Mit weißen Bäuchen hängen die toten Fische
zwischen Entengrütze und Schilf.
Die Krähen haben Flügel, dem Tod zu entrinnen.
Manchmal weiß ich, daß Gott
am meisten sich sorgt um das Dasein der Schnecke.
Er baut ihr ein Haus. Uns aber liebt er nicht.
Eine weiße Staubfahne zieht am Abend der Omnibus,
wenn er die Fußballmannschaft heimfährt.
Der Mond glänzt im Weidengestrüpp,
vereint mit dem Abendstern.
Wie nahe bist du, Unsterblichkeit, im Fledermausflügel,
im Scheinwerfer-Augenpaar,
das den Hügel herab sich naht.
Günter Eich, aus: „Botschaften des Regens“
© Suhrkamp Verlag 1955
Ich glaube nicht an den lieben Gott. Wie käme ich dazu. Auch an Vorbestimmung glaube ich nicht; es gibt nichts, was unser Leben lenkt. Alles, was geschieht, geschieht rein zufällig, außer, wir haben es entsprechend eingerichtet. Manchmal kommt es dann trotzdem ganz anders und manchmal haben wir Glück. Und manchmal beides zusammen.
••• So beginnt Petra Hofmanns Erzählung „Ach, mein Joseph“, die ich in der letztens hier besprochenen Ausgabe von „entwürfe“ gelesen habe. „Uns aber liebt er nicht“, lässt sich das Ich bei Günter Eich vernehmen, das also die Existenz Gottes selbst nicht gleich leugnet.
Ich teile weder die eine noch die andere Ansicht und finde doch in beiden etwas Wahrhaftiges. Eingangs des täglichen jüdischen Hauptgebets, der „Sch’mone Essre“, heisst es: G’tt, gross, mächtig und furchtbar…
Von lieb ist keine Rede.
Das alles kommt mir in den Sinn beim Lesen des Interview-Foto-Bandes „Jüdische Portraits“ von Herlinde Koelbl, in dem jüdische Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Politik, Kunst und Kultur interviewt werden, denen rechtzeitig die Emigration aus Deutschland gelungen war und die so überlebt hatten. Eine Frage wird in allen Interviews immer wieder gestellt: „Welchen Einfluss hatte es auf Ihre Einstellung zum Judentum, dass Gott so etwas wie die Shoa zulassen konnte.“ Die Säkularen waren säkular geblieben, die Religiösen religiös.
Vielleicht ist die besondere Fürsorge für die Schnecke Lohn ihrer Demut. Wir wollen natürlich nicht „auf dem Boden kriechen“ – vor nichts und niemandem. Aber das sind alles nur Vermutungen…
Am 20. Februar 2007 um 11:15 Uhr
er ist schon sehr seltsam der glaube, gibt er den menschen einen halt, könnte es wohl kaum jemanden geben der sich daran stört, selbst wenn er nicht glaubt. in zenica /bosnien, gab es innerhalb von hundert metern vier möglichkeiten wo die leute sich aufhalten konnten, in einer moschee, in der katholischen und in der orthodoxen kirche oder in einem cafe.
man braucht nicht raten wo die meisten saßen, zumal wenn es warm war und der wahnsinn noch nicht daran dachte die nationalisten zu wecken.
ich mag das gedicht von eich, es gleitet so daher und das bild mit der fussballmannschaft gefällt mir auch, ich selber quäle mich seit jahren mit eintracht frankfurt herum und es hört einfach nicht auf.
Am 20. Februar 2007 um 11:19 Uhr
Die Frage mag vermessen klingen, was hätte Gott gegen die Shoa machen können? Die einzigen die etwas hätten tun können wären die Menschen selber, nicht zu schauen zum Beispiel wie Menschen einfach verhaftet wurden. Wo man doch sonst überall hinsieht hat man ausgerechnet dass nicht gesehen, das kann mir keiner erzählen. Das sind Fragen die man sich stellen muss. Gott konnte gar nichts tun, selbst wenn ich nicht an ihm glaube, glaube ich nicht dass er auch nur irgendeine Schuld am Dilemma der Menschheit hat.
