••• Bevor ich nach den Abschweifungen der letzten Woche wieder zur Lyrik zurückkehre, soll noch ein Versprechen eingelöst werden, nämlich von der österreichischen Literaturzeitschrift „wesepennest“ zu berichten, deren Ausgabe Nr. 145 Anfang diesen Monats zur Rezension hier eintraf.
„Brauchbare Texte und Bilder“ lautet der Untertitel der Zeitschrift aus Wien, die vierteljährlich mit einem Umfang von 112 grossformatigen Seiten in einer Auflage um die 5000 Stück erscheint. Herausgegeben vom „Verein Gruppe Wespennest“ wird die Zeitschrift dank einer Vertriebskooperation mit C. H. Beck über den Buchhandel ausgeliefert. Brauchbar – das ist in diesem Fall pures Understatement. Was die Redaktion, unterstützt durch freie Mitarbeiter aus aller Welt, hier jeweils unter einem Schwerpunktthema zusammenstellt, ist mehr als brauchbar.
Es gibt einige Parallelen zu den Schweizer „entwürfen“. Auch das „Wespennest“ startete – wenn auch schon 17 Jahre früher, nämlich 1969 – als Autorenzeitschrift. Sie wurde später von Walter Famler übernommen, der gemeinsam mit Jan Koneffke noch immer als Herausgeber fungiert. Auch das Redaktionskonzept ähnelt ein wenig dem von „entwürfe“. Neben den Text- und Bildbeiträgen zum jeweiligen Heftschwerpunkt, der etwa ein Drittel des Heftes ausmacht, stehen an allgemeinen Themen orientierte redaktionelle Rubriken mit Essays, Lyrik, Besprechungen, Interviews, einer Theaterkritik und einem politisch-theoretischen Beitrag. Und ebenfalls wie bei „entwürfe“ tritt – allein schon wegen der quartalsweisen Erscheinungsweise – die platte Aktualität vor dem Bemühen ums redaktionelle Ganze und die Qualität der Beiträge in den Hintergrund.
Das „Wespennest“ wirkt in Aufmachung und Material sehr professionell. Pro Ausgabe sind 12 € anzulegen. Dafür bekommt man ein Heft fast genau doppelter „entwürfe“-Grösse, das einen gut lesbaren Zweispaltensatz, bei Bedarf für Lyrik- oder Bildstrecken aber auch einige interessante Gestaltungsvarianten ermöglicht. Kehrseite der schönen Aufmachung: Das Heft ist nicht wirklich nahverkehrstauglich.
Aber was steckt nun drin in der schönen Verpackung? Habe ich bei „entwürfe“ den Hut vor der Prosaredaktion gezogen, hat es mir beim „Wespennest“ vor allem die Lyrik angetan. Gedichte von Arielle Greenberg (übersetzt von Ron Winkler), von Ulrike Almut Sandig und von Walter Thümler – das allein wäre mir schon den Heftobulus wert gewesen. Kaum zu Ende gefreut über diese Beiträge wird mir dann auch noch ein „Dialog über Gottfried Benn und Bertolt Brecht“ (Jörg Magenau) präsentiert, den ich mit ebensolcher Freude gelesen habe.
Nicht unerwähnt bleiben soll der Heftschwerpunkt, hier zum Thema „Orte der Globalisierung“. Eine Prosa-Kompilation verschiedener Autoren aus mehreren Ländern wird hier präsentiert unter der gestalterischen Klammer des Kassenzettels für den Alltagseinkauf in dem jeweiligen Land.
Festgebissen habe ich mich am Eingangsessay dieses Heftes. „Gegen die Liebe“ lautet der Titel von Rainer Justs leidenschaftlichem Angriff auf das destruktive Ideal der romantischen Liebe. Der Untertitel „Literarische Spurensuche im Fall Natascha Kampusch“ umreisst den Ausgangsgedanken: Was macht ausgerechnet diesen Fall von Entführung so bestsellerisch? Manch Erhellendes steuert Rainer Just hier bei, um sich dann allerdings gefährlich zu verheddern. Das Ideal der romantischen Liebe als eine katholisch-kapitalistische Erfindung zu sehen, ist schlicht absurd. Man mag den alttestamentlich geprägten Religionen zuschreiben, das Thema Besitz des Partners (speziell der Frau durch einen Mann) im gesellschaftlichen Bewussten und Unbewussten verankert zu haben. Romantisch haben die Religionen die Liebe aber nie betrachtet.
Weitere ungereimte Verstrickungen folgen. Die Exerzierung des Ideals der romantischen Liebe macht unfrei, so dass man, wenn man in Priklopils Entführung ein Verbrechen sehen will, man auch die allgemeine Entwicklung der sklavischen Auslieferung an das Liebesideal als verbrecherisch brandmarken müsse. Durchwegs interessant zu lesen ist das allemal. Am Ende jedoch steht meine ratlose Vermutung, dass Just im leidenschaftlichen Ankämpfen gegen einen Fetisch schlicht Opfer eines anderen Fetischs geworden ist, nämlich des Ideals der persönlichen Freiheit. Saubere Begriffsklärung tut hier Not und dann: gern munter weiter fabuliert und angekämpft. Aber dieser intellektuelle Lanzenstoss traf (noch) nicht das anvisierte Ziel.
Wenn etwas wert ist, so viele Worte darüber zu verlieren, ist es allemal wert, von vielen gelesen zu werden. Und das ist denn auch mein Fazit: Unbedingt lesenswert! Bestellmöglichkeiten für Abonnements finden sich auf der Wespennest-Website. Frühere Ausgaben können ebenfalls via Internet bestellt werden.
Am 1. März 2007 um 21:34 Uhr
[…] Gründlichkeit: Der demletzt erwähnte Kampusch-Essay im “Wespennest” war mitnichten von Peter Moeschl verfasst, sondern von Rainer Just. Ich habe das korrigiert, anders […]