Autorengespräche

17. April 2007

Ein Gastbeitrag von: Michael Perkampus

••• An Autorengespräche heranzukommen, die hinter den Kulissen stattfinden, ist nicht immer einfach. Ich selbst habe das Glück, einige Bücher über literarische Passionen, Anekdoten und Werkstattgespräche zu besitzen und kenne darüber hinaus einige Kollegen persönlich. Letzteres müsste nicht gesondert erwähnt werden, da es selbstverständlich scheint. Doch darf man nicht verkennen: Wir sind eine eitle Kaste, vieles hütet man eifersüchtig und versteckt es unterm Bett. Selten steht der Wunsch, sich in Arbeitsweisen und Verstrickungen kund zu tun, vor der eigenen Legende, die man beständig webt – und mag sie noch so gering erscheinen.

Wir kennen das von Balzac. Seine Kaffeekanne in der 47 Rue Raynouard ist so ein legendäres Objekt, das die Besucher mehr anzieht als seine handschriftlichen Ausstellungsstücke. Das Publikum giert indes nicht so sehr nach seiner menschlichen Komödie, denn er war ja selbst ein menschlicher Komödiant par excellence, als vielmehr nach jenen Poetakas (das ist meine Wortschöpfung für diese Legendenbildung und eben jene Anekdoten, die ein Werk begleiten) – Überlieferungen von Freunden und Bekannten, die besagen, dass er nicht nur auf abenteuerliche Weise seinen Gläubigern entfloh, sondern, einmal zur Rede gestellt, keineswegs ein Souverän der Sprache war.

Wir wissen ferner, dass Márquez Legastheniker ist und ohne einen starken Lektor kein einziges brauchbares Buch in den Druck hätte geben können, dass Joyce, den man nicht ohne Grund der Grösse bezichtigt, mit seiner Erstausgabe des Ulysses ein vor Fehlern nur so strotzendes Werk vorlegte.

Das folgende Gespräch ist anonym. Wir wissen im Augenblick nicht, um welche beiden Autoren es sich handelt. Dem Gespräch ging ein Mailwechsel voraus, in dem ein Autor dem anderen ein via Weblog öffentliches gemeinsames Lektorieren seines WERKES vorschlug.


X: Ich kann mir diese quasi öffentliche Arbeit am WERK vorstellen. Das wäre eine ziemliche Arbeit, und es gibt keine Garantie, dass es nicht doch in die Hosen geht. Wir müssten die Modalitäten aushandeln und dann rangehen und dranbleiben. Wenn es geklappt hat, warum dann nicht in den Autorenverlag einsteigen. Wenn es nicht geklappt hat, wollen wir entweder nie mehr was voneinander hören oder lachen drüber und machen doch was zusammen. Was ich meine: Lass uns mal versuchen, ob wir wie ein Autorenverlag arbeiten können. Wenn wir das können, dann können wir auch ein Autorenverlag sein. Den Beweis öffentlich anzutreten, gäbe dann auch eine Anfangsreputation.

Y: Im Prinzip sagst du da genau das, was ich auch vorgeschlagen hätte. Dafür wollte ich dich gewinnen. Dass da das WERK hineinspielt, ist aber dennoch vom Verlag an sich zu trennen. Alles was damit schief gehen kann, werde ich wohl selbst verantworten, ich wüsste nicht, warum das auf uns als Menschen abzielen sollte. Verblüffend ist für mich eh, dass du dich da so involvierst, ausserdem hast du den Zugang zu mir lässig und leicht gefunden, das sagt eine Menge aus.

X: Ich weiss immer noch nicht, ob du grössenwahnsinnig bist oder nur so tust. Wenn du nur so tust, kann eigentlich nichts schief gehen bei einer gemeinsamen Arbeit. Wenn du es bist, vergiss es. Ich habe es eher mit der Demut – ohne Scherz.

Y: Ich kann dir, weil ich es von Anfang an so praktiziere, ehrlich antworten: Ich sehe mich nicht als grössenwahnsinnig. Ich bin sehr theatralisch und grossspurig, und ich weiss, was ich kann, ich fühle eine Berufung, Demut kenne ich in Anbetracht anderer Dinge: Bäume, Pflanzen, Wasser, Berge – ich bin sehr sensitiv, aber vor menschlichen Belangen beuge ich mich nicht.

X: Das meine ich auch nicht mit Demut.

Y: Erkläre es mir.

X: Demut ist zum Beispiel, wenn man, um eine Sache (Buch, was immer ) wirklich gut zu machen, bereit ist, selbst vollständig hinter das Geschaffene zurückzutreten und tatsächlich in dem Geschaffenen das Besondere zu sehen, statt in sich selbst. Ist das zu verschwommen?

Y: Oh, damit hast du mich ganz und gar – nein, ich selbst nehme mich nicht so wichtig, meine Arbeit ist es. Wenn du das meinst, dann verstehen wir uns.

