Es geschieht, daß ich müde bin, Mensch zu sein!
Ich trete in Schneiderstuben, in Kinos
schlapp, undurchdringlich wie ein Schwan aus Filz,
der auf einem Wasser aus Ursprung und Asche treibt.
Der Geruch des Frisiersalons läßt mich laut schluchzen.
Ich möchte nichts weiter als eine Ruhe von Steinen oder Wolle,
ich will keine Verordnungen, keine Gärten mehr sehen,
keine Waren, keine Brillen, keine Fahrstühle.
Es geschieht, daß ich überdrüssig meiner Füße, meiner Nägel bin,
und meines Haars und meines Schattens!
Ich bin es müde, Mensch zu sein.
Dennoch wäre es köstlich,
einen Notar mit einer ausgerauften Lilie zu erschrecken
oder eine Nonne mit einer Ohrfeige umzubringen.
Es wäre wunderbar,
mit einem grünen Messer durch die Straßen zu laufen
und Lärm zu schlagen, bis man tot umfällt vor Kälte.
Ich mag nicht mehr Wurzel sein in der Finsternis,
schwankend, ausgestreckt, zitternd vor Schläfrigkeit,
abwärts immer, ins nasse Eingeweid der Erde,
saugend und sinnend, essend Tag um Tag.
Ich mag soviel Unheil nicht für mich.
Mag nicht weiterhin Wurzel sein und Grab,
verlassener Schacht, Kellergewölb mit Toten,
kältestarr, vor Leid zugrunde gehend.
Darum flammt der Montag wie Erdöl auf,
wenn er mich kommen sieht mit meinem Kerkergesicht,
und er heult in seinem Verlauf wie ein wundes Rad
und macht Schritte von heißem Blut der Nacht entgegen.
Und er treibt mich in manche Winkel, in manch feuchte Häuser,
in Spitäler, wo die Knochen durch die Fenster herauskommen,
in manche Schusterstube, die nach Essig riecht,
in Straßen, erschreckend wie Erdrisse.
Es gibt Vögel, schwefelfarbig, und gräßliches Gedärm,
die an den Türpfosten der Häuser hängen, die ich hasse.
Es gibt Gebisse, in einer Kaffeekanne vergessen,
es gibt Spiegel,
die hätten weinen müssen vor Scham und Entsetzen,
Schirme gibt es allerorts und Gifte und Nabelschnüre.
Und ich schlendre umher, mit Gelassenheit, mit Augen, mit Schuhen,
mit Wut, mit Vergessen,
ich geh vorüber, quere Amtsstuben und orthopädische Läden,
und Höfe, wo an einem Draht Wäsche hängt:
Unterhosen, Handtücher und Hemden, die langsame
schmutzige Tränen weinen.
Pablo Neruda
Übertragung: Erich Ahrendt
••• Weiter gehts mit Don Pablo. Ich hatte ja angedroht, ein paar Entdeckungen zu präsentieren, Gedichte, in denen es weniger odenhaft zugeht. Dieses hier hat es mir besonders angetan.
Am 15. März 2007 um 07:45 Uhr
Nicht nur die letzten Zeilen sind sensationell, sondern das ganze, das ganze gebündelte Leben zu einem Gedicht, Herr Neruda, ich verleihe ihnen den Literaturnobelpreis, sie sollten ihn jedes Jahr bekommen, einfach so, nur so zum Spass, oder aus LIebe, denn Liebe Spass und Dichtung gehören der Welt, sie begehen keine Verbrechen und mit Spass diesem kleinen unsinnigen Wort meine ich nicht was die Masse daraus macht und mit Liebe auch nicht, die Liebe gehört so vielen nicht, die Liebe gehört nämlich allen.
Und ich schlendre umher, mit Gelassenheit, mit Augen, mit Schuhen,
mit Wut, mit Vergessen,
ich geh vorüber, quere Amtstuben und orthopädische Läden,
und Höfe, wo an einem Draht Wäsche hängt:
Unterhosen, Handtücher und Hemden, die langsame
schmutzige Tränen weinen.
Vielen Dank Herr Neruda!!!
Am 15. März 2007 um 10:29 Uhr
Tolles Gedicht!
Am 16. März 2007 um 06:50 Uhr
[…] Wäsche, Regen und Schluchzen. Beim Lesen von “Walking around” kam mir dieses Gedicht von Günter Eich in den Sinn. Daher ein kleines Abschweifen von den […]