Aus Fernen, aus Reichen

4. Mai 2007

Was dann nach jener Stunde
sein wird, wenn dies geschah,
weiß niemand, keine Kunde
kam je von da,
von den erstickten Schlünden,
von dem gebrochnen Licht,
wird es sich neu entzünden,
ich meine nicht.

Doch sehe ich ein Zeichen:
über das Schattenland
aus Fernen, aus Reichen
eine große, schöne Hand,
die wird mich nicht berühren,
das läßt der Raum nicht zu:
doch werde ich sie spüren
und das bist du.

Und du wirst niedergleiten
am Strand, am Meer,
aus Fernen, aus Weiten:
»- erlöst auch er«;
ich kannte deine Blicke
und in des tiefsten Schoß
sammelst du unsere Glücke,
den Traum, das Los.

Ein Tag ist zu Ende,
die Reifen fortgebracht,
dann spielen noch zwei Hände
das Lied der Nacht,
vom Zimmer, wo die Tasten
den dunklen Laut verwehn,
sieht man das Meer und die Masten
hoch nach Norden gehn.

Wenn die Nacht wird weichen,
wenn der Tag begann,
trägst du Zeichen,
die niemand deuten kann,
geheime Male
von fernen Stunden krank
und leerst die Schale,
aus der ich vor dir trank.

Gottfried Benn (1927)

••• Zum Schlussstück des „Anderen Blau“ nun eines meiner liebsten Benn-Gedichte. Im „Libellenflügel“ spielte es eine gewisse Rolle.

Ein Tag ist zu Ende,
die Reifen fortgebracht,
dann spielen noch zwei Hände
das Lied der Nacht

Diese Zeilen fielen Daniel ein, als er in einer seiner schlaflosen Nächte durch die dünne Wand Ninas Klavierspiel hörte. Und die geheimen Male scheinen mir heute passend zum Schlussstück:

Was immer du warst in meinem Traum, in meinen Wünschen – jetzt bist du ein schwarzer Mann. Dein Mantel ist schwarz, und die Mütze ist schwarz, selbst der Schal und die Augen wie Kohlen. Aber was ich Schwarz nenne, ist nur ein anderes Blau für den Himmel. Es gehört dir nicht, es gehört mir nicht. Es ist blau.

Ich danke den vielen Blau-Lesern und -Hörern, die mir und dem Text über die letzten Wochen die Treue gehalten haben. Das bedeutet mir viel.

Eine Reaktion zu “Aus Fernen, aus Reichen”

  1. Hilbi

    Was für ein Gedicht! Und tatsächl kein „wie “ oder ein „als ob…“ Das kann man nämlich in seiner Rede nachlesen „Die Fehler der Lyrik“ (heißt es wirklich so das kleine Bändchen, ich muss es irgendwohingeschickthaben… ich glaube nach München), das viele schreibende das als Hiflsmittel benutzen, dieses „wie eine Parkuhr im Dämmerzustand“ „als ob man Schnee begraben könnte“.

    Ich bemüh mich gerade sie wegzulassen.

    natürlich darf man nichts verkrampft weglassen nur weil ein Benn das sagt, aber wenn ein Benn das sagt, kann man zumindestens versuchen es wegzulassen, das gilt, wenn ich es recht verstanden habe, nur für ein Gedicht.

    Ein meister des „wie`s“ war laut Benn übrigens Rilke, aber das war eben Rilke, schreibt er,….

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