X: Das freut mich zu hören. Ich glaube, keiner, wirklich keiner da draussen, der dich liest, würde das vermuten. Ich hatte die Vermutung bei unserem ersten Telefonat. Grosskotze hören sich anders an. Idioten auch.

Y: Ich bin eben auch Künstler. Da gehört auch die Show dazu.

X: Sicher. Kannst du aber beim Arbeiten auf die Show verzichten? Das wäre sonst nämlich enorm anstrengend? Anders gefragt: Was sollte an der Show interessanter sein, als der Autor Y es selbst ohnehin ist? Also ich habe für mich auf Show keine Lust mehr. Ist mir zu anstrengend.

Y: Die Show betrifft auch nicht dich, mit dir pflege ich ja einen anderen Umgang.

X: Wofür, für wen ist die Show denn eigentlich? Kannst du mir das erklären? Ich will das wirklich wissen, sag dir auch gleich warum.

Y: Ich sehe mich als Gesamtkunstwerk an, das natürlich unter Vorbehalt, aber ich kann Visionierung nicht immer von Worten trennen.

X: Was ist der Vorbehalt? Eben dachte ich noch, es geht ums Schreiben.

Y: Ja, es geht nur ums Schreiben, aber ich mag eben auch den Bombast.

X: Ok, das muss man natürlich berücksichtigen. Wäre es denkbar, das Schreiben hier, den Bombast dort zu haben? Oder ist das zu langweilig?

Y: Nun, ich denke, wenn man meine Sachen liest, dann liefere ich bereits genug Bombast. Was denkst du? Ich bin völlig in meinen Büchern.

X: Das war nicht die Frage! Du liebst den Bombast und das Schreiben ist dir das Wichtigste. Die Frage war: Brauchst du den Bombast beim Schreiben? Oder dürfte der sich auch woanders abspielen? Nebenbei: Echte Samurais beantworten schwere Fragen nach max. 7 Sekunden! (7- 6 – 5 – 4 …)

Y: Mach dir keine Sorgen, wenn ich schreibe, schreibe ich. Ich weiss ja nicht, was du dir vorstellst.

X: Er antwortet einfach nicht auf eine einfache Frage!

Y: Vielleicht ist sie mir zu entlegen… Frag mich lieber nach einer quantenmechanischen Formel.

X: Du machst dich lustig.

Y: Nein wirklich. Ich merke, du machst dir etwas Sorgen darüber, dass ich ein Wahnsinniger sein könnte. DAS amüsiert mich.

X: Nein, ganz falsch. Ich habe eine Frage gestellt, die einfach ist, auf die ich aber keine Antwort bekomme. Dabei ist sie nicht mal intim.

Y: Ich weiss aber nicht, was du meinst. Wie könnte man beim Schreiben Bombast haben?

X: Du bist permanent bombastisch in deinen Texten! Aber manchmal, da bist du im Schreiben wie jenen Tag am Telefon. Und da, ohne den Bombast, ohne die Show, schreibst du, dass es einem die Schuhe auszieht. Ich will also wissen: Brauchst du den Bombast beim Schreiben, in deinen Texten? Oder könntest du diese Seite von dir – zumindest temporär – auch anderweitig hinreichend befriedigen?

Y: Ich habe schon unterschiedliche Stilistiken, aber Bombast würde ich die kleinen Phrasen nicht nennen.

X: Kleine Phrasen! Kein Bombast! Soll ich mal Zitate ranholen?

Y: Ich denke manchmal ehrlich, ich bin noch zu zaghaft.

X: Ich fass es nicht! Wahrscheinlich muss ich wirklich Beispiele bringen, damit wir wissen, ob wir vom gleichen reden.

Y: Ich bin im Moment etwas ratlos. Meinst du meinen Stil an sich oder die Thematik? Form oder Inhalt?

X: Das hat nichts mit Stil zu tun, nichts mit Thema. Nur mit Leere. Ich suche jetzt wirklich mal ein Beispiel. Sekunde. Ich habe jetzt das Manuskript, Moment: „Quasare pulsten in das Überall und nirgends hinein. Konglomerate pressten sich in Schubladen.“

Y: Ja so ist es, beziehungsweise so war es. Das ist eigentlich Sprachlosigkeit.

X: Jetzt habe ich’s gefunden: „Als die Materie entstand, entwickelte sich die Wahrscheinlichkeit des Lebens und der Geist explodierte in einer Möglichkeit seiner sämtlichen Pracht und ging darein.“

Y: Ja, meine Kosmogonien sind abstrakt, das gebe ich gerne zu.

X: Ich finde es leer. Was hast du jetzt damit gesagt? Welchen Nerv hast du angerührt? Ist das wenigstens ein interessanter Gedanke?

Y: Ich weiss, was du mit leer meinst, aber das ist ein durchaus beabsichtigtes Vakuum. Ich kann mir schon vorstellen, dass es zu viele solcher Passagen gibt, da stimme ich dir zu.

X: Dann erklär mir die Absicht und warum ich das über so lange Strecken erdulden muss. Wenn es italienisch wäre, könnte es ja Musik sein. Aber so.

Y: Aber verrate es bloss nicht!

