Vielleicht würd ich es ihr sogar gestatten
Zu andern Männern sich nach Lust zu legen
Warum nicht etwas Freiheit? Meinetwegen!
Wenn jeder Griff der Fünfminutengatten
Sie nur nicht gleich so sehr verändern würde!
Selbst wenn es gar nicht so besonders glückte
Wenn ihr nur einer mal am Hintern rückte
Spielt sie bestimmt fortan doch die Verführte
Und sehr Geheimnisvolle! Die verschlagen
Den Besserwisser jetzt hereingelegt hat
Da der nicht weiß, und wehe, wenn er’s wüßte!
Daß sie den Hintern damals doch bewegt hat!
Wenn auch nur gegen Ende sozusagen …
Und so entsteht ein Riß, der nicht entstehen müßte.
Bertolt Brecht (1927)
••• Dass ich mich für Sonette von der ersten Begegnung mit ihnen an so sehr begeistern konnte, verdanke ich Brecht. Er schert sich nicht um die Vorgabe der thematischen Aufteilung innerhalb des Sonetts. Und er wagt immer wieder Experimente mit erstaunlicher Wirkung. Wer sagt denn, im Sonett müssten die Sätze oder Nebensätze mit der Zeile enden? Indem er die Sätze um die Zeilenenden und damit auch um die Reime quasi herumfliessen lässt, verschwindet das Getragene, das im Sonett so leicht zum Stolzieren gerät. Nahezu prosaisch klingt Brecht hier – und das inmitten einer strengen Form.
Dem Fluss des Gesagten zum Opfer gefallen ist auch das Reimschema der Terzette. Und doch – spätestens wenn man das Gedicht laut liest, wird klar, dass hier jedes Wort am rechten Platz ist.
Das nenne ich meisterhaften Umgang mit einer strengen klassischen Form! Sie ist da und und wirkt, doch aus dem Hintergrund. Nicht die Spur von Selbstzweck, sondern ganz Mittel zum Zweck.
Am 9. Mai 2007 um 03:42 Uhr
Andreas hat dort unten schon alles gesagt. Romane muss man nicht erklären, Gedichte oder Sonetten auch nicht. Nichts muss erklärt werden, dazu ist doch die Sprache da und die können wir lesen. Wie angenehm das ist, dass es nicht nur die Lauten gibt, die leisen sind mir schon immer lieber gewesen.
Die lauten sind nur laut weil man sie ansonsten nicht hören würde, deshalb werden sie auch so schnell beleidigend. Die leisen haben das gar nicht nötig, weil der, der sie verstehen will, auch versteht.
Das ist eine schöne Sonette, ich habe von Sonetten tatsächlich keine Ahnung, ich habe die von Shakesspeare gelesen (ungereimt) und war verwundert. Die von Brecht verwundert mich nicht. Sie ist mir viel zu nah um mich zu verwundern.
Am 9. Mai 2007 um 06:38 Uhr
Also Turmsegler zusperren? Och nö. Ein wenig Erklärung verträgt das eine oder andere Stück Dichtung schon. Und mitunter lernt man sogar was dabei.
Am 9. Mai 2007 um 07:03 Uhr
QuatschiBenjamin…..mensch :-)…Bist Du jemand der dauernd sagt
wie toll er ist, dass er einmalig ist, dass es niemand gibt der besser
ist als Du. Erklärst Du mir was eine Sonette ist? Du erklärst mir
Deine Schwierigkeiten die Du mit manchen Sonetten hast,
Du schreibst ausgezzeichnete Texte zu den Gedichten. Aber
niemals habe ich bei Dir irgendwo gelesen dass dies die beste
Literaturseite im Internet ist, das ist sie auch nicht, denn die
beste Literaturseite im Internet ist ausserhalb, ist in deinem Kopf!
Am 9. Mai 2007 um 07:06 Uhr
Nicht immer ist Wikipedia eine verlässliche Quelle. Was wikipedia allerdings zu Sonetten zu sagen hat, wird Dir sicher weiterhelfen.
Am 9. Mai 2007 um 07:14 Uhr
:-) Ich mag den Benjamin auch wenn er mich nicht versteht, wahrscheinlich drück ich mich einfach schief aus. Also, meine Schwierigkeiten mit Sonetten sind die, dass sie mir widerstreben, ich muss sie ja auch gar nicht schreiben, aber ab und zu denk ich, vielleicht muss ich doch. Ich bin was lernen und mit lernen meine ich das schulische lernen, das fleissige aufpassen, ich bin also was das lernen angeht ein dermassen faules Ding, das gibt es gar nicht. Vielleicht aber schreibe ich irgendwann einmal eine Sonette für Herrn Stein, wer weiß
Am 9. Mai 2007 um 07:29 Uhr
Ich finde es schon schade, dass sich Benjamin nur zur Form des Brechtschen Sonnetts äussert und nicht zum Inhalt :-)
Am 9. Mai 2007 um 08:05 Uhr
er traut sich wahrscheinlich nicht :-)
Am 9. Mai 2007 um 09:05 Uhr
Die Bereitschaft zu lernen ist nun allerdings Grundvoraussetzung jeglichen Könnens, egal auf welchem Gebiet. Eine solche Faulheit kann man sich einfach nicht leisten.
