob man bei so einem unspektakulären Hörbuch-Podcast das grosse Equipment auffahren muss… Ich höre dergleichen immer mit Kopfhörern.
„Papieren“ gedacht, das trifft natürlich zu. Und es wäre hier ja wirklich nicht sinnvoll gewesen, die einzelnen Stücke weiter zu zerteilen. Die weitere Verkürzung – wir sehen diese Art Kürze gerade bei deinem „Hahn“ und bei Markus‘ „Reise ins Wasser“ – finde ich sehr
Roman-fremderzählfeindlich. Ja, die Blogkultur ruft nach kurzen Beiträgen; aber es ist doch kaum möglich, eine grössere Arbeit so anzulegen, das man jeweils komplette Bögen schlagen kann binnen 10 Zeilen.Am 18. Mai 2007 um 15:22 Uhr
Dein Agent soll einen Verlag suchen, allerdings würde ich dann den kompletten Roman nicht hier reinstellen, wer will denn das kaufen, wenn es dat hier umsonst gibt.
Am 18. Mai 2007 um 15:52 Uhr
Was genau verstehst Du darunter? Dass es dem Erzähler im Wege steht? Oder dem Leser? Du zitierst auch meine „Reise ins Wasser“: bezieht sich Deine „Erzählfeindlichkeit“ auch hierauf? Oder nennst Du die Erzählung als ein Beispiel dafür, wie man’s „bloggerecht“ machen müsste? Fragen.
Ich selbst empfinde meine „Reise“ als Grenzfall, als bereits zu grosse Zumutung für einen Blogleser. Die einzelnen Kapitel entsprechen in etwa meinem „Schreibeatem“, mehr schaffe ich am Stück nicht. (Insgesamt bringt es die Erzählung am Schluss auf etwa zwanzig Buchseiten – für mich eine eher lange Erzählung, hart an der oberen Grenze. Ob man da als Blogleser den Überblick behält? Deshalb bringe ich sie am Schluss auch nochmals als PDF. Auf der anderen Seite habe ich auf die Erzählung mehr Zuschriften erhalten als je zuvor. Aber vielleicht liegt es an der Geschichte selber und weniger an der Art, wie sie publiziert wird. Ich hoffe es.)
Am 18. Mai 2007 um 15:56 Uhr
Das sehe ich ähnlich. Hartmut hat – bevor er die Kapitel aus seinem Weblog entfernte – seinen kompletten Dranmor Woche für Woche Kapitel für Kapitel online publiziert. Es hat enorme Anstrengung gebraucht, dem Roman zu folgen – erstens, weil es ein komplexer Roman mit vielfältigen Verschachtelungen und vielen Bedeutungsebenen ist, zweitens, weil der wöchentliche Abstand zwischen den einzelnen Kapiteln zum Wiederlesen von Vergangenem zwang.
Am 18. Mai 2007 um 16:20 Uhr
@Markus: Die Zerstückelung geht für meinen Geschmack auf Kosten des Atems. Ich möchte lieber eine Erzählung in einer halben Stunde am Stück lesen, statt an 6 Tagen jeweils Stücke zu 5 Minuten. Es regt mich einfach auf, wenn es nicht weitergeht; und es ist gut möglich, dass ich den Fortsetzungen dann nicht mehr folgen mag und warte, bis ich zum Schluss alles am Stück ausdrucken und lesen kann.
@Hilbi: Du überschätzt stark die Grösse der literarischen Online-Kommune. Eine solche Veröffentlichung hier ist mehr Werbung als schädigend für den Verkauf eines Buches, wenn es denn käme.
Am 18. Mai 2007 um 16:31 Uhr
Aus einem Interview mit Andy Campbell for RES MAGAZINE, New York
Am 18. Mai 2007 um 16:32 Uhr
Ich verstehe deine Haltung sehr gut. Als Leser geht es mir nicht anders.
Das hiesse aber, dass, will man überhaupt literarische Prosa auf dem Weblog veröffentlichen, nur kürzeste, in sich abgeschlossene Texte à la zehn zeilen ins Weblog stellen dürfte. Ich denke schon länger darüber nach und bin auch der Meinung, dass sich über kurz oder lang tatsächlich eine literarische Gattung „Weblogtexte“ herausbilden wird.
