Diamant in Schlacken

28. März 2007

Michael Perkampous: Seelen am Ufer des Acheron••• Am Beginn meiner journalistischen Arbeit standen Buchbesprechungen. Das schien mir zunächst vor dem literarischen Hintergrund ganz natürlich. Aber ich bin ganz schnell davon abgekommen und habe mich journalistisch statt um Dichtung um Software und Programmiersprachen bekümmert. Ich brachte es einfach nicht anders übers Herz. Autoren, dachte ich mir, brauchen doch Freunde, die sie bestätigen, ein nettes Wort, gerade nachdem ein grosses Werk abgeschlossen und endlich erschienen ist. Da sollte man doch die Drecksarbeit den Kritikern überlassen, von denen eh niemand ein Herz erwartet.

Heute frage ich mich allerdings, ob das nicht kurzsichtig war. Als Autoren brauchen wir, wenn es um Kritik geht, keine Groupies. Wir brauchen starke Freunde, die uns bestärken, wo ungerechtfertigter Zweifel uns zu übermannen droht – und die uns verunsichern, wenn es nötig ist. Ich gebe heute letzteren Part.

Michael Perkampus hat einen grossen, ja epochalen Roman angekündigt. Letzten Monat ist er unter dem Titel „Seelen am Ufer des Acheron“ in der Schweizer Edition Neue Moderne erschienen, ein munteres, modernes Prosa-Kaleidoskop über 400 Seiten, eine interessante Lektüre, wie ich bereits berichtet habe. Perkampus hat alles, was ein grosser Autor braucht, das Handwerkszeug: Sprache, Bilder, Musik und nahezu unerschöpfliche Imaginationskraft. Was er nicht hat, ist die Kraft zur Kanalisation, zur Beschränkung und Konzentration im Sinne der Sache, um die er sich so blutig geschuftet hat.

Es gibt ein Problem mit diesem Text: Er ist ein Diamant in Schlacken. Er ist zu früh erschienen, denn er ist noch nicht fertig. Perkampus bringt sich damit in eine missliche Lage, denn er selbst hat die Latte des Anspruchs so hoch gelegt, dass er leicht Hohn ernten wird, wenn er nun im Absprung diese Latte reisst.

Um es vorab klar zu sagen: Im Acheron steckt ein grosser Roman. Aber er muss erst noch aus den Schlacken herausgeschält werden. Die gute Nachricht: Da ist nichts, was sich nicht durch Striche erledigen liesse. Die schlechte Nachricht: Es müssten grosszügige Striche sein.

Der „Acheron“ ist eine Montage. Eine durchgehende Handlung im herkömmlichen Sinne gibt es nicht. Die Klammer, mit der Perkampus die Strecken, Stücke und mitunter gar Fetzen zusammenhält, ist das Sujet, das Spiel mit den Begriffen der wach oder träumend wahrgenommenen Realität. Tatsächlich werden diese Kategorien bis zur Unkenntlichkeit aufgeweicht und schliesslich ausgelöscht. Es gibt nur Erleben; und das Deutsche spielt uns hier den richtigen Begriff zu: Es gibt Wahr-Nehmung. Man kann sich entscheiden, was vom Wahrgenommenen man (als) wahr annehmen will. Alles oder nichts, oder eine beliebige Mischung. So etwas wie objektive Realität jedenfalls wird im „Acheron“ abgeschafft. Das gefällt mir. Das finde ich tatsächlich modern und – was den Autor ärgern mag: Ich finde diese Sicht ausgesprochen realistisch!

Woran aber krankt denn nun der Text? Ich würde es Marotten nennen, die ein gestrenger Lektor dem Autor wohl ausgetrieben hätte.

