Mädchen

Sonntag, den 22. April 2007

Ich will in meinem Bette ruhn und die Erde bedecken
Über den Ländern Europas und Afrikas liege ich da.
Meinen linken Arm will ich tief hinein nach Asien strecken.
Und den rechts nach Amerika.
Mein schlängelndes Haar wird im Nordmeer den Alk erschrecken.

Zischende Augen will in das weiche Dunkel ich bohren
Wie farbigen Stahl, der die kühle Haut verglüht und zerreißt,
Mit meiner Nacktheit leuchten dem, der die Straße verloren,
Der meine Stätte ungewiß suchend umkreist,
Und mich mit Schweigen verkleiden vor brüllenden Kehlen, versiegelten Ohren.

Mein bleiches Kissen: Eisberg, den Nacht umflutet.
Ich schmelze ihn hin mit dem Tropenstrauß meiner Hand,
Mit Irisblüten, golden und braunrot durchblutet;
Graubläuliche Otter hält sie leicht wie ein Band,
flüstert Wunder mir zu, die sie weiß und vermutet.

Und ein Wunder ist dies: es spritzen feurige Funken
Aus der Glut. Den Himmel brennt Mondnarbe, Sternenmal.
Und der Erde gereiftes Brot wird verteilt, ihr Wein wird getrunken.
Wasser scheint immer noch zart und wallend und fahl,
Hegt den stummen mächtigen Hai und das Läuten gelbbauchiger Unken.

Düster und Strahl sind um mich. So sind sie gewesen,
Da der Ägypter den Königen steinerne Gräber getürmt,
Noch die Sibylle ihre verkohlten Bücher gelesen,
Da erzürnte Harpyien das Mahl des Phineus umstürmt.
Da Juda die Götzenhäuser gefegt mit glänzendem Besen.

Nun verbergen Menschen die Bläue mit speienden Schloten,
Fürchten das Erdgespenst nicht mehr, den klagenden Wolf,
Schirren die Luft und fahren in steigenden Booten
Über Woge und Welt, spielen Tennis und Golf
Und schlafen dann hundert Jahre unter den Toten.

Wie der Sand, wie Flamme und Fluten, so unabwendlich,
Wie Wolke, so unentrinnbar bin ich.
Einst ziehen Kindesgeschlechter, fern mir und nicht mehr verständlich,
Horizonthin, versunkenen Sonnensterns blutheller Strich.
Mein Tag hat sein Maß, doch meine Nacht ist unendlich.

O Männer. Ihr mögt mit Maschinen rasen, tausend elektrische Lampen entzünden,
Ihr schwächt nicht die Faust, die euch zu mir reißt.
Mein Weiher und tiefes Lächeln liegt zwischen dämmrigen Schlünden,
Erwartet still euren neuesten, schwächlich geblähten, unbeständigen Geist
Und wirft eine Welle aus seinem Schoß; sie schluckt ihn samt seinen Gründen.

Kommt ihr mit tanzenden Tieren, mit dem Scherenschleifrad zur Stadt,
____seid Bürger, seid Grafen,
Füße laufen wie schneeweiße Ratten euch nach,
Laufen immer: Füße kupferhaariger Nächte im Hafen,
Wenn euer Schiff die grüne schaumkrallige Pranke zerbrach,
Sie lassen euch unter dem Südlichen Kreuz, dem Großen Wagen nicht einsam schlafen.

Die Liebkosung eurer Lippen, Gier eurer Hände
Sammle ich ein, und die Freude, die aus euren Augen schlägt,
In ein seidenes Vogelgarn, das ich trage an meiner Lende,
Wie das Känguruh seinen Beutel trägt.
Und ich füge die glühenden Stunden und finstere zu funkelnder Spende.

Goldflossige Fische schwimmen, lautlose Kiemen, in Bütten,
Die meine weiten Abende sind.
Und der Kometenregen will alles dies achtlos verschütten
Über ein Kind.
Es ist zart und ewig und nur wie die bräunlichen Kleinen schindelgedeckter Hütten.

Gertrud Kolmar, aus: „Gedichte“
Lizenzausgabe Suhrkamp Verlag 1996
© Kösel-Verlag, München 1980

••• Noch einmal Gertrud Kolmar mit einem Gedicht, das wohl am besten illustriert, was ich zuvor über sie schrieb. Seit Minuten klingt mir Patricia Kaas aus dem musikalischen Gedächtnis mit ihrer Interpretation von „It’s a Man’s World“.

This is a man’s world
This is a man’s world
But it would be nothing
Nothing without a woman or a girl

You see man made the cars
To take us over the world
Man made the train
To carry the heavy load
Man made the electric lights
To take us out of the dark
Man made the bullet for the war
Like Noah made the ark
This is a man’s man’s, man’s world
But it would be nothing
Nothing without a woman or a girl

Morgen schon werdet ihr Staub sein

Donnerstag, den 19. April 2007

Schuhberge im KZ Auschwitz

Wer aber leerte den Sand aus euren Schuhen,
Als ihr zum Sterben aufstehen mußtet?
Den Sand, den Israel heimholte,
Seinen Wandersand?
Brennenden Sinaisand,
Mit den Kehlen von Nachtigallen vermischt,
Mit den Flügeln des Schmetterlings vermischt,
Mit dem Sehnsuchtsstaub der Schlangen vermischt,
Mit allem was abfiel von der Weisheit Salomos vermischt,
Mit dem Bitteren aus des Wermuts Geheimnis vermischt –

O ihr Finger,
Die ihr den Sand aus Totenschuhen leertet,
Morgen schon werdet ihr Staub sein
In den Schuhen Kommender!

