Akzente

6. Januar 2007

••• Im Dezember habe ich mit Zuneigung von „Sinn und Form“ als altehrwürdiger Freundin berichtet. Nicht weniger ehrwürdig ist eine weitere Literaturzeitschrift, die seit nun schon 53 Jahren vom Hanser Verlag herausgegeben wird: „Akzente“.

Interessenten können ein Kennenlernexemplar kostenfrei online bestellen. Eine Übersicht über die bisherigen Ausgaben, die zum Teil bestellbar sind, findet sich hier. Wer wirklich an Lyrik interessiert ist, wird um ein Abonnement nicht herumkommen.

Michael Krüger, seit über zwanzig Jahren Herausgeber und – gemeinsam mit diversen Mitgliedern seiner Familie – Kommanditist der sicher wirtschaftlich nicht lohnenden Zeitschrift, schreibt über „Akzente“:

Die AKZENTE gibt es seit 1954. Sie ist eine der typischen Nachkriegsgründungen, als Zeitschriften noch eine sehr wichtige Funktion innerhalb einer Gesellschaft hatten, die mit der Literatur und durch die Literatur sich orientieren wollte. Und zwar nicht deshalb, weil [es] nicht auch damals bereits genügend Bücher zu kaufen gab, sondern weil nach dem nationalsozialistischen Furor das Konzept von Bildung, von literarischer Erziehung und utopischem Material neu bedacht werden mußte. Es ging als[o] nicht so sehr darum, einer bestimmten Richtung, einer Schule ein Forum zu verschaffen, sondern vielmehr darum, die Erkenntnispotentiale der Literatur nach der Periode der Zensur zu fördern. […] In den seither vergangenen mehr als vierzig Jahren hat sich die Zeitschrift natürlich geändert, weil sich die Gesellschaft und die literarischen Ansprüche der Gesellschaft geändert haben. So kann man heute vielleicht sagen, daß die Zeitschrift viel esoterischer geworden ist, in dem sie an dem ursprünglichen Konzept festhält, die Sprache der modernen Poesie, wie sie international gesprochen wird, zu dokumentieren.

Anders als bei „Sinn und Form“ liegt bei „Akzente“ der Akzent klar auf der Dichtung. Grund genug, die Zeitschrift schleunigst einmal zu bestellen. Schliesslich bin ich auf Entdeckungen aus und hätte diese Informationslücke längst einmal schliessen sollen.

Ich habe mir also eines der letzten Hefte (Oktober 2006) cover-to-cover angesehen. Esoterisch kann ich „Akzente“ nun wirklich nicht finden. Erst habe ich mich aufgeregt. Dann war ich aufgeregt. Und am Ende werde ich wohl zum Abonnenten werden.

Aufgeregt habe ich mich über Felix Christen und dessen Essay „Gedichte sehen“ über Gedichte von Seamus Heaney und deren Übersetzung ins Deutsche. Er beginnt mit der erhellenden Feststellung:

Seamus Heaneys Lyrik findet eine ihrer Grundlagen in der Lyrik selbst: in Übersetzungen, Transpositionen und Deutungen von Gedichten, die den Rahmen seines literarischen Werkes bilden. Heaneys Auseinandersetzung mit der […] Literatur in seinen Übersetzungen, seinen Vorlesungen und Essays geht einher mit der Einsicht, daß Sprache – die Sprache der Dichtung, auch wenn sie im einzelnen Gedicht den Anspruch hat, zu einer Singularität zu finden – dem Schreiben vorgängig ist und eine der Wirklichkeiten, deren man in Gedichten gewahr wird, die Wirklichkeit der Literatur ist.

Auslassungen wie diese sind schuld daran, dass ich gewisse Zeitschriften wie etwa lettre nur in homöopathischen Dosen zu mir nehmen kann. Was erfahren wir hier denn bitte? Dass Heaney ein Ideen- und Textdieb ist? Dass man sprechen muss, bevor man schreiben kann? Dass wir in Gedichten eine Realität vorfinden, die sich mit der aus den Zeitungen nicht zwingend deckt, doch nicht weniger real ist als diese? – Was für Neuigkeiten! Textdiebe sind wir auf die eine oder andere Art alle, dafür muss man uns nicht noch loben. Um uns das mitzuteilen, hätte sich der Autor nicht derart spreizen müssen.

Das war kein guter Start ins Heft. Die folgenden Gedichte haben mich nicht gepackt. Anrührend hingegen war Peter Hamms Bericht über Hans Bender, Mitbegründer der „Akzente“. Mit Ralph Dutlis Beiträgen zum Thema Lyrik-Übersetzungen war ich dann schliesslich wieder versöhnt und mitten im Hauptthema des Heftes versunken. Im letzten Viertel schliesslich der Paukenschlag: Der dritte Gesang der „Ilias“ in der Neuübertragung von Raoul Schrott und im Anschluss Schrotts Erwiderung auf eine Kritik von Joachim Latacz an seiner – Schrotts – Übersetzungspraxis.

Das sind gleich zwei Leckerbissen auf einmal. Die „Ilias“ habe ich so noch nie gelesen. Als Leser sind mir alle die philologischen Debatten ganz und gar gleich, wenn ich nur einen so erfrischenden, mitreissenden und stelzfrei lesbaren Homer zu lesen bekomme. Ich liebe diese Übertragung. Punkt.

Raoul Schrotts Kritik-Erwiderung lohnt ebenfalls die aufmerksame Lektüre. Mit welcher Beiläufigkeit hier Homer und seine sprachlichen Fähigkeiten abgebügelt werden… Nicht schlecht! Es gibt in dieser Erwiderung viel zu lernen, was die altgriechische Dichtung angeht, aber auch was dichterisches Handwerk allgemein betrifft.

So war meine sehr verspätete erste Begegnung mit „Akzente“ eine sehr emotionale, packend und lohnend. Raoul Schrotts „Ilias“-Neuübertragung, die im kommenden Herbst erscheinen soll, fiebere ich nun mit brennender Ungeduld entgegen.

Eine Reaktion zu “Akzente”

  1. Ilias. 4. Gesang « Turmsegler

    […] Als Fan der neuen Ilias-Übertragung von Raoul Schrott habe ich mich ja schon bekannt. In der aktuellen Akzente-Ausgabe 1/2007 gibt es nun einen Nachschlag für all jene, die nicht bis […]

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