Elke erzählt

10. Februar 2007

Elke erzählt - Hörbuch-Cover ••• Manchmal findet man; manchmal wird man gefunden. Vor einigen Tagen kam ein Autorenkollege hier vorbei, um ein wenig zu stöbern. Er hinterliess einen Kommentar und damit eine heisse Spur zu gleich mehreren Blogs, wie ich sie suche: Blogs von Autoren, quasi Dichter-Moleskines.

Unter dem Titel seines Hörbuchs „Elke erzählt“, publiziert Hans J Hilbig in kleineren Happen einen sehr poetischen Prosatext, der unbedingt lesenswert ist.

Das ist nicht die einzige Online-Entdeckung der letzten Tage. Und so gibt es ab heute eine neue Rubrik „Auf der Rolle“. Unter dieser Rubrik werde ich gelegentlich literarische und Autoren-Weblogs vorstellen, die auf die Turmsegler-Blogroll gehören.

 

ich bin das kind eines hundefängers, eines ehebrechers, mein vater war so treu wie eine taube, er verlor nie die fassung, manchmal sagte er von sich selber, ich bin witzlos, dann lachte er und er ging zufrieden woanders hin. immer ging er woanders hin, nie konnte er dort bleiben wo er war, obwohl er immer dort blieb wo er war, aber das war jedesmal woanders.

manchmal fragte ich meine mutter, was ein tragbares fernsehgerät kostet, da wurde sie nervös und machte mit den händen so eine flugbewegung und sagte, du bist wie der vater, nur weiblicher und kleiner, lockiger und leichter.

eigentlich sollte ich ein junge werden, aber sie hatten sich vertan, die mischung stimmte und deshalb wurde ich ein mädchen. wäre ich ein junge geworden, mein vater hätte mich ins weltall geschossen, nur so, damit ich schaue was da los ist. er traute den staaten nicht die ins weltall fuhren, er war sich sicher, dass die uns anlogen, dass die uns nicht alles erzählen, er war sich sicher dass es irgendwo dort oben planeten gab.

wenige jahre später sagte ich ihm, aber die sagen doch auch dass es planeten gibt, aber er liess sich nicht abbringen, schüttelte den kopf und meinte, ich weiß aber mehr als die, denn ich komme vom planet urus dem vierunddreissigsten.

das waren die tage als frau holle beschloss sich bis auf die zähne mit schnee zu bewaffnen und ihn nach unten zu schiessen, wir bekamen eine heftige ladung ab und waren eingeschneit.

selbst unsere gedanken waren eingeschneit.

alle bürger hörten auf zu denken. es war eine wunderbare zeit. nur mein vater dachte, aber er tat es unbemerkt, es fiel fast gar nicht auf.

Hans J Hilbig, aus: „Elke erzählt“

PS: Je öfter ich das lese, desto mehr Lust bekomme ich auf ein kleines Experiment mit diesem Text… Aber das darf man wohl so quasi öffentlich nicht, oder doch?

9 Reaktionen zu “Elke erzählt”

  1. Hilbi

    Elke jedenfalls hätte nichts dagegen und ich schon gar nicht

  2. Benjamin Stein

    Es wäre auch wirklich nur ein kleines Experiment… Kommt bald.

  3. Benjamin Stein

    Hier wäre mal das Experiment:

    Ich bin das Kind eines Hundefängers, eines Ehebrechers. Mein Vater war so treu wie eine Taube. Er verlor nie die Fassung. Manchmal sagte er von sich selber: Ich bin witzlos. Dann lachte er und ging zufrieden woanders hin. Immer ging er woanders hin. Nie konnte er dort bleiben, wo er war, obwohl er immer dort blieb, wo er war, aber das war jedesmal woanders.

    Einmal fragte ich meine Mutter, was ein tragbares Fernsehgerät kostet. Da wurde sie nervös und machte mit den Händen so eine Flugbewegung und sagte: Du bist wie der Vater, nur weiblicher und kleiner, lockiger und leichter.

    Eigentlich sollte ich ein Junge werden, aber sie hatten sich vertan. Die Mischung stimmte, und deshalb wurde ich ein Mädchen. Wäre ich ein Junge geworden, mein Vater hätte mich bestimmt ins Weltall geschossen, nur so, damit ich schaue, was da los ist. Er traute den Staaten nicht, die ins Weltall flogen. Er war sich sicher, dass die uns anlogen, dass die uns nicht alles erzählten. Er war sich sicher, dass es irgendwo dort oben Planeten gab.