Am 20. Februar 2007 um 14:00 Uhr
Ich bin immer sehr zögerlich, meine Meinung zu dieser Frage auszubreiten. Zu einem wäre sie wohl sehr polarisierend. Zum anderen bin ich – wenn ich ehrlich bin – auch heute, also nach Jahren, mit dieser Frage nicht fertig. Einerseits bin ich überzeugt vom Wirken des Ewigen in der Geschichte. Andererseits gibt es den freien Willen des Menschen und damit keine „Leitungsverpflichtung“ einer externen Autorität, auf die man sich herausreden könnte.
Im Beitrag über Jossel Rakover habe ich über den Begriff „Hester Ponim“ geschrieben: Die Idee, der Ewige hätte für einen Augenblick, diesen Augenblick von vielen Jahren, sein Angesicht verborgen, weggesehen. Wie wir mitunter wegsehen von Dingen, die nicht mitanzuschauen sind, doch die in die Verantwortung der Akteure gehören – und seien es auch unsere Kinder.
Ich habe – das will ich nicht verschweigen – auch immer die klaren Aussagen der Torah im Ohr, die detaillierten Drohungen an das Volk (quasi in Sippenhaft), wenn es von seinem ewigen Auftrag ablässt. Das könnte schwarze Pädagogik sein, und wenn nicht, würde es vielleicht eine zusätzliche Erklärung geben, warum sich das Morden zur Blüte der deutschen Reformbewegung ereignet hat. Aber es erklärt nicht das Massenmorden an Sinti und Roma in den KZ und an osteuropäischen Zivilisten im Zuge der Taktik der „verbrannten Erde“. Es erklärt auch nicht die Pogrome der vorangegangenen 2000 Jahre. Nein, je länger ich dieser Frage nachgehe, desto klarer wird mir, dass wir es nicht mit einer Strafe zu tun haben können, sondern mit einem Menschheitsversagen.
Als wäre es darum gegangen, uns klarzumachen, dass wir zuständig sind für den zivilisatorischen Zustand unserer Welt. Nicht der Schöpfer, sondern der mündige Besitzer. Gerade vor diesem Hintergrund erschreckt mich Ihre Erzählung aus Bosnien. Was dort geschehen ist, lässt vermuten, dass die Botschaft noch immer nicht angekommen ist.
Am 20. Februar 2007 um 14:17 Uhr
Was mich während des Krieges in Bosnien besonders erschüttert hat war dieses Schweigen. Ich hatte es damals und sehr gerne mit Linken zu tun, mit Hausbesetzern, mit Menschen die für mich für ein ganz anderes Leben standen.
Als der Krieg in Jugoslwien anfing, fing ich an sie nicht mehr zu begreifen. Die Sprache eines Karadzics war zu klar, zu nah an dem was für „uns“ immer ein Grund war auf die Strasse zu gehen um gegen die Faschisten zu demonstrieren, ich habe nie verstanden warum man nicht hinhörte, was hieß den „ethnische Säuberung“ zwei Wörter die zusammengefasst so schrecklich klingen wie jedes dass den Völkermord beschreibt, den Genozid, wie auch immer.
Ja, Sie (oder Du) haben es beschrieben wie man es besser nicht beschreiben kann, wir haben versagt, nicht Gott.
Wir können wenig tun, denn wo sitzen wir schon, zwischen den Zimmern wo irgendwo ein Haustür ist, aber wenn man nicht mal das wenige tut dass man tun kann ist das schon ein bißchen wenig.
Am 20. Februar 2007 um 22:46 Uhr
Das Du ist mir sehr recht. Ich habe mich nur so heimisch gefühlt in den zuletzt besuchten „literarischen Salons“, dass ich neue Besucher – zu denen Du ja unterdessen nicht mehr zählst – gern mit Sie begrüssen möchte. Wie so vieles in diesem Blog wird auch das noch seinen Weg finden.
Am 23. Februar 2007 um 22:10 Uhr
ich lese walter benjamin über kafka und dort ist ein gedicht von benjamin, ich denke es passt ganz gut zu dem was Du gesagt hast
Sind wir ganz von dir geschieden?
Ist uns, Gott, in solcher Nacht
nicht ein Hauch von deinem Frieden,
deiner Botschaft zugedacht?
Kann dein Wort denn so verklungen
in der Leere Zion sein-
oder gar nicht eingedrungen
in dies Zauberreich aus Schein?
Schier vollendet bis zum Dache
ist der große Wehbetrug.
Gib denn, Gott, daß der erwache,
den dein Nichtsdurchschlug.