@Markus: Was sollte ich dazu sagen? Es ist doch alles gesagt.
Am 9. Mai 2007 um 09:17 Uhr
Ich sehe einen engen Zusammenhang zwischen der Form / dem Aufbrechen der Form (wie du es sehr schön beschreibst) und dem Inhalt des Sonnetts. Mir scheint das kein Zufall zu sein.
Als einfachstes Beispiel (im Text liessen sich weitere finden): Brecht schreibt von Freiheit („Warum nicht etwas Freiheit?“) und nimmt sie sich auch in der Form. Bliebe er der traditionellen Formstrenge treu, verlöre der Inhalt des Sonnetts seine Glaubwürdigkeit.
Am 9. Mai 2007 um 09:20 Uhr
:-) Aber Benjamin, warum so lehrerhaft, wenn ich Lust habe kann ich
alles lernen und ein bißchen Faulheit ist allemal besser als ständiges
herumsausen und tun und machen und es kommt nichts dabei raus,. So alt bin ich dann ja doch wieder nicht, dass ich nicht irgendwann auch mal Sonetten schreibe und das kennst Du doch auch, dass man wenn man das kann, nur das macht wozu es einem gerade drängt.
Das faulsein hat leider ein sehr schlechtes Image.
Dass ich immer noch kein bosnisch kann, das ist eine wirkliche Tragödie, aber selbst diese Tragödie kann man ändern :-)
Ein bißchen mehr Leichtigkeit BENJAMIN, das macht die Literatur zu dem was sie ist.
Am 9. Mai 2007 um 09:25 Uhr
@Markus: Da hast Du eine Perle gehoben! Danke. Ich bezog Deine Frage zunächst nur auf den Inhalt allein, nicht auf das Zusammenspiel.
@Hilbi: Faulheit beim Erlernen des Handwerks ist eine Frechheit, wenn man vorhat, eben jenes Handwerk jemandem zuzumuten, oder es bereits tut. Da kenne ich keinerlei Leichtigkeit und auch kein Pardon.
Am 9. Mai 2007 um 09:45 Uhr
Da ich kein Lyriker bin und meine Leseerfahrung eher im Prosabereich liegt, stellt sich mir angesichts dieses Sonetts die (vielleicht dumme) Frage: Inwieweit beeinflusst eine vorgegebene Form den Inhalt? Kann in einem Sonett alles gesagt werden (für Prosatexte lautet die Antwort – das behaupte ich mal und bring mich vielleicht in Teufels Küche, wenn eine Begründung von mir verlangt wird: nein)?
Am 9. Mai 2007 um 10:08 Uhr
Ich bin unbedingt der Meinung, dass sich im Gedicht alles sagen lässt. Das Gedicht ist zunächst da und muss sich die Worte und die Form suchen. Der Unterschied zur Prosa ist weniger gross, als es zunächst scheinen mag. Voraussetzung dafür, dass das Gedicht die adäquate Form finden kann, ist eine Verinnerlichung des Formenmaterials. Das gelingt nur durch Übung, wobei in der Etüde das Erlernen der Form im Vordergrund steht und das Wort nachgeht.
Ich sehe es ganz so, wie es Richard von Hannah im „Anderen Blau“ berichtet:
So wie die Pianistin das „Material“ erlernt, bevor sie tatsächlich zu spielen beginnt, meine ich, muss der Dichter das „Formenmaterial“ erlernen. Das ist wie das Anrichten der Farben auf der Palette eines Malers. Der Pinsel mag sich die richtige Mischung suchen. Das Gedicht sucht sich die passende Form. Aber es kann nur auswählen aus dem Repertoire an Möglichkeiten, die wir zuvor in diversen verworfenen Versuchen erlernt haben.
Extremistisch?
Am 9. Mai 2007 um 10:29 Uhr
Extremistisch finde ich die Haltung nicht, nein. Aber vielleicht muss ich meine Frage präzisieren: In deinem Kommentar gehst du von der Form als Ausgangspunkt aus, die sich dann mit Inhalt füllt. Das heisst, die Form bestimmt, was als Inhalt möglich ist. Natürlich gibt es verschiedene Gedichtformen und die Kunst ist es, die entsprechende Form für den entsprechenden Inhalt zu finden. Und hier setzt meine Frage bzw. mein fragendes Forschen ein: die Form bestimmt ganz wesentlich mit, wie ein Inhalt durch den Leser rezipiert wird. Sie formt den Inhalt. Hiervon ausgehend behaupte ich (mit einer gewissen Unsicherheit, ja), dass derselbe Inhalt nicht sowohl in Gedichtform als auch in Prosa vermittelt werden kann. Ich kann dasselbe in verschiedensten Formen zwar sagen, aber jedesmal sage ich etwas anderes mit (vielleicht bewege ich mich da auch auf einer zu banalen Ebene. Es mag Germanisten-Proseminarstoff sein. Aber ich versuche, mich an das, was ein Gedicht ausmacht, erstmal heranzutasten.)