Nelly Sachs

••• Gertrud Kolmars Bild vom „Sand in den Schuhen Kommender“ hat Nelly Sachs zu verschiedenen Adaptionen inspiriert. Die vielleicht berühmteste Variation des Themas ist wohl diese hier.

Die Fahrende

Mittwoch, den 18. April 2007

Jerimiah's Shoe © by amelioration@deviantart.com

Alle Eisenbahnen dampfen in meine Hände,
Alle großen Häfen schaukeln Schiffe für mich,
Alle Wanderstraßen stürzen fort ins Gelände,
Nehmen Abschied hier; denn am andern Ende,
Fröhlich sie zu grüßen, lächelnd stehe ich.

Könnt ich einen Zipfel dieser Welt erst packen,
Fänd ich auch die drei andern, knotete das Tuch,
Hängt es auf einen Stecken, trügs an meinem Nacken,
Drin die Erdkugel mit geröteten Backen,
Mit den braunen Kernen und Kalvillgeruch.

Schwere eherne Gitter rasseln fern meinen Namen,
Meine Schritte bespitzelt lauernd ein buckliges Haus;
Weit verirrte Bilder kehren rück in den Rahmen,
Und des Blinden Sehnsucht und die Wünsche des Lahmen
Schöpft mein Reisebericht, trinke ich durstig aus.

Nackte, kämpfende Arme pflüg ich durch tiefe Seen,
In mein leuchtendes Auge zieh ich den Himmel ein.
Irgendwann wird es Zeit, still am Weiser zu stehen,
Schmalen Vorrat zu sichten, zögernd heimzugehen,
Nichts als Sand in den Schuhen Kommender zu sein.

Gertrud Kolmar, aus: „Gedichte“
Lizenzausgabe Suhrkamp Verlag 1996
© Kösel-Verlag, München 1980

••• Gedichte gibt es, die sind wie Kisten voll Blei, kaum zu heben, ohne den Rücken schmerzhaft zu spannen. So geht es mir mit den Gedichten von Gertrud Kolmar. Doch bei aller Schwere schiesst aus jeder Zeile eine so unbändige Lebenskraft, ein Hunger, ein Durst, unstillbar.

PS: Hat einer der geneigten Leser eine andere Kolmar-Ausgabe zur Hand? Ich bilde mir ein, es müsste Weiher statt Weiser heissen. Und wenn nicht, wäre ich ratlos, was mit Weiser gemeint ist. Für sachdienliche Hinweise wäre ich dankbar.

Verwandlungen

Montag, den 16. April 2007

Gertrud Kolmar

Ich will die Nacht um mich ziehn als ein warmes Tuch
Mit ihrem weißen Stern, mit ihrem grauen Fluch,
Mit ihrem wehenden Zipfel, der die Tagkrähen scheucht,
Mit ihren Nebelfransen, von einsamen Teichen feucht.

Ich hing im Gebälke starr als eine Fledermaus,
Ich lasse mich fallen in Luft und fahre nun aus.
Mann, ich träumte dein Blut, ich beiße dich wund,
Kralle mich in dein Haar und sauge an deinem Mund.

Über den stumpfen Türmen sind Himmelswipfel schwarz.
Aus ihren kahlen Stämmen sickert gläsernes Harz
Zu unsichtbaren Kelchen wie Oportowein.
In meinen braunen Augen bleibt der Widerschein.

Mit meinen goldbraunen Augen will ich fangen gehn,
Fangen den Fisch in Gräben, die zwischen Häusern stehn,
Fangen den Fisch der Meere: und Meer ist ein weiter Platz
Mit zerknickten Masten, versunkenem Silberschatz.

Die schweren Schiffsglocken läuten aus dem Algenwald.
Unter den Schiffsfiguren starrt eine Kindergestalt,
In Händen die Limone und an der Stirn ein Licht.
Zwischen uns fahren die Wasser; ich behalte dich nicht.

Hinter erfrorener Scheibe glühn Lampen bunt und heiß,
Tauchen blanke Löffel in Schalen, buntes Eis;
Ich locke mit roten Früchten, draus meine Lippen gemacht,
Und bin eine kleine Speise in einem Becher von Nacht.

Gertrud Kolmar, aus: „Gedichte“
Lizenzausgabe Suhrkamp Verlag 1996
© Kösel-Verlag, München 1980

••• Gestern war Yom Ha-Shoah, der Gedenktag für die Opfer der Shoah. Gertrud Kolmar wurde 1943 deportiert und kehrte nicht zurück.

Am 3. März 1951 reiht sie das Standesamt Berlin-Schönefelde als „Gertrud Chodziesner, ohne Beruf, ledig, deutscher Staatsangehörigkeit, zuletzt wohnhaft in Berlin-Schöneberg, Speyrer Str. 10“ in die Liste der sechs Millionen ermordeter Juden ein. Unter der Nummer 52095 wird sie für tot erklärt.

Ulla Hahn
aus dem Nachwort der zitierten Ausgabe