    Wenige Jahre später sagte ich ihm: Aber die sagen doch auch, dass es Planeten gibt! Aber er liess sich nicht abbringen, schüttelte den Kopf und meinte: Ich weiß aber mehr als die, denn ich komme vom Planet Urus dem vierunddreissigsten.

    Das waren die Tage, als Frau Holle beschloss, sich bis auf die Zähne mit Schnee zu bewaffnen und ihn nach unten zu schiessen. Wir bekamen eine heftige Ladung ab und waren eingeschneit.

    Selbst unsere Gedanken waren eingeschneit.

    Alle Bürger hörten auf zu denken. Es war eine wunderbare Zeit. Nur mein Vater dachte, aber er tat es unbemerkt. Es fiel fast gar nicht auf.

    Ich bilde mir ein, dass die Interpunktion einen anderen Rhythmus bringt. Denn ich lese das nicht so atemlos, wie es da stand, mit kaum Punkten, wie in einem Atemzug. Ich habe überlegt, ob das diese Variante den Geschichten nicht mehr Raum lässt, mehr Atmosphäre. Aber ich bin mir nicht sicher, ob das nicht vielleicht nur esoterisch ist…

  4. Hilbi

    ich würde ja lieber ganz ohne punkt und ohne komma schreiben, und ich hätte gerne eine Begründung dafür, gertrude stein hatte eine, aber das ist eben Gertrude STein. Die gute hatte niemals fragezeichen gemacht.

    Ich aber habe keine andere Begründung als die, dass meine grammatik eine Katastrophe ist und ich mich aber immerhin damit über Wasser halte, das Leute wie Marquez oder die Lavant ebenfalls Schwierigkeiten hatten.

    Übrigens Herr Stein, sind Sie denn ein wenig verwandt mit Gertrude?

  5. Benjamin Stein

    Nein, mit Gertrude Stein bin ich gar nicht verwandt.

    Dass Sie mit der Grammatik Schwierigkeiten haben, ist natürlich hinderlich, besonders, wenn man so produktiv im Schreiben ist wie Sie. Aber die gute Nachricht ist: Es geht ja hier nicht um „richtige“ Zeichensetzung im Sinne einer Grammatik, sondern um Strukturieren des Textes durch Zeichen, durch Pausen. Sie sind doch recht musikalisch. Man kann die Zeichen, also Komma, Semikolon und Punkt auch als unterschiedlich lange oder meinetwegen auch unterschiedlich intensive Pausen/Trennungen betrachten. Wenn Sie dann dem ja vorhandenen musikalischen Fluss Ihres Textes nachspüren, fühlen Sie, wohin die eine oder andere Pause/Trennung gehört, da bin ich sicher. Die Zeichen sind sicher wichtiger als die Gross- und Kleinschreibung.

    Ich bin allerdings schon der Meinung, dass wir verpflichtet sind, dran zu bleiben bei diesem Thema, denn es handelt sich ja hier um unser Handwerkszeug. Wir müssen also üben wie der Musiker, wie der Maler und uns in unseren Techniken schulen. Auch und besonders, wenn wir da von der Natur ein Defizit mitbekommen haben, das auf der anderen Seite mit einer grossen Kreativität und Imaginationskraft in Konkurrenz steht.

    Natürlich heisst das nicht, dass man sich erst artikulieren „darf“, wenn man in allem Handwerk virtuos ist. Aber vernachlässigen darf man es nicht.

  6. Hilbi

    auf keinen fall will ich das vernachlässigen und auf das musikalische lege ich wert, ganz stark bei den elke texten, wenn Du einmal hören könntest wie Jo Kern diese Texte spricht (hast du vielleicht) dann hört man das schon sehr stark heraus und ich würde mir gerne einreden (und vielleicht ist es auch so) dass die neueren Texte noch musikalischer sind und werden.

  7. ksklein

    Benjamin, wolltest Du nicht zum „Du“ übergehen? ;)

  8. Benjamin Stein

    Wollte ich, aber Hilbi kann sich scheinbar auch nicht recht entscheiden :-)

  9. Hilbi

    Das stimmt, zumal wenn einer Stein heißt, im Ernst, meine LIeblingsdichterin heißt Gertrude Stein und mein LIeblingstorwart Uli Stein (spielt aber schon lange nicht mehr, nun Gertrude Stein dichtet auch schon lange nicht mehr, zumindestens nicht auf diesem PLaneten).

Einen Kommentar schreiben

XHTML: Folgende Tags sind verwendbar: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>