Tanz der Kobolde

19. Februar 2012

Klassik im Club Bob Beaman München
Im Club »Bob Beaman« München

••• »Klassik im Club« heißt eine Veranstaltungsreihe quer durchs Land, die Live-Klassik an Orte bringen möchte, wo sonst eher Raves gespielt werden und sich die Leute auf engem Raum austanzen. ANH berichtete im letzten Oktober von einer solchen Veranstaltung im Berliner »Berghain«. Die Idee fand ich spannend, und der Musik-Tipp, der dabei abfiel, nämlich »The Liszt Project« von Pierre-Laurent Aimard, hatte es mir auch angetan. Letzten Donnerstag hatte ich nun Gelegenheit, eine solche Veranstaltung hier in München zu erleben.

Der Geige spielende Nachbar Jan Wechslers in der »Leinwand«, José Molina, hatte Vorbilder in meinem Haus. Er ist die Bricolage zweier Nachbarn, von denen einer unterdessen nicht mehr hier wohnt. Dieser Nachbar lieh Molina seine Erscheinung, Herkunft und Lebensumstände. Geige spielte er hingegen nicht. Violinklänge höre ich dennoch oft, wenn ich im Treppenhaus an der Tür unseres Nachbarn Linus Roth vorbeikomme. Bei einem Live-Auftritt konnte ich ihn bisher leider erst einmal erleben. Am letzten Donnerstag nun hatte ich erneut Gelegenheit. Mit seinem Pianisten José Gallardo spielte Linus im Münchner Club »Bob Beaman«.

Um 21:00 Uhr wurde geöffnet, und es lohnte auch, diese eine Stunde vor Beginn des live acts dort zu sein. Die DJane spielte nämlich einen interessanten Mix aus Klassik und ambitionierten Filmmusiken, was nicht nur Hörfreude mit sich brachte sondern auch ein nettes Rätselraten, welche Komponisten, Stücke, Filme da auftauchten. Viel Glass war dabei, und ich dachte schon, Linus würde einen kleinen Vorgeschmack auf das Glass-Programm geben, das er demnächst präsentieren wird. Dazu aber kam es nicht. Bis 22:00 Uhr war der Laden voll und Linus und José von vor allem jungen Mädels umgeben, wie mir schien. Linus spielte natürlich auf seiner Stradivari »Dancla«, José auf einem von der Klavierwerkstatt Kontrapunkt für den Abend gesponserten Flügel.

Linus gab ein interessant gemischtes Programm, das sich für den Klassikeinsteiger eignete, aber schließlich auch für eingefleischte Klassikfreunde Überraschungen parat hielt. Es gab einzelne Sätze aus Violonsonaten von Schumann und Beethoven, mehrere der »Ungarischen Tänze« von Brahms und schließlich noch zwei Leckerbissen. Ich war überrascht, was Linus aus den Brahmsschen Schmachtfetzen herausholte. Tanz Nr. 17 ließ sich in seiner Interpretation geradezu neu entdecken. Mit diesem, dem vorletzten Stück des Abend, begann ein spannendes Finale. Als Schlussstück hatte Linus »La Ronde des Lutins«, den »Tanz der Kobolde« des italienischen Violin-Virtuosen und zu Lebzeiten wie heute als Komponist kaum beachteten Antonio Bazzini (1818-1897) ausgesucht, ein launig-lustiges Kabinettstückchen, das Linus mit Charme und mit Verve präsentierte. Beifall und Bravo-Rufe brachten die Künstler zu einer Zugabe, die, wie Linus angekündigte, für eine Zugabe eigentlich zu lang sei. Dennoch spielte er »Nocturne und Tarantella« des polnischen Komponisten Karol Szymanowski (1882-1937), eine eigenwillige Mischung aus impressionistischen Gebilden à la Debussy, orientalischen Klängen und schließlich den titelgebenden italienischen Volkstanzmotiven. Ich kann mir lebhaft vorstellen, was die Kritiker seinerzeit zu mosern gehabt haben mögen an diesem Versuch einer kosmopolitisch-musikalischen Collage. Für mich war es eine spannende Entdeckung und ein wunderbarer Abschluss für einen gelungenen Abend.

Wer Gelegenheit hat, eine der »Klassik im Club«-Veranstaltungen zu besuchen, sollte nicht zögern. Klassik unverkrampft in ungewöhnlicher Umgebung – das macht Spaß und dürfte für den Raver ebenso eine interessante Abwechslung sein wie für den geübten Konzertbesucher.

2 Reaktionen zu “Tanz der Kobolde”

  1. Heute im Publikum « Turmsegler

    […] verstecke ich mich mal im Publikum. Linus Roth spielt in Augsburg, und ich freue mich, nochmals das Szymanowski-Stück hören zu können. Schumanns »Kinderszenen« gehörten zu den ersten klassischen Stücken, die ich […]

  2. Weinberg in Grünwald › Turmsegler

    […] Pause gab es zunächst ein Wiederhören: Über Szymanowskis »Notturno und Tarantella« habe ich hier schon geschrieben, eine musikalische Brikolage, die mir bei jedem Wiederhören Spaß macht. Im […]

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