••• Als ich Julias Buch 1997 las, gab es mir einen Kick, und es beschämte mich. Ohne mit der Wimper zu zucken, grad wie im Vorbeigehen erzählte sie die verstörendsten Dinge. Die Worte trafen genau, sie trafen unmittelbar. Und alles – so schien es mir – war echt.
Ich arbeitete damals gerade an der x-ten Iteration eines Manuskripts, an dem ich schon seit 1987 übe. Es besteht aus Monologen der beteiligten Personen. Für eine dieser Figuren – ein Mädchen – hätte ich mir diese Sprache gewünscht, dieses scheinbar unbeteiligte Erzählen, bei dem man doch nach jedem Satz genau spürt, wie sehr beteiligt, wie bis ins Tiefste beteiligt die Erzählerin gewesen war. So viel zum Kick.
Und die Beschämung?
Ich war die Jahre zuvor damit beschäftigt gewesen, ein Buch zu schreiben, wie ich meinte, dass es gewollt werden würde vom Markt. Das als Debüt eine Chance haben sollte, wahrgenommen zu werden. Das hatte funktioniert. Es gab zwei Auflagen eines schönen Hardcovers, es gab Besprechungen in wirklicher Fülle, Lesungen, ein Taschenbuch, wunderbar. Doch dann stand ich schliesslich an jenem Tag im Handlager des Ammann-Verlages, nahm Julias „Neuen Koch“ aus dem Regal und fing an zu lesen und war entsetzt. Im gleichen Jahr, im gleichen Land, in der gleichen Stadt geboren wie ich, war sie um so vieles mutiger gewesen. Sie hatte keinen Markt-Unfug getrieben, sondern Literatur gemacht. Das hat mich beschämt.
Ich wusste auf einmal sehr genau, dass Literatur keine Dienstleistung ist. Ich würde nur noch schreiben, wann, was und wie ich schreiben wollte. Oder gar nicht. Und gar nicht kam damals nicht in frage.
Also wollte ich Julia kennenlernen, einen tiefen Kotau machen vor ihr und dem Buch, über Literatur und Erzählen reden und vielleicht am Ende sogar noch über meinen eigenen, neuen Text.
Verabredet waren wir in einem Café im Berliner Wedding. Ich war zu früh und musste warten. Sie wusste nicht, wie ich aussehe. Ich hatte nur den briefmarkengrossen Porträtausschnitt auf ihrem Buch-Cover gesehen. Und als nun schliesslich eine junge Frau zur Tür hereinkam, die sie hätte sein können, war ich mir dann doch nicht ganz sicher. Sie war sehr attraktiv. Darauf war ich nicht gefasst. (Als müsste man sich auf dergleichen vorbereiten!) Sie blieb an der Tür stehen, nahe der Bar, und wenig später, während ich noch mit der Frage beschäftigt war, ob ich hier womöglich eine Fremde mit einer anderen Fremden verwechselte, sprach sie einen Recken an, der an der Bar stand. Sie fragte sicher, ob er es sei. Da wusste ich: Sie war es. Er hingegen war nicht ich. Ich selbst war gerade auch nicht ich selbst oder zu sehr. Und was tat ich also? – Gar nichts. Und sie verliess das Lokal.
Wir haben uns dann doch noch getroffen und miteinander gesprochen. Meine Erkenntnisse über mein erstes Buch habe ich nicht vor ihr ausgegossen. Das wäre nun wirklich zu viel gewesen. Ich zitterte innerlich ohnehin, denn ich bin mir selbst selten so peinlich vorgekommen wie in diesem Moment im Café, als ich nicht einmal aufstand, als ich mir wirklich sicher war und sie die Klinke schon wieder in der Hand hatte und ging.
Als ich ihr vor kurzem schrieb und um Erlaubnis für das gestrige Zitat aus dem „Neuen Koch“ fragte, antwortete sie: unsere Begegnungen habe ich in keiner peinlichen Erinnerung. Dann werde ich jetzt mal – nach fast zehn Jahren – ausatmen.
Den Kotau konnte ich ja nun auch nachholen.
Am 12. August 2009 um 22:29 Uhr
[…] Als ich nach dem Treffen mit Julia in Berlin nach München zurückkehrte, schrieb ich weiter an meinem “ewigen […]