Ballade, um als Schluß zu dienen

16. Januar 2007

Und hiemit schließt das Testament,
das euch François Villon beschert.
O kommt zur Leiche, falls ihr könnt,
wenn ihr das Sterbeglöcklein hört;
doch in zinnoberrotem Kleid:
Er ist ein Märtyrer, der leidet.
Er schwört’s bei seiner Männlichkeit,
bis er aus diesem Leben scheidet.

Und er spricht wahr. Von seinen Lieben
ward schon von je François Villon
mit Schimpf und Schmach davongetrieben,
so daß von hier bis Roussillon
kein Bäumchen, keine Hecke steht,
die ihn mit scharfem Dorn nicht schneidet,
kein Wind geht, der ihn nicht verweht,
bis er aus diesem Leben scheidet.

Und naht einst seine Todesstunde,
besitzt er sicher keinen Fetzen;
die kaum vernarbte tiefe Wunde
wird stets die Liebe neu verletzen.
Von ihrem scharfen Dorne wird
das Leben täglich ihm verleidet,
so daß er ohne Ruhe irrt,
bis er aus diesem Leben scheidet.

Geleit

O seht, ihr Wirte, seine Pein
und seine Armut an. Drum kreidet
ihm täglich ein paar Liter Wein,
bis er aus diesem Leben scheidet.

François Villon,
übertragen von K. L. Ammer

••• Wenn ich so fortfahre, werden am Ende noch alle meine Quellen offenliegen; der Brunnen der Inspiration ausgeleuchtet bis in die letzten Winkel… Aber was solls. Ich bin ja in bester Gesellschaft.

Obige Villon-Übertragung von 1903 ist aus einem alten Reclam-Bändchen zitiert, das 1981 in der DDR erschienen ist. Versehen ist es mit einem Nachwort von Stephan Hermlin – von dem hier auch noch die Rede sein wird. Er stellt dem Band ein Geleit-Sonett von Bert Brecht voran:

Hier habt ihr aus verfallendem Papier
noch einmal abgedruckt sein Testament,
in dem er Dreck schenkt allen, die er kennt –
wenn’s ans Verteilen geht: schreit, bitte, „hier!“

Wo ist euer Speichel, den ihr auf ihn spiet?
Wo ist er selbst, dem eure Buckel galten?
Sein Lied hat noch am längsten ausgehalten,
doch wie lang hält es wohl noch aus, sein Lied?

Hier, anstatt daß ihr zehn Zigarren raucht,
könnt ihr zum gleichen Preis es noch mal lesen
(und so erfahren, was ihr ihm gewesen…)

Wo habt ihr Saures für drei Mark bekommen?
Nehm jeder sich heraus, was er grad braucht!
Ich selber hab mir was herausgenommen…

Und allerhand hat er sich herausgenommen. Schaut man auf die frühen Augsburger Gedichte des jungen Gitarrenbarden Brecht, so wird man geradezu mit der Nase auf Duktus, Bildmaterial und sogar das Vokabular von Villon stoßen.

Unglaubwürdig? Morgen gibt es eines von vielen Beispielen…

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