X: Ist ernst gemeint. Erklär es.

Y: Es bezeichnet die Sprachlosigkeit der reinen Schau, sieh dir mal Hesekiel an, der schwafelt ähnlichen Mist.

X: Ist ja auch ein schlechter Autor. Du aber nicht! …. Vorher der Besuch. Und dann wieder so was. Das ist Betrug!

Y: Nun, als solcher war es nicht gedacht. Es ist wirklich so gewesen. Ich habe das Manuskript eine lange Zeit hin und her geschoben, bis ich es am liebsten weggeworfen hätte. Mir war schon ganz schlecht und ich konnte keine Zeile mehr lesen, die mich nicht zum Erbrechen gebracht hätte. Und ich hab schon eine Menge Mist rausgestrichen.

X: Ich frag jetzt noch mal: Vertraust du dir nicht genug und verwendest daher diese (fies on) gestelzten, aufgeblasenen Phrasen, um dich möglichst weit vom gemeinen Volk abzuheben und sagen zu können: ihr seid eh zu blöd (fies off) – oder willst du tatsächlich was damit? Dann will ich das verstehen!

Y: Meine Absicht beim Schreiben ist nie, den Leser zu erniedrigen. Manches geht bei mir fliessend in die Sprachlosigkeit über, ging… Diese Passage schrieb ich mit 17 oder so.

X: Das ist witzig: die Ur-Anfänge vom WERK habe ich auch mit 17 geschrieben. Aber heute, wo ich es fertig finde, liebe ich (fast) jede Zeile, weil ich alles rausgebrochen habe, was mich zum Erbrechen bringen könnte! – Und die Frage?

Y: Nein, ich vertraue mir nicht.

X: Ohhh! Grosse Antwort. Das ist nicht ehrenrührig!

Y: Nein, aber das ist ja das Dilemma: ich bin mir sicher, der nächste Roman hat solche Passagen eben nicht, ich habe den Überblick verloren, da bin ich ganz ehrlich.

X: Finde ich jetzt sehr ehrlich, Hochachtung. Du hast also Demut. Du kannst etwas zugeben. Dann kannst Du auch alles schaffen.

Y: Das weiss ich nicht.

X: Es ist dann nämlich nicht wirklich schwierig… Man muss ein paar Versuche machen mit dem Text, um herauszufinden, wo der wirkliche Autor Y steckt. Der müsste sich dann nur noch vertrauen lernen. Nur noch, ist ja klar, ganz einfache Sache das… – Aber jetzt will ich auch dir deine Frage vom Anfang beantworten. Ich involviere mich so, weil auch ich eine Angst habe. Ich habe Angst, nicht mehr schreiben zu können, weil ich nichts zu sagen habe. Aber du hast etwas zu sagen. Du sagst es auch – manchmal – oft stehst du dir noch im Weg.

Y: Aber das heisst an sich nichts, das wäre Projektion von dir zu mir.

X: Warum das?

Y: Nun, ich kenne etwas Ähnliches. Ich habe, wenn ich nicht gerade schreibe, einen unglaublichen Drang, andere nach meinen Möglichkeiten zu fördern und aufzuwecken, aber nicht aus Angst, dass ich selbst nichts mehr zu sagen hätte.

X: Ok. Das wusste ich noch nicht. Ich hätte Projektion jetzt anders verstanden.

6 Reaktionen zu “Autorengespräche”

  1. ksklein

    :)

  2. hab

    das hat demut! das hat bombast! aktenzeichen xy – gibts da ne fortsetzung?

  3. Benjamin Stein

    Da müssen wir den Gastbeitragenden fragen, ob er noch mehr gastbeitragen will…

  4. Hilbi

    Ich glaube hier liegt ein Irrtum vor, Marquez schreibt in seiner Biografie dass er Probleme mit der Rechtsschreibung hat und das seine mutter ihm oft seine eigenen Briefe korrigiert zurückgeschickt hat, aber ein Legastheniker ist er deshalb noch lange nicht. Ich habe in der Schule mal neben einem geseßen (gottseidank habe ich nie versucht bei ihm abzuschreiben) und der hat sich richtig mit den Worten gequält, das eine ist eine Krankheit, das andere eine Schwäche die man durchaus entschuldigen kann wenn da einer kommt und Hundert Jahre Einsamkeit schreibt…auch ich mag manche meiner Fehler sehr, neulich las ich in einem meiner Texte….sie saß in einem kaffee……ich fand den Fehler so grandios dass ich ihn direkt gelassen habe….Aber manchmal hasse ich meine Fehler auch, wenn ich zum Beispiel den schreibe wo man denn schreiben muss, aber auch ich bin kein Legasthemiker, bei weitem nicht, ich weiß wie sich mein Schulkollege geschämt hatte, wie er immer versuchte es zu vertuschen, aber es war nicht zu vertuschen und jeder weiß wie Kinder sind wenn einer etwas nicht kann, was eigentlich alle können, sie sind fast schlimmer als Erwachsene, aber nur fast.

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