Aber: Auf einen in voller Länge publizierten Text (als PDF) habe ich noch nie eine Reaktion erhalten. Im Fall der „Reise“ hingegen habe ich einen Kritiker, der mir mit seinen Kommentaren sehr dienliche Hinweise zur Verbesserung des Textes liefert…
Am 18. Mai 2007 um 16:36 Uhr
Benjamin, gerade die unterschätze ich nicht, ich kann mir nur vorstellen dass ein Verlag das nicht so gerne sieht, wenn das was er da eigentlich verlegen soll zum downloaden angeboten wird.
Und stell Dir vor morgen würde Rowohlt anrufen und sagen, wir verlegen ihr Buch, aber nur wenn sie das bloggen lassen, was würde dann wohl geschehen?
Am 18. Mai 2007 um 16:38 Uhr
@Markus: Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, mein Schreiben auf das Medium Weblog auszurichten. Für Lyrik ist das ja kein Problem. Aber Prosa? Da muss der Stoff vorgeben, in welcher Weise, in welchem Umfang und in welcher Spannweite der Erzählbögen, alles geschieht. Schreiben also explizit für ein Weblog? Nein, ich möchte mich nicht einrichten im Exil.
@Hilbi: Ich würde den Verlag auf Cory Doctorov hinweisen, der nachdrücklich unter Beweis stellt, dass PDF-Downloads von Manuskripten die Verkäufe der Bücher nicht beeinträchtigen, sondern – im Gegenteil – befördern.
Am 18. Mai 2007 um 17:01 Uhr
Kurz zusammenfassend: Andy Campbell bestätigt meine eigene Erfahrung, dass der grösste Mehrwert, der aus Hanging Lydia hervorgegangen ist, der Kontakt und Austausch mit anderen Autoren war und ist. Daraus entstand Litblogs.net, daraus erwuchs auch unsere Literaturzeitschrift Spatien. Nicht zu sprechen von Buchprojekten („urban studies“ mit Hartmut Abendschein und „was sind literarische weblogs“ mit der gesamten Litblogs.net-Community). Plus Anregungen, Kritik, die ich von Kollegen erhielt. Das ist schon was.
Des weiteren: Das Führen eines Weblogs hat mich Disziplin gelehrt. Seit ich Hanging Lydia betreibe, schreibe ich regelmässig. Aus den dort eingestellten Fragmenten sind in den vergangen vier Jahren ca. 20 Erzählungen entstanden plus Ideen für weitere x Erzählungen. Das ist nicht sehr viel, aber immerhin.
Und schliesslich: Ich teile Deine Einschätzung des Netzes als Exil des Schriftstellers nicht. Für mich ist es ein interessantes Experimentierfeld und die Ausformung einer eigenen Textgattung ein durchaus erstrebens-/bzw. beobachtenswertes Projekt. Das „Buch“-Argument zieht hier für mich nicht. Es gibt Stoffe, die eignen sich nicht für eine Erzählung, geschweige denn für einen Roman.
Am 18. Mai 2007 um 17:06 Uhr
Du sprichst von Etüden? Da gebe ich keine Widerrede.
Am 18. Mai 2007 um 17:11 Uhr
Etüden? :-)
So kann man es nennen, denke ich…
Das Thema beschäftigt mich seit längerem. Vielleicht sollte man als Schriftsteller sein Weblog wie eine Art „Abreisskalender“ betreiben. Für jeden Tag einen kurzen Text. Wozu? Um seine Leser zu unterhalten. Um seine Finger in Schuss zu halten. Anspruchsvoll darf es ja trotzdem sein.
Am 18. Mai 2007 um 17:14 Uhr
Das tue ich doch zum Beispiel mit meiner Elke schon seit 25 Jahren
Am 18. Mai 2007 um 17:16 Uhr
@Hilbi: Fünfundzwanzig Jahre Elke? Da habt ihr also schon Silberhochzeit gefeiert.
@Markus: Das Problem ist dann nur noch, dass für die Verfolgung grösserer Projekte überhaupt keine Zeit mehr bleibt. Das Führen unserer Blogs nimmt uns doch schon alles, was uns das utilitaristische Leben noch an Zeit lässt. (Fatale Stimmung heute, ich weiss.)