So allein strahlt Offenbarung
in die Zeit, die dich verwarf.
Nur dein Nichts ist die Erfahrung,
die sie von dir haben darf.
So allein tritt ins Gedächtnis
Lehre, die den Schein durchbricht
das gewisseste Vermächtnis
vom verborgenen Gericht.
Haargenau auf Hiobs Waage
ward gemessen unser Stand,
trostlos wie am jüngsten Tag
sind wir durch und durch erkannt.
In unendlichen Instanzen
reflektiert sich was wir sind.
Niemand kennt den Weg im ganzen,
jedes Stück schon macht uns blind.
Keinem kann Erlösung frommen,
diese Stern steht viel zu hoch,
wärst du auch dort angekommen,
stündst du selbst im Weg dir noch.
Preisgegeben an Gewalten,
die Beschwörung nicht mehr zwingt,
kann kein Leben sich entfalten,
das nicht in sich selbst versinkt.
Aus dem Zentrum der Vernichtung,
bricht zu Zeiten wohl ein Strahl,
aber keiner weist die Richtung,
die uns das Gesetz befahl.
Seit dies trauervolle Wissen
unantastbar vor uns steht,
ist ein Schleier jäh zerissen,
Gott, vor deiner Majestät.
Dein Prozeß begann auf Erden;
endet er vor deinem Thron?
Du kannst nicht verteidigt werden,
hier gilt keine Illusion.
Wer ist hier der Angeklagte?
Du oder die Kreatur?
Wenn dich einer drum befragte,
du versänkst in Schweigen nur.
Kann solch Frage sich erheben?
Ist die Antwort unbestimmt?
Ach, wir müssen dennoch leben,
bis uns dein Gericht vernimmt.
Am 24. Februar 2007 um 03:41 Uhr
Das Gedicht oben ist nicht von Benjamin, es stammt aus einem Briefwechsel zwischen Scholem und Benjamin und ist von Scholem….sorry
Am 24. Februar 2007 um 20:40 Uhr
[…] ergibt sich, wenn Götter sich necken? Das passt irgendwie zur Diskussion, die wir vor einigen Tagen hier hatten: Wenn sie sich necken oder wenn sie zürnen, wenn sie […]
Am 24. Februar 2007 um 21:00 Uhr
Danke, Hilbi, für das Gedicht. Ich hatte zwar für die kommende Woche anderes vor; aber ich glaube, ich werde mal noch ein paar „Götterspiele“ ausgraben…
Am 13. April 2007 um 11:00 Uhr
Ich finde das Gedicht sehr undurchdringlich und verwirrend. Es scheint sich als Motive mit dem Tod und auch mit der Gottesfrage zu beschäftigen, jedoch verschleiern mir die Chiffren die eigentliche Aussage des Gedichtes.
Ich kann keine Zusammenhänge zwischen den toten Fischen, den fliegenden Krähen, der Fußballmanschaft und der Schnecke herstellen.
Vielleicht kann mir einer von Euch auf die Sprünge helfen….
Lg Chris
Am 14. April 2007 um 22:51 Uhr
Mit einer vollständigen Interpretation muss ich passen.
Am 15. April 2007 um 16:26 Uhr
Vielleicht kannst du mir ja auch ein paar Hypothesen oder Interpretationsansätze schreiben….
Danke Dir
Am 15. April 2007 um 21:26 Uhr
Ich denke zumindest, es ist von unterschiedlichen Arten Liebe die Rede. Die Liebe Gottes in der Pflanzen- und Tierwelt ist eine fürsorgliche: „Du öffnest Deine Hand und sättigst alles Lebende nach seinem Verlangen“ (Psalmen). Diese Art fürsorglicher Liebe baut der Schnecke ein Haus. Anders bei uns: An uns richtet sich die fordernde und fördernde Liebe. Für den Menschen ist Leben Aufgabe. Liebt Er uns nicht? Jedenfalls in einer anderen Weise als die übrige Schöpfung. Das war der Ausgangspunkt dieses Beitrags: Vom „lieben Gott“ höre ich gar nicht gern reden. Welche Art Liebe? Und es steckt doch in Ihm das gesamte Spektrum: König, Richter, Liebender…
Das ist natürlich eine ganz religiöse Herangehensweise an den Text. Ich habe keine Ahnung, wie Eich selbst zu Gott stand und ob seine Intention hier nicht ganz eine andere war.