Am 9. Mai 2007 um 11:00 Uhr
Au contraire! Der Inhalt führt und findet sich die Form. Damit es etwas zu finden gibt, muss allerdings das Formenrepertoire beherrscht werden. Es gibt ein einfaches Experiment: Lies ein wenig „Reinicke Fuchs“, und es wird Dir nach einer Weile gelingen, in Hexametern zu denken…
Versmasse übernehme ich übrigens auch in die Prosa, weil das Versmass Resonanz im Leser auslöst, auch wenn es nicht offensichtlich wird. Prosa kann Herzklopfen verursachen (nicht ganz) nur durch Einsatz von Versmassen.
Wir wissen nicht, wie viele Sonette Brecht zuvor geschrieben und verworfen hat, weil er noch mit der Form beschäftigt war. Ich meine, hier hatte er das „Sonettige“ ganz spielerisch im Repertoire parat.
Am 9. Mai 2007 um 11:18 Uhr
Das unterschreibe ich sofort. Rhythmus ist etwas, worauf ich beim Schreiben immer zu achten versuche. Oft entscheidet der Textfluss auch darüber, was ich schreibe. Wenn die Musik des Textes sich gegen eine bestimmte Aussage sträubt, lasse ich sie weg.
Am 9. Mai 2007 um 11:22 Uhr
Eben, Du lässt die Aussage weg. Aber das, was Du sagen wolltest (oben das Gedicht) bleibt bestehen. Es sucht weiter nach der richtigen Hülle. Mitunter gelingt es, und diese Hülle wird gefunden.
Am 9. Mai 2007 um 11:31 Uhr
(Achtung: Themenwechsel bzw. -erweiterung)
Was ein Gedicht ganz wesentlich von einem Prosastück unterscheidet, ist die Stimme. Als ich Perkampus‘ Ouroboros Stratum hörte, wurde mir erstmals so richtig bewusst, wie wichtig auch der Vortrag eines Gedichts ist. Die meisten Prosatexte lassen sich (es gibt Ausnahmen, ich weiss) ohne grossen Verlust leise lesen. Viele Gedichte finden erst im Lautwerden ihre wahre Form.
Am 9. Mai 2007 um 12:12 Uhr
Das ist eine gewagte Behauptung. Ich gebe Dir recht, dass die „Stratum“-Gedichte sich – gelesen durch den Autor – ganz anders ausnehmen als gedruckt. Ich meine aber, dass dies durch das INTERPRETATORISCHE Vortragen so ist. Ich bin mir noch nicht schlüssig, wo das Problem liegt, wenn mir bspw. erst beim HÖREN von „Lillebrök“ klar wird, dass es sich um eine Komödie handelt. Liegt das Problem bei mir als Rezipient oder beim Gedicht?
Anders gesprochen: Ich bin misstrauisch, wenn ein Gedicht den notwendigen Klang nicht in mir anschlägt, wenn es also den Klang, die passende Tonlage von einem Vorleser nehmen muss.
Am 9. Mai 2007 um 16:48 Uhr
Eine interessante Diskussion.
Ich denke, der Vergleich mit dem Beherrschen handwerklicher Mittel in der Kunst ist gut geeignet. Form und Inhalt können NIE losgelöst voneinander betrachtet werden.
Und eines fiel mir in den vergangen Monaten auch deutlich auf:
die ART und WEISE, wie ich etwas rezipiere, hat entscheidenden Einfluss auf das Empfinden und Verstehen eines Kunstwerkes- egal aus welcher Kunstgattung. Manche werke erschließen sich dem Rezipienten gänzlich ohne formale oder geschichtliche Vorkenntnisse, andere erst durch diese oder durch einen Vermittler. Als Vermittler sehe ich Musik, Vortragenden, Kunstpädagogen, Aussagen des Künstlers selber, Gespräche über ein Werk usw.
Inzwischen ist das Wissen über die Geschichte von Stilen, Strömungen, Künstler usw. mitunter nötig, um eine zweite oder dritte Ebene eines Werkes zu verstehen, genießen zu können. Ohne einen gewissen Grad an Vermittlung könnte etwas auf der Strecke bleiben…
Ich hatte übrigens das gleiche Aha- Erlebnis beim Hören von Michaels Lyrik…
Am 9. Mai 2007 um 17:58 Uhr
Interessante Kommentare heute!
@Markus: Genau das dachte ich mir auch beim Lesen.
Ich finde die Stimme und den Ton ganz wichtig. Auch beim Lesen von „Ein anderes Blau“ ging es mir so. Benjamin hat mir das ganze Stück vor ein paar Jahren mal vorgelesen. Das ist bei mir ganz anders angekommen als beim alleinigen Lesen.
Am 10. Mai 2007 um 14:35 Uhr
siehe auch: „Nachtrag zu einem Kommentar im Turmsegler“
Am 25. November 2007 um 18:10 Uhr
[…] einer laufenden Diskussion im Turmsegler kam es zu folgender Aussage, die ich hier nocheinmal aufwerfen möchte: Anders gesprochen: Ich […]