Wie soll ich’s halten künftig?
Mir einen mächtigen Patron entdecken
Und als gemeines Schlinggewächs dem Schaft,
An dem ich aufwärts will, die Rinde lecken?
Durch List empor mich ranken, nicht durch Kraft?
Nein, niemals! Oder soll ich, wie so viele,
Ein Loblied singen auf gefüllte Taschen,
Soll eines Hofmanns Lächeln mir erhaschen,
Indem ich seinen Narren spiele?
Nein, niemals! Oder soll ich Kröten schlucken,
Auf allen vieren kriechen, gleich dem Vieh,
Durch Rutschen wund mir scheuern meine Knie,
Kreuzschmerzen leiden durch beständ’ges Ducken?
Nein, niemals! Soll ich einem Schäfchen gleichen,
Um selbst mir eins ins Trockene zu bringen?
Soll Honig streun, um Zucker einzustreichen?
Und unermüdlich Weihrauchfässer schwingen?
Niemals! Soll ich als lust’ger Zeitvertreiber
Nach großem Ruhm in kleinem Kreise spähn,
Damit sich von den Seufzern alter Weiber
Des Dichterschiffleins schlaffe Segel blähn?
Niemals! Für meine Verse dem Verleger,
Der sie mir druckt, bezahlen runde Summen?
Niemals! In der Verbrüderung der Dummen
Gefeiert werden als der Bannerträger?
Ein einziges Sonett wie ein Hausierer
Vorzeigen, statt noch andre zu verfassen?
Niemand talentvoll nennen als die Schmierer?
Vor jedem Literatenklatsch erblassen
Und eifrig forschen: Werd ich anerkannt?
Hat der und jener lobend mich genannt?
Niemals! Stets rechnen, stets Besorgnis zeigen,
Lieber Besuche machen als Gedichte,
Bittschriften schreiben, Hintertreppen steigen?
Nein, niemals, niemals, niemals! – Doch im Lichte
Der Freiheit schwärmen, durch die Wälder laufen,
Mit fester Stimme, klarem Falkenblick,
Den Schlapphut übermütig im Genick,
Und je nach Laune reimen oder raufen!
Nur singen, wenn Gesang im Herzen wohnt,
Nicht achtend Geld und Ruhm, mit flottem Schwunge
Arbeiten an der Reise nach dem Mond
Und insgeheim sich sagen: Lieber Junge,
Freu dich an Blumen, Früchten, selbst an Blättern,
Die du von deinem eignen Beet gepflückt!
Wenn dann vielleicht bescheidner Sieg dir glückt,
Dann mußt du nicht ihn teilen mit den Vettern;
Dann darfst du König sein in deinem Reiche,
Statt zu schmarotzen, und dein Schicksal sei,
Wenn du der Buche nachstehst und der Eiche,
Nicht hoch zu wachsen, aber schlank und frei.
Edmond Rostand, aus: „Cyrano de Bergerac“ (1897)
Übersetzung: Ludwig Fulda
Phillip Reclam jun. Stuttgart 1997
Welch Credo für einen Dichter! – Die Entdeckung dieses poetischen Juwels verdanke ich der Filmindustrie. Die sehr textnahe Verfilmung des Stückes mit Gerard Depardieu in der Titelrolle ist unbedingt sehenswert. Das Stück selbst auch zu lesen, ist nicht weniger zu empfehlen. Man muss sein Handwerk schon so virtuos beherrschen wie Edmond Rostand, um in einem Versdrama durchgängig mit so federhafter Leichtigkeit zu Werke gehen zu können.
Die „Reise zum Mond“ bezieht sich übrigens auf den gleichnamigen satirisch-utopischen Roman, den der historische Cyrano de Bergerac um 1648 schrieb. Andere tatkräftige Träumer wie Jonathan Swift und die Gebrüder Montgolfier wurden durch dieses Buch beeinflusst.
Die neuen naturwissenschaftlichen, insbesondere astronomischen Erkenntnisse der Zeit hat Cyrano verarbeitet und an der Unzulänglichkeit der Menschennatur und am Zusammenleben der Menschen mit tiefem Pessimismus Kritik geübt. Bereits auf dem Monde trifft Cyrano auf eine utopische bessere Welt; die Vollendung, in der die Natur volle Beseelung erreicht und die Gebundenheit an die Materie überwunden wird, findet er im ewigen Lichte der Sonnenstaaten.
[Ralf Steyer, aus dem Nachwort zur o. g. Ausgabe]
Zu Lebzeiten hielt seine Bekanntheit sich in Grenzen. Bevor Rostand ihn mit seinem Stück unsterblich machte, waren seine Schriften fast vergessen. Ein Holzbalken hatte ihn auf der Gasse getroffen. Viele Monate siechte Cyrano im Bett, bevor er 1655 – mit gerade einmal 36 Jahren – als verarmter Edelmann starb.
Am 11. Januar 2007 um 09:03 Uhr
[…] Um dem Mond eine klare Wendung zu geben […]
Am 20. März 2008 um 18:08 Uhr
Schön, hier noch einmal diese großartige Übertragung der Dichtung Rostands ins Deutsche zu finden! Weiß hier vielleicht irgendjemand, wer die ‚Übersetzung‘ damals für Reclam gemacht hat?
Passagenweise konnte ich dieses Bekenntnis Cyranos beinahe sofort auswendig, nachdem ich den Film damals gleich zweimal gesehen hatte. (Bin auf diese Seite gekommen, indem ich eine der erinnerten Zeilen bei google gepostet habe, um die Passage wieder zu ‚ergänzen‘ – für ein Zitat)
Meine Frage aber wäre, ob mir irgendjemand sagen kann, wer eigentlich den „Cyrano“ für reclam ins Deutsche übertragen hat?
Denn, so gut Edmond Rostand auch war, diesen Rhythmus, diese sprachliche Virtuosität bei der Übertragung nicht nur auf dem Level des Originals gehalten zu haben, sondern – das ist mein Eindruck – das Original in weiten Teilen sogar übertroffen zu haben, das ist eine hoch-inspirierte, geradezu verehrungswürdige Meisterleistung, denn natürlich ist es im Französischen sehr viel einfacher, diese Sprachmelodie und auch das Reimschema über einen längeren Text hin durchzuhalten, als im Deutschen…
Dennoch meine ich mich zu erinnern, dass in ‚meiner‘ damaligen Reclam-Ausgabe, die ich mir nach dem Film natürlich auch gleich ausgeliehen hatte, der ‚Übersetzer‘ mit keinem Wort Erwähnung fand: Vollkommen unverständlich. – Weiß hier vielleicht jemand, wer das geleistet hat? – Danke.
Am 20. März 2008 um 18:26 Uhr
Ich finde das Buch grad mal wieder nicht. Wenn es wieder auftaucht, ergänze ich das hier. Aber schau doch mal oben. Da steht: Ludwig Fulda.
Am 23. März 2008 um 09:01 Uhr
[…] lebt von einem Brotberuf, dann sollte man sich auch den Luxus gönnen, nur zu schreiben, “wenn Gesang im Herzen wohnt”, keinerlei Konzessionen zu machen an Märkte, keine Sekunde zu verschwenden auf […]
Am 23. August 2009 um 09:48 Uhr
[…] darauf Als ich es zum ersten mal betrat da lagen wohin ich auch sah kronen im staub kronen die man königen abgenommen […]