Meta! Das ist das heftigste Gift für diesen Text. Allzu häufig und leider insbesondere im ersten Viertel des Romans schwadroniert Perkampus und redet über die Dinge, statt sie selbst reden zu machen. Die vielen weltanschaulichen Sentenzen in zumeist essayistischer bis technischer Sprache sind schwer erträglich, doch leider reichlich. Sie hätten im Notizbuch oder im Weblog platziert werden sollen. Den Roman können sie nur vergiften. Sie unterbrechen ohne Notwendigkeit den Bilderfluss.

Ich fürchte, hier ist die Ambition mit dem Autor durchgegangen. Muss es nicht misslingen, in einem literarischen Werk dasselbe auch noch erklären zu wollen? Perkampus betreibt dies mitunter bis hinab auf die Ebene des einzelnen literarischen Einfalls, wenn er beispielsweise in einer Szene dem Protagonisten ein Fass als Wohnung zuweist. Wundervoll baut er die Diogenes-Kulisse – bis, ja bis schliesslich der Name Diogenes fällt und dem Leser, der damit völlig aus dem Geschehen gerissen wird, die Intention der Szene, des Personenbezugs erläutert wird. An anderen Stellen des Romans kann Perkampus dem Erklärungsdrang widerstehen, und prompt gelingt es ihm, den Leser im Geschehen zu fangen, so etwa bei den Narratim-Stücken.

Währen sich Perkampus also mit Akribie der Selbsterklärung widmet, spart er sich andererseits oft die Mühe, seine originellen Einfälle auch wirklich auszugestalten.

Der Junge sah es so, wie es in einem Film dargestellt worden wäre. Er blickte, auf dem Kühlschrank kniend, aus dem Küchenfenster, und er blieb ganz still dort sitzen, um das Geschehen am Waldrand zu verfolgen.

Von einem Autor mit den sprachlichen Fähigkeiten und dem Einfallsreichtum eines Perkampus will ich hier sehen, was und wie es im Film dargestellt worden wäre. Lass mich sehen mit den Augen des Jungen, statt ein bestimmtes Wahrnehmen nur zu behaupten!

Perkampus spricht im „Acheron“ mit verschiedenen Zungen. Das Anspielen der unterschiedlichsten Schattierungen von Sprachgebrauch ist natürlich Programm. Und es ist möglicherweise nur eine persönliche Geschmacksfrage, dass ich mich in bestimmten Bereichen seiner Wörtervorratskammer nicht einrichten kann. Das betrifft vor allem die technischen Termini, Fremdwörterkaskaden und Ektoplasmaströme.

Keine Frage des Geschmacks hingegen sind die gewöhnlichen Fehler, etwa in der Zeitformenfolge oder in der Wortwahl, lässliche Sünden in einem Manuskript, doch peinlich im gedruckten Buch. Und hier sind wir beim Kern des Problems dieses Textes: Es hätte hier einen Lektor gebraucht, der einem Autor wie Perkampus Paroli bieten kann. Der einfühlsam, doch bestimmt den Autor zur Arbeit an seinem Material auffordert und ermuntert und ihm so hilft, den Diamant freizulegen und das Manuskript fertig zu stellen.

Wir haben hier also einen Autor, den man nicht ignorieren kann. Und wir haben ein grosses Material. Doch mir ist das alles wie ein noch nicht eingelöstes Versprechen. Es wartet noch Arbeit, Herr p.-!

3 Reaktionen zu “Diamant in Schlacken”

  1. ksklein

    Hmmm… Dein Beitrag macht mich wirklich neugierig.
    Hoffentlich finde ich bald auch die Zeit das Buch zu lesen. Und ich bin besonders gespannt, ob ich das alles auch so sehe. Schliesslich sind wir oft unterschiedlicher Meinung.

  2. perkampus

    Seelenkammerjazz

  3. Die Geschichte des Uhrenträgers « Turmsegler

    […] Text ganz verabschiedet von den “Vorträgen”, den Meta-Reflexionen, die es im “Acheron” reichlich gab. Was immer Perkampus hier zu sagen hat, transportiert er auf literarischem Weg, also […]

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